Fallende Gärten und campierende Engel an der 50. Biennale in Venedig


An der 50. Internationalen Biennale, eine der wichtigsten internationalen Ausstellungen, präsentiert die Schweiz Arbeiten dreier junger Künstler. Die Werke sind poetisch optimistisch oder doch pessimistisch?


Schweizer Beitrag an der 50. Biennale von Venedig: «Fallender Garten» von Steiner/Lenzlinger in der Kirche San Staë. (BAK)
Das Bundesamt für Kultur organisiert die Präsentation einer Arbeit von Emmanuelle Antille im Schweizer Pavillon auf dem Biennalegelände sowie eine Installation des Künstlerpaars Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger in der Kirche San Staë. Die zwei vom BAK betreuten Ausstellungen bieten einen Einblick in das jüngere Schweizer Kunstschaffen: Im Schweizer Pavillon zeigt die 1972 geborene und in Lausanne lebende Künstlerin Emmanuelle Antille ihre Filminstallation Angels Camp.

In dem am Canal Grande gelegenen barocken Kirchenraum von San Staë richten die 1964 geborene Künstlerin Gerda Steiner und der 1967 geborene Künstler Jörg Lenzlinger ihre Installation Fallender Garten ein.

Angels Camp besticht durch eine überwältigende Fülle verschiedener Elemente: Um das Kernstück – einen Spielfilm – gruppieren sich verschiedene Videoinstallationen, eine Toninstallation, eine Diaschau, Musik, Texte, ein Leuchtobjekt und Fotografien. Die Künstlerin ist sowohl Autorin als auch Regisseurin dieser Arbeit und tritt zudem als Sängerin auf.

Die wundersamen Gärten von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger
Die Installation Fallender Garten des Künstlerpaars Steiner/Lenzlinger spürt der spezifischen Stimmung in der Kirche San Staë nach. Über einem Bett im Zentrum des Kirchenschiffs wuchert ein zartes Geflecht aus Pflanzenteilen in lichter Leichtigkeit. Samen, Blüten und Zweige, sowohl künstliche als auch natürliche, finden sich im Fallenden Garten mit farbigen Kristallseen zu einer eigenen Natur zusammen. Die Stengel, Fasern und Kelche hat das Künstlerpaar auf seinen weiten Reisen sorgfältig zusammengetragen und vereint sie hier zu einer Flora kluger Fröhlichkeit und ungebrochenen Glaubens an das Wunderbare. Die Künstler wollen verzaubern. Die von ihnen geschaffene Makrobiologie bildet einen neuen Kosmos möglicher Natur.

Posie der Salzkristalle
Gerda Steiner ist als Autorin raumgreifender Wandmalereien bekannt, deren geschwungene Linien und kräftige Farben an die psychedelischen Muster der 60er Jahre erinnern. Jörg Lenzlinger hat sich auf den experimentellen Umgang mit industriell hergestelltem Harnstoff spezialisiert, der unter seiner Präparation zu bunten Tropfsteingebilden und kristallinen Landschaften abscheidet. Gemeinsam entwickeln sie grossräumige, vielteilige Installationen, kleine Wunderländer, die ihre Geschichten mit verspieltem Charme und ironischem Augenzwinkern erzählen.


Die Barockkirche San Staë am Canal Grande ist wie jede Kirche ein Raum der mystischen Erfahrung und der Wunder. Die Installation von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger fügt diesem Ort der wundersamen Geschichten keine weitere hinzu. Vielmehr wird das Wunder als direkte mystische Erfahrung

inszeniert, dem etwas strengen und kühlen Kirchenraum entgegenwirkend: Ein Pflanzenregen zieht von der Decke herab durch den Raum, ein fallender Garten – wie ein angehaltener Atemzug -, der an gewissen Stellen in farbige Kristallseen übergeht. Die Besucherinnen und Besucher sollen durch den Raum gehen und von einem in der Mitte installierten Bett aus den Fruchtbarkeitsregen zu empfangen.

Ihre Installationen sind atemberaubend schön. Und zugleich verströmen sie einen Hauch von ewiger Eiszeit.

Das Werk überlässt es den Besuchern zu entscheiden, ob es sich um eine optimistische oder pessimistische Atmosphäre handelt. (bak/gh/th)


Emanuelle Antille 
Emmanuelle Antille (geb. 1972), Absolventin der Genfer Ecole Supérieure d’Art Visuel, produziert seit 1997 Videos, die sie zu umfassenden Installationen ausbaut. In ihren Filmen entwickeln sich Geschichten zwischen Realität und Traum: Banale Szenen des Alltäglichen steigern sich zu seltsamen, emotionsgeladenen Ritualen. Ängste und Wünsche, verborgene Phantasien scheinen aus den Figuren hervorzubrechen und das Geschehen in eine Sphäre des Magisch-Irrealen zu treiben.
Ein Film wie eine Saga 
Ursprüngliche Energie
 
Die ursprüngliche Energie der Bilder wurde im Film «Angels Camp» von Emmanuelle Antille gebannt. Es ist ein Film wie eine Saga, in deren Verlauf sich die Protagonisten, die nur schlecht in die Welt passen, in der sie sich bewegen, in eine wilde Landschaft zurückziehen und ein Gedächtnis und eine neue Familie ausbilden. «Angels Camp wird zum geistigen Ort“ zwischen Traum und Wirklichkeit. 
Ein Zusammenspiel mehrerer Arbeiten
 
«Angels Camp» spielt weit weg von der städtischen Zivilisation, eingebettet in die Landschaftskulisse der Broye in der Schweiz.
Die Inszenierung skizziert eine Poesie der Gesten, eine imaginäre Sprache und einer Art zu kommunizieren. Im Lauf der Erzählung entsteht ein Beziehungsnetz.
Die Tonspur zum Film ist eine Mischung von Melodien, Tönen und ein Rauschen der Natur, was den Bildern eine ursprüngliche Energie vermittelt. Diese «Balladen» evozieren eine hypnotische Atmosphäre.
Die Arbeit von Emmanuelle Antille besteht darin, dass sie eine Erzählstruktur komponiert, einen fassbaren und umfassenden Raum, der sich um «das Crescendo der Emotionen“bündelt wie bei einem Theaterstück.
Der Zuschauer wird eingeladen, die Intimität der Beziehungen unter den Personen mitzufühlen.
Zum Schluss charakterisiert sich «Angels Camp» als Zusammenspiel mehrerer Arbeiten, bestehend aus einem Spielfilm, einer Serie von Fotoporträts, einer Ton- und Videoinstallation, Objekten sowie einem Roman.
Wie es eine der Figuren am Ende des Films sagt: «Angels Camp war der Ort, der uns verbunden hat. Ein Ort, wo wir unsere Träume vergraben haben, unsere Jungfräulichkeit und alle anderen verlorenen Dinge, die wir nie wiedersehen werden“.

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