Interview mit Accenture und Oracle über KI, Cloud-Lösungen und digitale Herausforderungen in der Finanzindustrie

Interview mit Accenture und Oracle über KI, Cloud-Lösungen und digitale Herausforderungen in der Finanzindustrie
von links: Christopher Marsh-Bourdon (Oracle), Daniel Kobler (Accenture), Mark Eastwood (Oracle (Bild: Accenture, Oracle, Moneycab)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Welche Trends werden Ihrer Meinung nach die CEOs und Vorstandsmitglieder in naher Zukunft auf Trab halten?

Daniel Kobler: Generative KI (GenAI) wird sicherlich einer der Trends sein. Die CEOs, mit denen wir arbeiten, sind sehr neugierig auf das Thema und wirklich daran interessiert, zu sehen und zu lernen, welche Geschäftsmöglichkeiten es gibt. Eine Studie aus dem Jahr 2023 hat sogar gezeigt, dass die Anpassung an technologische Fortschritte und Innovationen wie KI und Automatisierung bis 2024 weltweit die grösste Sorge auf C-Level ist. Die Möglichkeiten, die GenAI bieten kann, sind enorm, und ein erheblicher Teil der Arbeitszeit wird davon betroffen sein (entweder automatisiert oder erweitert). Die daraus resultierende Effizienzsteigerung wird Mitarbeiter freisetzen für andere Aufgaben.

«Finanzdienstleister müssen jedoch immer noch eine menschliche Schnittstelle zu ihren Kunden in Betracht ziehen, denn nicht alles ist strategisch sinnvoll zu digitalisieren.» Daniel Kobler, Leader Strategy & Consulting Financial Services Group für Österreich, Schweiz & Deutschland, Accenture

Ich glaube, dass generative KI viel mehr leisten kann als die typischen Six-Sigma-getriebenen Verbesserungen, die wir in den letzten 30 Jahren durchgeführt haben. Die Prozessoptimierung wird ein entscheidender Faktor sein. Es besteht das Potenzial, nicht nur die Kosteneffizienz zu steigern, sondern auch den Umsatz zu erhöhen, da das Kundenerlebnis wesentlich besser wird. Dies wird durch ein verbessertes Multi-Channel-Erlebnis für den Kunden vorangetrieben, das von GenAI generiert und orchestriert wird und zu einem höheren Net-Promoter-Score führt.

Finanzdienstleister müssen jedoch immer noch eine menschliche Schnittstelle zu ihren Kunden in Betracht ziehen, denn nicht alles ist strategisch sinnvoll zu digitalisieren. Generell müssen Banken und Versicherer herausfinden, welche kulturellen Auswirkungen die Tatsache hat, dass man jetzt viel mehr Interaktionen mit Computern hat.

Zweitens: Cyber-Risiken sind ein sehr strategisches Thema. Die Aufsichtsbehörden haben die Anforderungen an Vorstandsmitglieder und Mitglieder des Führungsteams in Bezug auf Rechenschaftspflicht und Verantwortung erhöht.

Und dann denke ich, dass Cloud Computing ein strategisches Thema für die gesamte Führungsetage bleibt, da das Verständnis in Bezug auf den greifbaren Wert auf breiter Front deutlich zugenommen hat. Das Wertpotenzial ist nicht nur mit der Technologie verbunden, sondern auch sehr stark mit dem Geschäft und den Kunden.

Christopher Marsh-Bourdon: Ich denke, dass KI, insbesondere generative KI, eine wichtige Rolle spielen wird. So ziemlich jede Bank, mit der wir sprechen, befasst sich in irgendeiner Form mit diesem Thema. GenAI ist zweifellos eine erstaunliche, bahnbrechende Technologie, genau wie Cloud vor einem Jahrzehnt. Aber wir sollten KI nicht aus den Augen verlieren, wenn es um die gesamte Branche geht. Die analytischen Fähigkeiten von KI spielen immer noch eine wichtige Rolle.

Letztes Jahr haben wir auf der Oracle CloudWorld in Las Vegas eine Präsentation mit einem unserer Kunden, BBVA (Link), gehalten, der sowohl die analytischen KI-Aspekte als auch die generativen Aspekte auf OCI (Oracle Cloud Infrastructure) einsetzt – letzteres bereits seit sechs oder sieben Jahren. Sie erzählten, wie KI ihr Geschäft verändert hat, wenn es darum geht, ihren Kundenstamm zu verstehen und anzusprechen und in der Lage zu sein, neue Bereiche und neue Produkte für ihre Kunden zu erschliessen.

Die Modernisierung wird die CIOs weiterhin auf Trab halten. Es wird immer noch Midranges und Mainframes geben, die migriert werden müssen, weil wir eine alternde Belegschaft von Entwicklern haben, die sich mit COBOL auskennen. Auch Java wird nicht verschwinden, weil Java weiterhin innovativ ist und wir die JDKs und SDKs weiter vorantreiben und Innovationen einführen, um es viel effizienter zu machen, wenn es darum geht, in einer Microservices-Perspektive zu laufen. Ich denke, dass technische Aufrüstung und Modernisierung zwei wichtige Faktoren für CIOs sind, die dafür sorgen, dass die Lichter nicht ausgehen und dass die Systeme tagtäglich weiter funktionieren.

Mark Eastwood: Aus meiner Sicht gibt es nichts, was den CIO nachts mehr wach hält, als die Androhung einer behördlichen Geldstrafe, denn das sind biblische Zahlen, die diesen Leuten für Betriebsfehler oder Datenlecks aufgebrummt werden könnten.

«Der Einsatz von KI, Gen AI und maschinellem Lernen zur Verbesserung dieser Erfahrung und zur Verringerung des Zeitaufwands für die Einreichung von Spesen ermöglicht es den Mitarbeitern, sich auf das zu konzentrieren, wofür sie von der Bank bezahlt werden: die Generierung von Erträgen von ihren Kunden.» Mark Eastwood, Financial Services Strategic Client Lead, Oracle

Wenn ich mir einige typische Produkte ansehe, die zum Beispiel Zahlungen überprüfen oder Kunden überprüfen, die Zahlungen tätigen, dann ist es für die Banken sehr riskant, etwas, das heute einwandfrei funktioniert, herauszunehmen und in eine Cloud-basierte Umgebung zu stecken. Aber es geht nicht nur um die externen Aspekte. Einige dieser Banken beschäftigen 200’000 bis 300’000 Mitarbeiter, wenn man es aus der Sicht der Kollegen betrachtet. Sie nutzen auch Technologien wie Oracle für ihre Zahklungen. Der Einsatz von KI, Gen AI und maschinellem Lernen zur Verbesserung dieser Erfahrung und zur Verringerung des Zeitaufwands für die Einreichung von Spesen ermöglicht es den Mitarbeitern, sich auf das zu konzentrieren, wofür sie von der Bank bezahlt werden: die Generierung von Erträgen von ihren Kunden.

Wie gut kommen die Banken mit der digitalen Transformation zurecht, und wo sehen Sie die Rolle der FinTechs und Startups?

Christopher Marsh-Bourdon: Ich denke, alle Banken haben in den letzten 12 bis 15 Jahren gesehen, dass die Fintechs die Kundenorientierung der Banken wirklich herausfordern. Was wir jetzt sehen, ist, dass nicht nur die Verbraucherseite des Hauses von Fintechs herausgefordert wird, sondern auch die Geschäftsseite und die Anlageseite der grossen Banken. Die Veränderungen, die sich in der gesamten Branche auf der Verbraucherseite vollzogen haben, die Mobilisierung der Art und Weise, wie die Menschen ihre Bankgeschäfte abwickeln, die Abkehr vom stationären Handel hin zu Online- oder Mobilgeräten oder sogar zur Nutzung von Aggregatoren, um ihre gesamte Finanzplattform selbst zu verwalten, beginnen nun in einem sehr gleichmässigen Tempo auf die gesamte Branche durchzusickern.

«Was wir jetzt sehen, ist, dass nicht nur die Verbraucherseite des Hauses von Fintechs herausgefordert wird, sondern auch die Geschäftsseite und die Anlageseite der grossen Banken.» Christopher Marsh-Bourdon, Vice President of European Union Sovereign Cloud (EUSC) Engineering & Global Financial Markets, Oracle

Wie die Banken dies angehen, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Viele von ihnen nutzen einfache digitale Funktionen. Dabei handelt es sich um einen Geschäftszweig, der nicht unbedingt auf die traditionellen Geschäftszweige in den Unternehmen ausgerichtet ist, und dort werden digitale Funktionen als Front-of-House-Shop eingesetzt. Sie schaffen eine einheitliche Benutzererfahrung im gesamten Unternehmen und ermöglichen es den Firmen, ihre Energien zu bündeln. Ich denke, ein Teil der Herausforderung für Organisationen, insbesondere für Banken, ist der Mangel an Fähigkeiten in der Branche, insbesondere im Bereich Mobile und neuerdings auch KI. KI wird in erheblichem Masse für die Schnittstelle zum Kunden eingesetzt (häufig gestellte Fragen, Chatbots). Das verändert die Art und Weise, wie die Menschen mit diesen Organisationen interagieren.

Mark Eastwood: Was ich noch hinzufügen würde, ist die internationale Mobilität des Geldes. Reibungsloses Banking ist ein Begriff, über den wir viel hören: Es geht darum, die Erfahrung der Verbraucher so nahtlos und ohne Verzögerungen wie möglich zu gestalten. Wir leben heute in einer Welt, in der Unmittelbarkeit erwartet wird; in den meisten Ländern gibt es Echtzeit-Zahlungssysteme. Indem sie dies auf grenzüberschreitende Transaktionen ausdehnen, können die Banken ihre Dienstleistungen differenzieren.

«Was ich sehe, ist das Bestreben, Bankdienstleistungen in die täglichen Aktivitäten einzubinden.» Mark Eastwood, Financial Services Strategic Client Lead, Oracle

Aus der Sicht der Banken ist es ein Wettlauf nach unten, was die Einnahmen aus bestimmten Transaktionsgebühren angeht. Es geht also um die Bereiche, in denen die Banken ihren Kunden einen Mehrwert bieten können, um sich zu differenzieren.

Was ich sehe, ist das Bestreben, Bankdienstleistungen in die täglichen Aktivitäten einzubinden. Wir arbeiten mit einer Reihe von Banken zusammen, um diese Bankdienstleistungen in Oracle-Produkte einzubinden. Unsere Kunden, die zum Beispiel NetSuite oder Fusion Aplications verwenden, haben die Möglichkeit, die Bankprodukte für eine breite Palette von Dienstleistungen zu nutzen, sei es die einfache Zahlungsabwicklung, die Beantragung von Finanzierungen, Karten oder sogar schlüsselfertige Kontoeröffnungsprozesse, also die Möglichkeit, Bankkonten über ein ERP zu eröffnen. Da die überwiegende Mehrheit der Unternehmen heutzutage über ein ERP-System verfügt, zum Beispiel SAP, PeopleSoft, NetSuite oder Fusion, ist dies ein Bereich, in den die Banken investieren: In das Kundenerlebnis und in die Möglichkeit, alles aus einer Hand zu bekommen, und aus Unternehmenssicht in die Möglichkeit, Bankgeschäfte über das ERP abzuwickeln, das bereits in die Backend-Prozesse eingebettet und integriert ist. Ich denke, das ist ein echter Wert für die Banken in einem relativ standardisierten Bereich.

Daniel Kobler: Viele Schweizer Banken befinden sich noch in einem relativ frühen Stadium ihrer Reise in die Cloud. Sie haben alle Verbrauchsverträge mit Hyperscalern und speziellen Cloud-Anbietern abgeschlossen. In diesem Zusammenhang haben sie risikoarme Anwendungen oder Datenplattformen oder sogar unkritische Infrastruktur in die Cloud migriert. Bei geschäftskritischen Anwendungen und Kerninfrastrukturen sind sie jedoch vorsichtiger. Bei der Migration dieser Komponenten ist Sorgfalt geboten, aber das langsame Tempo birgt das Risiko, dass Schweizer Banken hier eine Chance verpassen. Ich denke, die Zeit bis zur Markteinführung ist immer noch ein Wettbewerbsvorteil, um einen greifbaren Wert zu generieren.

Sehen Sie bei diesen Entwicklungen grosse Unterschiede zwischen den USA, Europa, insbesondere der Schweiz und Asien, oder sehen Sie Problemfelder, die sich von Kontinent zu Kontinent unterscheiden?

Daniel Kobler: Im Allgemeinen hinken die Schweizer Banken ihren ausländischen Konkurrenten etwas hinterher. Viele Banken stehen einfach noch nicht so sehr unter Handlungsdruck, da sie derzeit noch gut aufgestellt sind und einen hohen Wert für ihre Aktionäre generieren. Vor diesem Hintergrund befassen sich Schweizer Banken oft mit Dingen in kleinerem Massstab (aufgrund ihrer natürlichen Grösse und ihres Geschäftsmodells), bauen Wissen auf und implementieren Anwendungsfälle, die nicht zu riskant sind. Im Vergleich zu US-amerikanischen und noch grösseren europäischen Banken fehlt es manchmal an Mut, einen grossen Schritt zu wagen und die grosse Welle zu machen.

«Viele Schweizer Banken befinden sich noch in einem relativ frühen Stadium ihrer Reise in die Cloud.» Daniel Kobler, Leader Strategy & Consulting Financial Services Group für Österreich, Schweiz & Deutschland, Accenture

Christopher Marsh-Bourdon: Aus technischer Sicht ist Asien in vielen dieser Märkte ein Neueinsteiger, der nicht die technischen Schulden von 60 oder 80 Jahren mit sich herumschleppt. Ich sehe das, was jetzt passiert, als eine Entscheidung, die besagt: Okay, wir können diese Schulden nicht weiterführen. Aber wir können das, was wir haben, nicht ändern, um es neu zu machen.

Sie sehen also auf dem Markt sehr deutlich, dass neue Produkte mit einer völlig neuen Codebasis auf den Markt kommen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Chase Bank in Grossbritannien, die völlig neu entwickelt wurde, anstatt die in den USA vorhandenen Systeme zu übernehmen und sie nur für den britischen Markt zu lokalisieren. Ich denke, dass wir diesen Mechanismus einfach beiseite legen müssen. Gelegentlich ist eine Rückintegration immer noch erforderlich, aber dort, wo man etwas Neues entwickeln kann, erweist sich das als echter Katalysator für Innovationen.

Die Banken haben immer noch einen beträchtlichen Teil des Midrange- und Mainframe-Codes auf dem Altsystem, vor allem im Kerngeschäft, aber das ist in der modernen Welt einfach nicht mehr zeitgemäss.

Mark Eastwood: Ich würde noch hinzufügen, dass die Herausforderung für die grossen globalen Banken darin besteht, dass sie nicht in der Lage sind, wendig zu sein und die Herausforderungen richtig zu bewältigen. Ein Beispiel ist eine traditionelle Investmentbank, die von Grund auf eine Transaktionsbank für Unternehmen aufgebaut hat. Plötzlich hat man eine Investmentbank, die bereits über einen Kundenstamm im Investmentbanking verfügt, der nun durch das ergänzt werden kann, was traditionell das Kerngeschäft von Banken wie Citi, JPMC, HSBC, BAML und anderen ist.

Während die Technologie den Banken hilft, voranzukommen, gibt es auch einige Probleme, die sie behindern. Welche sind das?

Daniel Kobler: Es gibt regulatorische Aspekte, die berücksichtigt werden müssen, denn es muss klar sein, woher die generativen KI-Maschinen die Daten beziehen, ob die Daten bezahlt werden oder wie zuverlässig die Quellen sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind Talente und neue Berufsbilder. Habe ich die richtigen Talente, wie schule ich meine Mitarbeiter und befähige sie, neue Technologien zu nutzen? Wie ich bereits erwähnt habe, kann die Arbeitszeit durch Technologien wie GenAI massiv beeinflusst werden. Wie nutzen wir die Kapazitäten unserer Mitarbeiter, die zum Beispiel durch die Technologie frei geworden sind? Vor allem mit GenAI verändert sich die Arbeitswelt, und das verändert die Geschäftsmodelle von Finanzdienstleistern wirklich. Das kann wirklich ein Quantensprung sein.

«Gelegentlich ist eine Rückintegration immer noch erforderlich, aber dort, wo man etwas Neues entwickeln kann, erweist sich das als echter Katalysator für Innovationen.» Christopher Marsh-Bourdon, Vice President of European Union Sovereign Cloud (EUSC) Engineering & Global Financial Markets, Oracle

Mark Eastwood: Universalbanken, die in Dutzenden von Märkten tätig sind, haben wahrscheinlich mit bis zu 50 Regulierungsbehörden zu tun. Jede Aufsichtsbehörde will etwas anderes, es gibt unterschiedliche Erwartungen, unterschiedliche Standards, unterschiedliche Anforderungen. Für die grossen Banken geht es bei der Effizienz also um Standardisierung. Aus der Risiko- und Compliance-Perspektive macht es der Umgang mit so vielen Aufsichtsbehörden sehr schwierig, Technologie, Praktiken oder Prozesse auf so vielen Märkten zu standardisieren.

In einem schwierigen Kostenumfeld, in dem wir uns befinden, wurden die Ausgaben stark auf Risiko und Widerstandsfähigkeit ausgerichtet. Wir haben ein Beispiel für eine Bank, die sehr stark in Technologie investiert hat, um ihren Bestand zu modernisieren, und das hat zu einer enormen Migration von «vor Ort» in die Cloud geführt.

Das hat sie zur nächsten Phase der Effizienzsteigerung geführt, die in der Standardisierung und Optimierung der Bank- und Middle-Office-Prozesse besteht. Infolgedessen sind sie in der Lage, Personal umzuschichten und zu reduzieren, was natürlich die grosse Kostenbasis einer jeden Bank ist. Für mich ist das ein Beleg dafür, dass die Banken auf dem richtigen Weg sind. In der Vergangenheit hatten sie nicht die Möglichkeit, flexibel zu sein, weil sie versuchten, so vielen verschiedenen Aufsichtsbehörden gerecht zu werden, aber eine mittel- bis langfristige Perspektive und ein damit verbundener Investitionsplan helfen bei dieser Modernisierung und Standardisierung.

Christopher Marsh-Bourdon: Ich sehe Vorschriften nicht immer als Hindernis an. Sie können auch als Leitplanken für einen angemessenen Umstieg auf die Cloud genutzt werden. Ich denke, das ist der Schlüsselfaktor. Viele der ersten Vorstösse in die Cloud waren, vor allem bei Finanzinstituten, nicht ganz unproblematisch, und die Vorschriften neigen dazu, mit der Technologie nicht ganz Schritt zu halten. Das erleben wir gerade bei der künstlichen Intelligenz und der Tatsache, dass sie wirklich sehr strenge Leitplanken vorgibt, wie man sich angemessen bewegt. Natürlich sind diese von Land zu Land und von Region zu Region unterschiedlich. Wir haben unseren Finanzdienstleistungskunden sehr strenge Leitlinien an die Hand gegeben, und viele unserer Dienstleistungen und Angebote sind mit sehr spezifischen Zertifizierungen versehen, die entweder für die Branche oder für die Region geeignet sind. Für OCI (Oracle Cloud Infrastructure) haben wir ein völlig anderes kommerzielles öffentliches Cloud-Angebot innerhalb der EU geschaffen, das von in der EU ansässigen Personen auf EU-Boden betrieben wird und bei dem alle Daten und Metadaten in der EU gespeichert werden.

Wir haben den Kunden diese schwere Arbeit abgenommen und stellen ihnen eine Umgebung zur Verfügung, mit der sie aktuelle und potenziell zukünftige EU-Vorschriften besser einhalten können. Der Ansturm unserer Kunden seit der Einführung im Juli letzten Jahres hat gezeigt, dass die Kunden dies wirklich wollen.

«Wir haben den Kunden diese schwere Arbeit abgenommen und stellen ihnen eine Umgebung zur Verfügung, mit der sie aktuelle und potenziell zukünftige EU-Vorschriften besser einhalten können.» Christopher Marsh-Bourdon, Vice President of European Union Sovereign Cloud (EUSC) Engineering & Global Financial Markets, Oracle

Zusammen mit unserem Public-Cloud-Angebot bieten wir vordefinierte Bereiche an, die auf Branchen wie das Gesundheitswesen oder Behörden zugeschnitten sind, und wir stellen über unsere internen Teams, die sich mit der Einhaltung von Vorschriften befassen, zusätzliche Dokumentation zur Verfügung, um auch diese Unternehmen zu unterstützen.

Gibt es bestimmte Erkenntnisse, die sich auf den Finanzsektor übertragen lassen, wo andere Branchen (Gesundheitswesen, Maschinenbau, Einzelhandel…) schneller vorankommen?

Christopher Marsh-Bourdon: Der Finanzsektor war nicht unbedingt der erste auf dem Markt, wenn es um die Cloud geht. Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass er – von FinTech einmal abgesehen – eher zu den Nachzüglern gehören. Die Banken selbst hinken in der Regel drei bis vier, vielleicht sogar fünf Jahre hinterher. Wir haben bereits einige von ihnen erwähnt, aber es gibt natürlich auch viele Banken der zweiten und dritten Ebene, die noch mit relativ veralteten Systemen arbeiten.

Wir alle haben von einigen der ersten Horrorgeschichten im Zusammenhang mit der Cloud-Implementierung gehört, bei denen es darum ging, Audits über Firewalls hinweg in die Cloud zu übertragen und nicht sicher gestellt wurde, dass das Backend angemessen gesichert war. Das Finanzwesen hat aus diesen Erfahrungen gelernt. Und ich denke, die Regulierung hat das aufgegriffen, und es gibt jetzt Leitplanken. Unabhängig von der Rechtsprechung gibt es also einige sehr wichtige Kriterien, die Banken in allen Bereichen erfüllen müssen.

Daniel Kobler: Laut einer globalen Accenture-Studie kann die Finanzdienstleistungsbranche einer der grössten Nutzniesser der generativen KI sein.

Allerdings hat die Branche von der Abfolge her am spätesten begonnen und hat nun Nachholbedarf. Andere Branchen wie die Telekommunikations- oder die Pharmaindustrie haben bereits vor einigen Jahren damit begonnen. Sie haben bereits viel früher als die Finanzdienstleistungsbranche mit Experimenten, der Einführung und Skalierung begonnen. In der letztgenannten Branche waren es vor allem die USA, die die Innovation stark vorangetrieben haben. Die grossen europäischen Retail-Banking-Märkte und die Schweiz haben diese Innovationen dann adaptiert.

«Laut einer globalen Accenture-Studie kann die Finanzdienstleistungsbranche einer der grössten Nutzniesser der generativen KI sein.» Daniel Kobler, Leader Strategy & Consulting Financial Services Group für Österreich, Schweiz & Deutschland, Accenture

Bei vielen Bankdienstleistern fehlen die Ressourcen, das Wissen und das Verständnis für eine solch tiefgreifende Umstellung (oft bedingt durch ihr Geschäftsmodell, ihre geografische Reichweite und ihr geringes Bewusstsein für die Dringlichkeit). Eine Transformation über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu managen, ist ein schwieriges Unterfangen. Es handelt sich nicht um ein spezielles Kostensenkungsprojekt oder eine einmalige Initiative zur Umsatzsteigerung. Es handelt sich um ein langfristiges Veränderungsprogramm, und es kann schwierig sein, die Verbindung zwischen technologischem Potenzial und der Schaffung von Geschäftswert zu verstehen und erfolgreich zu managen. Wir stellen immer wieder fest, dass ein umfassendes Verständnis beider strategischer Elemente in den Verwaltungsräten und der Führungsetage nur selten vorhanden ist.

Wie weit oben auf der Liste der wirklich strategischen Themen für das Top-Management stehen Cloud und digitale Transformation oder ist es eher die Ebene der Techniker, die sich damit befassen muss?

Mark Eastwood: Es geht um die Verantwortlichkeit und Sichtbarkeit der C-Suite. Das ist klar.

Wenn man sich die Geschäftsbereiche anschaut, sind die Eigentümer der Dienste, die die Technologie in den Banken nutzen, gegenüber den Aufsichtsbehörden persönlich für Versäumnisse verantwortlich, sei es, dass ein Zahlungs-Gateway ausfällt oder das Internet-Banking für einige Zeit offline ist. Diese Leute sind gegenüber den Aufsichtsbehörden rechenschaftspflichtig. Das ist also auf C-Suite-Ebene.

Wenn es um die Cloud und die Speicherung der Daten Ihrer Verbraucher und Kunden in der Cloud geht, sehen Sie da unterschiedliche Ansätze in den USA, in Europa und in Asien in Bezug auf Datenschutz, Dateneigentum, Vorschriften und rechtliche Aspekte, wohl wissend, dass Schweizer Unternehmen ihre Daten sehr schützen?

Daniel Kobler: In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Verzögerungen bei der Migration in die Cloud. Die Gründe dafür waren nicht immer nachvollziehbar, insbesondere was das Thema Datensicherheit betrifft. Schweizer Banken sind davon ausgegangen, dass die Hyperscaler ihre Zentren hier in der Schweiz haben. In den meisten Fällen ist dies Realität geworden. Noch wichtiger ist es, das Thema Datensicherheit mit dem Thema Datenschutz aus strategischer Sicht zu verbinden. Was will ich damit sagen?

Die Schweiz ist immer noch das grösste internationale Offshore-Wealth-Management-Zentrum. Ein differenzierendes Wertversprechen ist die Einbettung des Datenschutzes in das umfassendere Wertversprechen des Schweizer Private Banking (unabhängiges Land, eigene Währung, im Herzen Europas gelegen, lange Tradition und starke Erfolgsbilanz in der Vermögensverwaltung, hohe Dienstleistungsqualität usw.), das durch eine felsenfeste Datensicherheit (angetrieben durch Cloud Computing) ermöglicht wird.

Mark Eastwood: Aus regulatorischer Sicht betrachten wir zum Beispiel die PRA (Prudential Regulation Authority) in Grossbritannien. Dort werden die Cloud-Angebote, die die Banken nutzen, immer genauer unter die Lupe genommen. Alle Aufsichtsbehörden erwarten von den Banken, dass sie auf einer Multi-Cloud-Basis arbeiten, da sie kein Konzentrationsrisiko eingehen dürfen. Die Herausforderung bei der Datenresidenz besteht zum Beispiel darin, dass es Länder wie Indien gibt, in denen die Daten vor Ort bleiben müssen, so dass sie nicht ausserhalb dieses Marktes gehostet werden können. Das bedeutet, dass die Cloud-Dienste, die den Banken zur Verfügung gestellt werden, und die Cloud-Dienste, die von den Banken genutzt werden, die Flexibilität haben müssen, sowohl Onshore- als auch Offshore-Hosting anzubieten, ganz zu schweigen von einer Sicherheitsumhüllung.

«Alle Aufsichtsbehörden erwarten von den Banken, dass sie auf einer Multi-Cloud-Basis arbeiten, da sie kein Konzentrationsrisiko eingehen dürfen.» Mark Eastwood, Financial Services Strategic Client Lead, Oracle

Christopher Marsh-Bourdon: Datensouveränität und Onshore-Anforderungen werden jetzt zur Norm, vor allem ausserhalb der USA, weil die vier grossen Hyperscaler, einschliesslich Oracle, allesamt US-Unternehmen sind. Offensichtlich gibt es eine genaue Prüfung und Besorgnis in anderen Regionen, wenn es beispielsweise zu einem erzwungenen Ausstieg kommt und die USA keine Geschäfte mehr mit einem bestimmten Unternehmen oder einem bestimmten Land machen können. Das ist der eigentliche Grund, warum die EU-Sovereign-Cloud aus diesen Bedenken und Anforderungen heraus entstanden ist. Ich glaube nicht, dass es einen grossen Unterschied zwischen der Schweiz und den anderen Teilen Europas gibt.

Wir haben vor kurzem mit einem Schweizer ISV zusammengearbeitet, der Onshore-Komponenten für das Core Banking benötigt. Die Wahl fiel auf uns, weil wir nicht nur eine verteilte Cloud bereitstellen konnten, sondern es ihnen auch ermöglichten, alle ihre Dienste, sowohl für die Datenverarbeitung als auch für die Speicherung, in der Schweiz bereitzustellen. Dadurch konnten sie ihren Kunden, den Banken, die Sicherheit geben, wo die Daten gespeichert waren. Unser Hintergrundwissen im Bereich Daten und unsere Fähigkeit, nicht nur eine Datenbank zu sperren, sondern direkt auf jede Spalte oder Zeile, die der Kunde mit einem bestimmten Verschlüsselungsschlüssel wählt, zuzugreifen, gibt ihnen wirklich die nötige Leistung. Nicht alle Daten erfordern dieses Mass an Strenge in allen Bereichen. Aber sollte ein Kunde diese Art von Funktionalität sowohl von einer traditionellen relationalen Datenbank als auch von einer No-SQL-Datenbank oder einer Zeitsequenzdatenbank benötigen, haben wir diese Möglichkeit innerhalb unserer Dienste. Und das hat es ihnen wirklich ermöglicht, ihren Kunden dieses Mass an Strenge auch zu bieten.

Wie viel Prozent der IT-Ausgaben der Finanzbranche sind darauf ausgerichtet, das Licht am Laufen zu halten?

Christopher Marsh-Bourdon: Ich denke, wenn man sich die Aufteilung zwischen „die Bank betreiben“ und „die Bank verändern“ anschaut, dann entfallen laut einer Deloitte-Studie etwa 79 % auf „die Bank betreiben“ und 19 % auf „die Bank verändern“. Das Problem dabei ist, dass dies die Zahl zu Beginn des Jahres ist. Das ist nicht die Zahl am Ende des Jahres, denn wenn neue Vorschriften eingeführt werden oder sich die Prioritäten ändern, nehmen diese 19 % ab. Denn das ist der einzige verschiebbare Teil des Betrages. Wenn Sie die Bank mit befristeten Verträgen führen, gibt es keine Möglichkeit, davon wegzukommen.

Einer der grossen Zyklen, die wir in den letzten zehn Jahren in den Finanzinstituten beobachten konnten, besteht darin, dass Technologie als Kostenfaktor betrachtet wird und nicht immer direkt als Vorteil. Ich denke, das ändert sich jetzt bis zu einem gewissen Grad. Wenn es also zu Kosteneinsparungen kommt, sind IT und Technologie einer der Bereiche, in denen etwa 10 % des Budgets gekürzt werden. Die Banken, für die ich gearbeitet habe, lagen in dieser Grössenordnung. Wenn man sich die Budgets der fünf grössten US-Banken anschaut, und da würde ich die UBS und die CS-Fusion mit einbeziehen, dann sind das etwa 8 bis 10, vielleicht sogar 12 Milliarden, also im Grunde genommen eine Milliarde Dollar, die aus dem laufenden Geschäft herausgenommen werden. Die Cloud kann in dieser Hinsicht helfen, denn wenn man die Gesamtkosten für einen bestimmten Prozess senken kann, indem man die Computer nicht rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr laufen lässt, sondern nur dann, wenn es nötig ist, dann ist das wirklich hilfreich. Es entstehen zwar Kosten, weil man manchmal migrieren muss, aber man muss nicht ständig die Lichter für diese Gruppe von Servern anlassen. Aus dieser Perspektive bietet die Cloud also einen echten Mehrwert.


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