Adnovum: Barrierefreiheit in der digitalen Verwaltung

Adnovum: Barrierefreiheit in der digitalen Verwaltung
Lina Witzel, Adnovum (Bild: Adnovum, Moneycab)

Zürich – Die digitale Verwaltung steht noch immer vor einer zentralen Herausforderung: Barrierefreiheit. Im Rahmen des Global Accessibility Awareness Day 2025 beleuchtet ein neues Whitepaper die Bedeutung von inklusiven Online-Diensten in der Schweiz. Mit der Überalterung der Gesellschaft und Anforderungen durch Standards wie dem eCH-0059 wird klar: Barrierefreiheit ist nicht nur gesetzliche Pflicht, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung. Doch trotz Fortschritten gibt es weiterhin Hindernisse – das Whitepaper zeigt praxisnahe Lösungsansätze auf.

Von Lina Witzel, Adnovum

Die digitale Transformation unserer Gesellschaft schreitet kontinuierlich voran und mit ihr wächst die Bedeutung der digitalen Barrierefreiheit. Während Privatunternehmen in der EU sich nun den Anforderungen des European Accessibility Act (EAA) stellen müssen, ist der öffentliche Sektor in der Schweiz bereits seit längerem durch das Behindertengleichstellungsgesetz BehiG und den Standard eCH-0059 verpflichtet, digitale Dienstleistungen inklusiv zu gestalten. Diese Entwicklung stellt nicht nur eine rechtliche Notwendigkeit dar, sondern ist auch ein entscheidender Schritt zur gesellschaftlichen Inklusion.

Mit etwa 20% der Schweizer Bevölkerung, die von funktionellen Einschränkungen betroffen sind, und einem deutlichen Anstieg von Sehbeeinträchtigungen im Alter wird die Barrierefreiheit zu einer immer wichtigeren gesellschaftlichen Aufgabe. Anlässlich des Global Accessibility Awareness Day 2025 publizierten wir am 15.05. in Zusammenarbeit mit dem Amt für Informatik Graubünden ein Whitepaper zum Thema «Barrierefreiheit in der digitalen Verwaltung», wo wir Herausforderungen und konkrete Lösungsansätze für den öffentlichen Sektor aufzuzeigen.

Accessibility Standard eCH-0059 und rechtliche Grundlagen

Der Accessibility Standard eCH-0059 in der aktuellen Version 3.0 bildet seit Juni 2020 einen Meilenstein in der digitalen Barrierefreiheit der Schweiz. Obwohl die Standards ursprünglich als Empfehlungen formuliert wurden, haben sie seit dem 21. Mai 2021 durch eine verbindliche Vorgabe des Bundes offiziellen Charakter für Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) im öffentlichen Sektor erhalten und dienen als wichtige Orientierungshilfe bei der barrierefreien Gestaltung digitaler Angebote. Der Standard stützt sich auf die Konformitätsstufe AA der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 und definiert klare Kriterien für zugängliche digitale Angebote.

Die rechtlichen Grundlagen des Accessibility Standard eCH-0059 basieren auf mehreren zentralen Gesetzgebungen und internationalen Vereinbarungen. Bereits die Schweizer Bundesverfassung verankert in Artikel 8, Absatz 2 das Diskriminierungsverbot und den Anspruch auf Gleichbehandlung. Ergänzend dazu regeln das BehiG und die Behindertengleichstellungsverordnung (BehiV) die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz. Auf internationaler Ebene ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), insbesondere Artikel 9, richtungsweisend, da sie die Verpflichtung zur Schaffung zugänglicher Infrastrukturen und digitaler Angebote formuliert. 

Stand der digitalen Barrierefreiheit in der Schweizer Verwaltung

Das Whitepaper, das auf Praxiserfahrungen des Amts für Informatik Graubünden und Adnovum sowie auf Interviews mit Vertretenden aus sieben Kantonen basiert, beleuchtet die komplexe Landschaft der digitalen Barrierefreiheit in der Schweizer Verwaltung. Unsere Untersuchung zeigt zahlreiche Herausforderungen bei der Umsetzung der rechtlichen Grundlagen auf. Besonders auffällig ist die stark variierende Implementierung von Kanton zu Kanton, die eng mit dem jeweiligen Digitalisierungsgrad und der Grösse des Kantons korreliert.  

Die identifizierten Hürden sind vielschichtig und umfassen technische, organisatorische sowie politische Dimensionen. Zentrale Hindernisse bilden der ausgeprägte Mangel an Ressourcen und die fehlende Sensibilisierung, die die flächendeckende Realisierung barrierefreier digitaler Angebote erheblich erschweren. Das Whitepaper verdeutlicht, dass trotz rechtlicher Grundlagen noch ein weiter Weg zur vollständigen Umsetzung digitaler Barrierefreiheit in der Schweizer Verwaltung bevorsteht.

Beispiele für Barrieren im digitalen Angebot Schweizer Behörden 

Die Herausforderungen der digitalen Barrierefreiheit spiegeln sich in verschiedenen Verwaltungsbereichen und -anwendungen wider und zeigen Parallelen zu anderen Sektoren, wie beispielsweise dem Bankensektor. Klassische Online-Dienstleistungen von Verwaltungen umfassen unter anderem Formulare, die elektronische Identifikation und PDF-Dokumente. Alle drei dieser Bereiche sind besonders anfällig für digitale Barrieren und benötigen daher ein besonderes Augenmerk.

Grafische Darstellungen der Barrieren Formulare, Authentifizierungsprozesse und PDF-Dokumente
  • FormulareDigitale Formulare stellen eine erhebliche Herausforderung für die Barrierefreiheit dar. Häufig sind sie nicht ausreichend für Screenreader, Tastaturbedienbarkeit oder einfache Verständlichkeit optimiert, was Menschen mit Sehbeeinträchtigungen oder kognitiven Einschränkungen das Ausfüllen erschwert. Fehlerhafte Strukturierungen, fehlende oder unzureichende Beschriftungen sowie unverständliche oder nicht erreichbare Fehlermeldungen machen Formulare für viele Nutzende schwer zugänglich und führen zu Frustration.
  • Authentifizierungsprozesse
    Die elektronische Identifikation, ein essenzieller Bestandteil moderner Online-Dienstleistungen, birgt ebenfalls Barrieren. Registrierungs-, Login- und Authentifizierungsprozesse sind oftmals visuell komplex gestaltet und berücksichtigen nicht die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzenden. Dies führt dazu, dass bestimmte Personengruppen, wie beispielsweise ältere Menschen, Schwierigkeiten haben, sich sicher und eigenständig zu identifizieren oder behördliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.
  • PDF-Dokumente
    PDFs sind ein weiteres Problemfeld in der digitalen Barrierefreiheit. Viele behördliche Dokumente werden in Form von PDFs bereitgestellt, die weder barrierefrei aufbereitet noch mit Technologien wie Screenreadern kompatibel sind. Dies erschwert Menschen mit Sehbeeinträchtigungen die eigenständige Nutzung und den Zugang zu wichtigen Informationen erheblich. Eine verbesserte Aufbereitung dieser Dokumente würde einen grossen Schritt hin zu einer inklusiveren digitalen Welt darstellen.

Massnahmen zur Beseitigung digitaler Barrieren

Der erste Schritt zu Inklusivität und Zugänglichkeit ist die Behebung digitaler Barrieren, wie gerade am Beispiel von Formularen, Authentifizierungsprozessen und PDF-Dateien aufgezeigt. Die Verwirklichung echter digitaler Barrierefreiheit erfordert jedoch mehr als technische Lösungen – sie benötigt einen ganzheitlichen Ansatz. Eine konsequente Implementierung muss sich durch sämtliche digitale Prozesse ziehen, von der Konzeption bis zur finalen Umsetzung.

Sensibilisierungsmassnahmen spielen dabei eine entscheidende Rolle, indem sie das Bewusstsein für die Bedürfnisse und Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen stärken. Gleichzeitig ist der Aufbau von Wissen essenziell, sowohl durch gezielte Schulungen für Mitarbeitende als auch durch die Integration von Barrierefreiheit in fachliche und technische Standards. Damit Barrierefreiheit nachhaltig verankert wird, muss sie nicht nur als technisches Ziel verstanden werden, sondern als kulturelles Thema, das tief in den Strukturen und Arbeitsweisen der Verwaltung und darüber hinaus verankert ist. Es geht darum, eine Organisationskultur zu entwickeln, in der Barrierefreiheit nicht als Zusatz, sondern als fundamentaler Bestandteil des Dienstleistungsdesigns begriffen wird.  


Das Whitepaper finden Sie hier

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