EY: Schweizer Uhrenbranche bei digitalen Trends auf gutem Weg

EY: Schweizer Uhrenbranche bei digitalen Trends auf gutem Weg
Jean-Marc Chevrot, Partner und Technology Consulting Head of Romandie bei EY in der Schweiz. (Bild: EY)

Zürich – Digitale Technologien haben der Schweizer Uhrenbranche durch die Corona-Pandemie geholfen. Inzwischen haben die Einzelhandelsgeschäfte wieder geöffnet. Wie sieht es jetzt aus? Wie nutzt die Branche die digitalen Kanäle? Wo sieht sie Geschäftspotenzial? Dies sind die Ergebnisse einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma EY: Die Vertreter der Schweizer Uhrenbranche wissen genau, wie sie die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen wollen, die sie während der Pandemie entdeckt haben. Bei den Möglichkeiten der individuellen Umsetzung gibt es aber unterschiedliche Meinungen.

Zwei Drittel der befragten Unternehmen geben an, dass ein enger und individueller Kundenkontakt nicht nur in den Läden gepflegt werden sollte, sondern auch über alle vorhandenen digitalen Kanäle. Zwei Drittel finden, dass auch der digitale Handel auf dem sogenannten Gebrauchtmarkt mit gebrauchten Uhren grosses Potenzial hat. Und 100% der befragten Vertreter der Schweizer Uhrenbranche glauben, dass eine genaue Verfolgung und Erfassung des «Lebenszyklus» von Uhren für die Uhrenbranche von «grossem» bzw. «mittelmässigem» Nutzen ist. Dies könnte etwa mithilfe der Blockchain-Technologie erfolgen.

Für die Umfrage zu digitalen Trends in der Schweizer Uhrenbranche befragte EY bekannte Uhrenkonzerne, einzelne Konzernmarken, unabhängige Uhrenmarken und Uhreneinzelhändler.

Kundenkontakt: Individuell und zugleich digital
In der Uhrenbranche gibt es üblicherweise einen individuellen Kundenkontakt. Dies wird immer noch sehr geschätzt, sollte aber heutzutage über alle Kanäle erfolgen – auch über digitale. Dies zeigt die Frage nach der Bedeutung eines besonderen und personalisierten Einzelkontakts mit Kunden über digitale Kanäle. 67% der Befragten wissen eine direkte und individuelle Kundenbeziehung sehr zu schätzen. Aber nur 20% der Befragten geben an, dass sie umfassend dazu in der Lage sind, die Kunden über alle digitalen Kanäle individuell zu betreuen. 60% sind der Meinung, dass sie zumindest teilweise dazu in der Lage sind. Zugleich haben 73% der Befragten die Absicht, diese Möglichkeit innerhalb eines Jahres weiter auszubauen. «Der direkte persönliche Kontakt ist jedoch nicht zu ersetzen. Die Digitalisierung der Kundenbeziehungen hat diese Verbindung durch einen personalisierten und kontinuierlichen Kommunikationsfluss gestärkt», sagt Jean-Marc Chevrot, Partner und Technology Consulting Head of Romandie bei EY in der Schweiz. «Die ‹Häuser› müssen darin investieren, Kundendaten zu sammeln, die dann in einer zentralisierten Interaktion zwischen ihren Vertriebskanälen und den Kunden genutzt werden. Unterstützt werden die Interaktionen durch wirksame Kundenverwaltungsanwendungen wie etwa einer Lösung für das Kundenbeziehungsmanagement und immersive Lösungen wie virtuelle Anproben», so Chevrot weiter.

In Bezug auf Onlinekataloge, Einkaufsassistenten, hochwertige (3D-)Visualisierungen und virtuelle Anproben von Armbanduhren waren die befragten Vertreter der Schweizer Uhrenbranche zwiegespalten. Für 33% bzw. 27% ist die Ausweitung ihres digitalen Kundenerlebnisses sehr relevant oder mässig relevant. Gleichzeitig glauben 33% bzw. 7%, dass diese Optionen von «geringem» oder «keinem» Nutzen für ihr Unternehmen sind. Die befragte Gruppe war gespalten bezüglich des Angebots, mithilfe eines Online-Konfigurators eine personalisierte Uhr zusammenstellen zu können, was technisch machbar, aber in der Herstellung schwierig umzusetzen ist. Eine leichte Mehrheit schätzt das Onlineangebot für Kunden: «Digitale Technologie kann die physische Erfahrung zwar nicht ersetzen, sie kann das Kundenerlebnis aber ergänzen und bereichern», sagt Chevrot und fügt hinzu: «Das Kundenerlebnis hängt in erster Linie vom Produkt ab und nicht vom Kanal.»

Zurzeit gibt es Skepsis in Bezug auf das Metaversum und NFTs
Einzelhändler, Uhrenmarken und grosse Uhrenunternehmen stehen dem Metaversum vergleichsweise kritisch gegenüber: Eine Mehrheit findet, dass es einen geringen oder gar keinem Nutzen hat, im Metaversum präsent zu sein. Diese Einschätzungen entsprechen auch den zurzeit vorhandenen Chancen und Kapazitäten für ein Engagement im Metaversum: Jeweils 47% geben an, dass sie nur «zum Teil» oder «noch nicht» über die erforderlichen Kapazitäten verfügen. «Die Umfrage zeigt, dass das Metaversum aus Sicht der Uhrenbranche noch nicht etabliert genug ist, um von grosser Bedeutung zu sein. Die meisten Befragten sehen das langfristige Zukunftspotenzial dieser virtuellen Welt», sagt Julian Segantini, Technology Strategy Lead bei EY in der Schweiz.

Dies kommt auch in den Antworten auf die Frage danach zum Ausdruck, wann sie Kapazitäten für ihre Präsenz im Metaversum aufbauen wollen. 67% sagen, dass diese Kapazitäten innerhalb eines Zeitraums von mehr als fünf Jahren aufgebaut werden sollten. 27% wären gerne in einem Zeitraum zwischen einem und drei Jahren bereit, und nur 6% würden gerne innerhalb eines Jahres Kapazitäten für das Metaversum aufbauen. Beim Thema NFTs bestehen ähnliche Zweifel. Nur 13% finden den Verkauf einmaliger digitaler Produkte «nützlich» für ihr eigenes Geschäft. 20% schätzen den Nutzen von NFTs als «mittelmässig» ein. Die meisten Befragten finden allerdings, dass NFTs nur einen «geringen» oder «gar keinen» Nutzen haben.

Digitale Kaufmodelle und Uhrendienstleistungen
Im Hinblick auf Kauf- und Finanzierungsmodelle herrscht grosses Einvernehmen, dass diese über digitale Kanäle ermöglicht werden sollten. Jeweils 43% der Befragten glauben, dass sie von «hohem» bzw. «mittelmässigem» Nutzen für das Geschäft sind. «Digitale Käufe erweitern den Marktzugang in geografischer Hinsicht und in Bezug auf Verbrauchertrends», sagt Segantini. Im Hinblick auf spezielle Marken und deren Kunden sagt Elsa Jaubert-Albarèdes, Technology Strategy bei EY in der Schweiz: «Auch wenn die Zielkunden gewisser Marken keine Kreditmöglichkeiten oder Zahlungserleichterungen benötigen, sind sich Uhrmacher bewusst, dass dies ein Hebel ist für die Ausweitung ihrer Marktanteile. Die Herausforderung besteht darin, den Markenwert und die Markenidentität beizubehalten.»

Die Vertreter der Schweizer Uhrenbranche sind auch damit einverstanden, dass die Dienstleistungen nach dem Kauf einer Uhr durch Digitalisierung optimiert und ausgeweitet werden können. 87% der Befragten glauben, dass die Optimierung dieser Dienstleistungen von «hohem» oder «mittelmässigem» Nutzen für das Geschäft ist. Digitalisierung sollte nicht nur die Effizienz des Dienstleistungsprozesses verbessern und diesen beschleunigen – zum Beispiel durch die Eröffnung eines Dienstleistungsauftrags über eine Website. Man kann auch für mehr Transparenz sorgen und Kunden ermöglichen, den Status der Arbeit an ihrer Uhr online zu verfolgen.

Handel mit gebrauchten Uhren («Gebrauchtmarkt») über digitale Plattformen und Kanäle
66% der Befragten finden, dass die Digitalisierung des Handels mit gebrauchten Uhren, der seit Jahren wachsende sogenannte «Gebrauchtmarkt», einen «hohen» oder «mittelmässigen» geschäftlichen Nutzen hat. «Die positive Entwicklung dieses Marktes lässt sich hauptsächlich auf junge Kunden der Generation der Millennials und der Generation Z zurückführen. Die neue Generation hat ein anderes Verhältnis zu Eigentum, und es gibt keine Barrieren mehr für den Kauf von Dingen, die vorher jemand anderem gehört haben. Sogar das Gegenteil ist der Fall», sagt Jaubert-Albarèdes. Nahezu ein Drittel der Verbraucher im Segment der Luxusartikel zählen zu diesen jungen Käufern.

Noch grössere Einigkeit besteht innerhalb der Schweizer Uhrenbranche bezüglich der digitalen Erfassung von «Lebenszyklus» und Nutzungsverlauf von Uhren. 100% der Befragten glauben, dass eine genaue Verfolgung und Erfassung dieses Lebenszyklus für die Uhrenbranche von «grossem» oder «mittelmässigem» Nutzen ist. «Die Verfolgung des Lebenszyklus einer Uhr ist für alle Marken von entscheidender Bedeutung. Das gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass einige von ihnen nach der Fertigung der Uhr keine Informationen mehr darüber haben», sagt Jaubert-Albarèdes. Durch die Verfolgung des Lebenszyklus kann man Fälschungen und dem grauen Markt zuvorkommen. Man erhält wertvolle Daten zu den verkauften Einheiten sowie Kundendaten. Und man kann die Echtheit bescheinigen, wenn Kunden eine gebrauchte Uhr kaufen.

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass Uhrmacher bei der Einführung von Digitalisierungstrends auf gutem Niveau mithalten. Fast alle stehen aber vor der Herausforderung, Daten zu sammeln und sie so gut wie möglich zu nutzen, um ihren Kunden ein wirklich ganzheitliches Erlebnis auf allen Kanälen zu bieten. (EY/mc/ps)

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