Benedikt Weibel, Vorsitzender SBB-Geschäftsleitung: «Wir wollen den Betrieb auf dem hohen Niveau des neuen Fahrplans konsolidieren»
Moneycab: Herr Weibel, Sie haben 2004 als «unvergessliches und historisches Jahr» für die SBB bezeichnet. Der Fahrplanwechsel vom 12. Dezember überstrahlt alles, trotzdem wollen wir uns zuerst dem finanziellen Erfolg zuwenden: Mehr Gewinn, mehr Passagiere, mehr zurückgelegte Kilometer, höhere Verkehrsleistung von SBB Cargo. Sind Sie mit dem erreichten Resultat zufrieden und entspricht es Ihren Erwartungen?
Benedikt Weibel: Ja, ich bin mit dem erreichten Resultat zufrieden und freue mich darüber.
Das Jahr 2004 war für die SBB auch in finanzieller Hinsicht ein erfolgreiches Jahr. Die reibungslose Inbetriebnahme des neuen Fahrplans für Bahn 2000 und die erfolgreiche Umsetzung unserer Güterverkehrstrategie in Deutschland und Italien machen 2004 in der Tat zu einen unvergesslichen und historischen Jahr.
Obwohl verschiedene ausserordentliche Erträge wegfielen, konnte der Gewinn um 17,7 Mio. Franken gesteigert werden. Welche Punkte waren für die Steigerung verantwortlich?
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SBB haben gut gearbeitet. Das ist das Wesentliche. Alle Bereiche des SBB-Konzerns haben zum positiven Konzernergebnis beigetragen. Dank mehr Effizienz und dank eines konsequenten Kostenmanagements konnten wir die Produktivität auch 2004 weiter steigern. Noch nie reisten so viele Kundinnen und Kunden mit der SBB: Ingesamt 253,4 Millionen Menschen, 2,5 Millionen mehr als im Vorjahr. Auch SBB Cargo erzielte im Binnenverkehr ein Rekordergebnis und erhöhte die Verkehrsleistung um über 13 Prozent. Gleichzeitig steigerte SBB Cargo per 12. Dezember 2004 die Zahl der Güterzüge in Deutschland um das Vierfache und in Italien um das Fünffache.
Der 12. Dezember letzten Jahres mit der Einführung des Bahn-2000- Fahrplans war für die SBB von fundamentaler Bedeutung. Wie haben Sie diesen «historischen» Tag erlebt?
Bereits am Vortag durfte ich neue Bahnangebote für unsere Kundinnen und Kunden eröffnen. Am morgen früh in Luzern die S-Bahn Luzern und anschliessend die neue Stadtbahn Zug. In Glarus schliesslich feierten wir den Start des «GlarnerSprinters», der das Glarnerland direkt mit Zürich verbindet. Ein unvergesslicher Tag. Am 12. Dezember besuchte ich unsere drei Betriebsleitzentralen in Lausanne, Luzern und Zürich. Zahlreiche Medienschaffende begleiteten mich dabei. Um 16 Uhr zogen wir an einer Medienkonferenz in Zürich eine erste Bilanz des neuen Fahrplans. Die Umstellung klappte hervorragend.
Wie hat sich der Angebotsausbau in den letzten vier Monaten auf die Passagierzahlen ausgewirkt?
Wir verfügen derzeit erst über provisorische Zahlen. In den sieben wichtigsten Bahnhöfen – Zürich, Basel, Bern, Lausanne, Genf, Luzern und St. Gallen – haben wir seit dem Fahrplanwechsel gegen zehn Prozent mehr Kundinnen und Kunden gezählt, wobei die Werte von Bahnhof zu Bahnhof und von Linie und Linie variieren. Zudem haben wir beobachtet, wie sich die Zahl der Reisenden in den Nonstopzügen zwischen Bern und Zürich über die Neubaustrecke entwickelt. Auch hier liegen die Zahlen über den Werten des Vorjahres: Der «Neubaustrecken-Effekt» liegt bisher bei plus zwölf Prozent. Wir haben mit Bahn 2000 das Angebot um rund zwölf Prozent ausgebaut. Diesen Angebotssprung müssen wir jetzt in zusätzliche Marktanteile umsetzen. Das ist eine grosse Aufgabe für das Marketing. Die Verkaufszahlen der ersten Monate 2005 weisen in die richtige Richtung.
So erfreulich die Zahlen, so vielfältig die Probleme, die sie mit sich bringen: Vor allem auf den Hauptachsen wie z.B. zwischen Bern und Zürich sind die Züge oft überbelegt, viele Reklamationen zu überfüllten Zügen gab es auch beim Autosalon. Wie gehen Sie dieses Problem an?
Wir hatten tatsächlich nach dem Fahrplanwechsel auf verschiedenen Zügen zu wenige Sitzplätze. Das betraf allerdings nicht die Verbindung Zürich-Bern. Wo es möglich war, haben wir die Züge verstärkt und so Abhilfe geschaffen. Zudem mussten sich namentlich die Berufspendlerinnen und -pendler zuerst an den neuen Fahrplan gewöhnen und herausfinden, welches «ihr» idealer Zug ist. Das hat inzwischen stattgefunden. Die Situation hat sich deutlich entspannt. Was den Automobilsalon in Genf betrifft, reiste gut jeder vierte Besucher aus der Schweiz mit der SBB nach Genf – insgesamt elf Prozent mehr als im Vorjahr. Das ist erfreulich. Dass beim Autosalon jeweils nicht alle Kundinnen und Kunden in allen Zügen immer einen Sitzplatz finden, bedaure ich. Es lässt sich aber nicht verhindern. Die SBB würde ihre Ressourcen schlecht bewirtschaften, richtete sie ihre Kapazitäten auf eine Veranstaltung aus, die lediglich zehn Tage dauert im Jahr. Es ist aber klar: Wir werden uns anstrengen, das SBB-Angebot zum Automobilsalon 2006 noch einmal zu verbessern.
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An der Bilanz-Medienkonferenz haben Sie erklärt, der betriebliche Erfolg einer Bahn beruhe auf den drei Voraussetzungen stabiler Fahrplan, möglichst wenig Störungen auf dem Netz und einem effizienten Störungs- management. Während der Fahrplan stimmt, waren die SBB punkto Störungen und deren Management zuletzt nicht vom Erfolg verwöhnt. Wo liegen die Gründe?
Die grosse Kälte, welche die Menschen in der Schweiz während mehrerer Wochen frieren liess, war auch für den Verkehr auf der Strasse, in der Luft und auf der Schiene eine grosse Belastung. Es fahren nie so viele Leute Zug, wie wenn es Schnee und Eis hat auf den Strassen. Dass viele Automobilisten dann jeweils auf den Zug umsteigen, freut uns natürlich, denn wir verstehen das durchaus auch als Ausdruck des Vertrauens dieser Leute in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Bahn. Auch die SBB hatte Probleme mit der grossen Kälte. Wir kämpften mit Weichenstörungen, mit Schienenbrüchen, mit Lokdefekten. Als es dann wieder wärmer wurde, gingen diese Störungen deutlich zurück. Ich will es aber nicht beschönigen: Alles lässt sich nicht mit der Wetterlage erklären. Zu vieles klappte nicht in diesen Wochen, wobei der Tiefpunkt zweifellos die grosse Computerpanne vom 7. Februar 2005 in Zürich bildete. Zehntausende von Kundinnen und Kunden waren davon betroffen. Wir haben das Ereignis gründlich analysiert und daraus die nötigen Lehren gezogen. Wir können durchaus noch besser werden. Das hat der 7. Februar gezeigt. Jetzt gilt es, an der Qualität zu arbeiten und das Erreichte auf hohem Niveau zu konsolidieren.
Nun gilt es, diese Punkte zu verbessern. Vor allem bei der Information von Störungen und deren Folgen wurden Defizite ausgemacht. Wo setzen Sie hier die Schwerpunkte?
Es ist ärgerlich, wenn die Reisenden bei einer Verspätung nicht oder nicht richtig informiert werden. Unsere Kundinnen und Kunden brauchen rasche, richtige und ehrliche Informationen, wenn etwas nicht rund läuft. Darauf haben sie ein Anrecht. Bei gestörten Betriebsverhältnissen informieren wir die Reisenden tatsächlich häufig nicht gut. Auch hier wollen wir uns deutlich verbessern: Wir vereinfachen die Lautsprecherdurchsagen und richten in den Betriebsleitzentralen zusätzliche Arbeitsplätze ein für eine bessere Koordination im Störungsfall. Und wir müssen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch weiter sensibilisieren und schulen für die Information der Kundinnen und Kunden. Daran arbeiten wir.
Zum Güterverkehr: Auch hier war das vergangene Jahr für die SBB Cargo ein Schlüsseljahr. Was waren die Eckpunkte und wie stufen Sie den Erfolg in diesem Bereich ein?
Wie erwähnt, verzeichnete SBB Cargo 2004 im Binnenverkehr in der Schweiz ein Rekordergebnis. In Deutschland und in Italien fährt SBB Cargo seit dem Fahrplanwechsel im Dezember deutlich mehr Züge: In Deutschland führen wir derzeit wöchentlich rund 320 Güterzüge, in Italien sind es rund 210 Züge pro Woche. Damit wurde erstmals auf einem internationalen Korridor der sogenannte «open access» in grossem Stil realisiert. Das ist, was die Güterverkehrskunden wollen: einen einzigen Gesamtverantwortlichen für den Transport über alle Landesgrenzen hinweg. Und die freie Wahl zwischen verschiedenen Carriern. Mit überaus kurzer Vorbereitungszeit hat SBB Cargo unsere Auslandstrategie in Deutschland und Italien erfolgreich umgesetzt. Das ist ein wichtiger Schritt für das ganze Unternehmen.
Ein Thema, welches Ihnen weniger Freude bereitet, ist die Pensionskasse der SBB. Trotz einschneidender Sanierungsmassnahmen resultierte ein Verlust von 200 Mio. Franken und der Deckungsgrad ging auf 83,4 % zurück. Wo liegen die Gründe für die sehr schwierige Situation und welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie?
Die Gründe sind bekannt: Mit dem Start der SBB als Aktiengesellschaft wurde die Pensionskasse SBB vom Bund per Januar 1999 ausfinanziert. Das war – rückblickend gesehen – angesichts der seitherigen Entwicklung der Finanzmärkte ein äusserst ungünstiger Zeitpunkt. Zudem wurde die Pensionskasse ohne Schwankungsreserven ausfinanziert. Während andere Kassen in den schwierigen Jahren nach 1999 von den Schwankungsreserven zehren konnten, die sie zuvor in den guten Jahren hatten anlegen können, blieb der Pensionskasse SBB diese Möglichkeit verwehrt. Mit spekulativen Geschäften oder Managementfehlern hat das nichts zu tun. Die bestehende Problematik wird zudem wesentlich durch ein Strukturproblem verschärft: Über die Hälfte der Versicherten sind Rentenbezüger, deren wohl erworbene Rechte auf einer Zinsbasis von vier Prozent basieren und die gemäss geltender Rechtsordnung nicht zur Sanierung hinzugezogen werden können. Weiter belastet wird die Situation durch das Vorhandensein von zwei Kategorien von Rentenbezügern mit unterschiedlichen Rechten: Die so genannten «Altrentner», die als ehemalige Bundesbeamte des Regiebetriebes SBB pensioniert wurden. Und die «Neurentner» der SBB AG. Die Diskussion über die Einführung des Beitragsprimats, verbunden mit einer Reduktion des technischen Zinssatzes, hat gezeigt, dass sich das Problem der Altrentnerbestände auch für die Pensionskasse des Bundes «Publica» und für die PK der Post stellt. Der Bundesrat hat daher mit Beschluss vom 19. Januar 2005 eine Projektorganisation unter Federführung des EFD und mit Vertretern des UVEK sowie der ehemaligen Bundesbetriebe Post und SBB beauftragt, Lösungsvorschläge zur Behandlung der Rentenbestände unabhängig vom Primatswechsel auszuarbeiten und dem Bundesrat bis Ende 2005 einen Bericht zu unterbreiten. Ich bin gespannt.
Die Pensionskasse dürfte auch die Jahresrechnung 2005 belasten. Von was für einem finanziellen Ergebnis der Gesamtunternehmung gehen Sie in diesem Jahr aus?
Tatsächlich werden die Probleme unserer Pensionskasse uns auch im laufenden Jahr belasten. 2004 mussten wir gemäss unseren Rechnungslegungsgrundsätzen 150 Millionen Franken zusätzliche Zuweisungen an die Rückstellungen für die Pensionskasse vornehmen. Im Moment gehen wir davon aus, dass diese Rückstellungen 2005 wiederum 150 Millionen Franken betragen werden. Alles in allem wollen wir 2005 ein Ergebnis in der Grössenordnung des Vorjahres erzielen.
Letzte Frage: Das «historische Jahr» haben die SBB nun hinter sich, die Folgeaufgaben haben Sie angesprochen. Wo liegen die sonstigen Schwerpunkte für die SBB in diesem und dem nächsten Jahr?
Wir wollen den Betrieb auf dem hohen Niveau des neuen Fahrplans konsolidieren und die qualitative Substanz mehren. Diese Herausforderung stellt hohe Ansprüche ans ganze Unternehmen, an alle Mitarbeitenden und an die Führung der SBB. Eine der für mich schönsten Erfahrungen rund um dem 12. Dezember 2004 war es zu sehen, mit welcher Professionalität die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SBB die grösste operative Aufgabe der modernen SBB vorbereitet und erfolgreich umgesetzt haben. Die Realisierung eines solch komplexen Vorhabens verlangte von den Mitarbeitenden in einem hohen Mass Engagement, Fachkompetenz und Innovationsbereitschaft, aber auch Teamfähigkeit und Spass an der Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Der 12. Dezember 2004 hat gezeigt: Das alles haben unsere Mitarbeitenden gebracht. Dafür danke ich den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern und allen, die mitgeholfen haben. Diese Leute wollen die Zukunft der SBB und damit wohl auch ein Stück der Zukunft der Schweiz aktiv mitgestalten. Wir sind bereit für die neuen Herausforderungen.
Dr. Benedikt Weibel
Titel:&
Vorsitzender der Geschäftsleitung SBB
Jahrgang:
1946
Zivilstand:
Verheiratet, drei Kinder
Heimatort:
Rapperswil/BEnbsp;
Ausbildung
Schulen bis zur Matura Typ C
Betriebswirtschaftliches Studium in Bern
1971: lic.rer pol
1977: Dr rer pol
Berufliche Laufbahn
1971?1978 Assistent am betriebswirtschaftlichen Institut der Universität Bern
1978& Eintritt bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) als Sekretär des Präsidenten der Generaldirektion
1981& Einsatz in der Arbeitsgruppe Hayek ? SBB
1982& Halbes Jahr Stage beim Migros-Genossenschafts-Bund
1983& Generalsekretär SBB
1986& Direktor Marketing Personenverkehr SBB
ab 1.4.1990 SBB-Generaldirektor, Departement Verkehr
ab 1.1.1993 Präsident der Generaldirektion SBB
ab 1.1.1999 Vorsitzender der Geschäftsleitung der SBB