Fondation Beyeler Basel: René Magritte – Der Schlüssel der Träume

An René Magritte beeindruckt besonders seine Virtuosität im Umgang mit alltäglichen Bildmotiven, die er in oft schockierender Weise verändert. Damit stellt er nicht nur unsere Sehgewohnheiten in Frage, sondern er beschäftigt sich mit der Funktion des Bildes in einer auch für die zeitgenössische Kunst bahnbrechenden Weise.








Der zweite Blick
Auf den ersten Blick fällt die Besonderheit der faszinierenden Serie von Gemälden, die den Titel
L? Empire des lumières trägt, gar nicht auf. Erst bei längerer Betrachtung erkennt man, dass die dargestellte nächtliche Strassenszene mit dem Schein der Strassenlaternen und den beleuchteten Fenstern von einem hellen, mittäglich blauen Sommerhimmel überstrahlt wird. Erst langsam wird, bei einem anderen Gemälde, Le Mois des vendanges der beklemmende Kontrast zwischen einem leeren Zimmer und einer Ansammlung fast identisch aussehender, die berühmte Magrittesche Melone tragender Männer deutlich, die durch das geöffnete Fenster in den Raum hineinblicken.


 


Eine unsauweichliche Auseinandersetzung
Dieser Prozess des allmählichen Erkennens, zu dem der Künstler sein Publikum geradezu zwingt, der Vorgang der unausweichlichen Auseinandersetzung mit dem Bild, ist das grosse Faszinosum von Magrittes Kunst. Nach Ansicht Magrittes ereignet sich bei dieser notwendigen Beschäftigung mit den Bildern ein »Mysterium«, das ausschliesslich zwischen der Individualität des Betrachters und dem Bild selbst stattfindet, also nicht erklärbar ist. Dass er darüber hinaus Fragen der Bildfunktion behandelt, die von allgemeiner Bedeutung und gerade heute, im Zeitalter der Bildmanipulation, von grösster Brisanz sind, zeigt seine Aktualität und sein immer wieder erstaunliches Gefühl für brennende kulturelle Fragen, die er in seinen Bildern aufgreift.







»Die berühmte Pfeife … Man hat sie mir zur Genüge vorgehalten! Und trotzdem … können Sie sie stopfen, meine Pfeife? Nein, nicht wahr, sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich also unter mein Bild >Dies ist eine Pfeife< geschrieben, so hätte ich gelogen!«  René Magritte


Die Wirklichkeit der Bilder relativiert
Mit seiner geradezu entwaffnend einfachen Bild- und Schriftformel hat Magritte nicht nur gezeigt, dass jedes Bild Abstraktion ist, er hat auch die Wirklichkeit


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der Bilder relativiert und zwar in beide Richtungen: Weder existiert Sache als Bild, ohne Form zu sein, noch Form als Bild, ohne Sache zu sein. Der »Verrat der Bilder« besteht darin, dass Bilder fortwährend so tun, als würden sie etwas Reales zeigen, obwohl sie doch »nur« ein Bild oder ein Abbild von etwas sind.








Das Leben des Mannes mit der Melone
René Magritte wurde 1898 in Lessines in Belgien geboren. Er stammte aus einem kleinbürgerlichen Milieu vordergründiger Wohlanständigkeit, hinter dem er die eigene Person Zeit seines Lebens versteckte. Die stets korrekte Kleidung, die Melone, die kleine, bescheidene Wohnung mit dem Atelier im Wohnzimmer, das war die sorgfältig gehütete Fassade, die »Leichen im Keller« vermuten lässt. Von diesen Abgründen erzählt seine zu Bildern gewordene Phantasie. Ein in seinen Werken immer wieder verarbeitetes, bestimmendes Erlebnis seiner Kindheit war die Depression und der Selbstmord seiner Mutter.


Avantgardistische Stilrichtungen
Früh zeigte sich Magrittes künstlerische Begabung und früh verliess er sein Elternhaus, um mit Unterbrechungen von 1916 bis 1921 an der Brüsseler Académie royale des Beaux-Arts zu studieren. Während seiner Studienzeit und der darauf folgenden Jahre schlug er sich als Werbegraphiker durch und scheint als Künstler verschiedene avantgardistische Stilrichtungen regelrecht ausprobiert zu haben. Durch die Begegnung mit dem Schriftsteller und seinem späteren Mentor Paul Nougé erhielt Magritte Kontakt zu den belgischen Surrrealisten. Als Maler angeregt vor allem durch Giorgio de Chirico, begann Magritte Mitte der zwanziger Jahre seine persönliche Bildsprache und seine charakteristischen Motive zu entwickeln. Eines seiner frühesten surrealistischen Bilder ist Le Jockey perdu von 1926 (Der verlorene Jockey, Kat. 1); dort tauchen zum ersten Mal die später immer wieder gemalten gedrechselten Holzkegel auf, die »bilboquets«, wie sie der Maler nach einem alten Geschicklichkeitsspiel benannt hat. Kurze Zeit später sieht man auf seinen Bildern die ersten Männer mit Melone (Le Sens de la nuit, Der Sinn der Nacht, 1927, Kat. 8).











André Breton und die französischen Surrealisten
Von 1927 bis 1930 lebte Magritte mit seiner Frau Georgette bei Paris und stand in Verbindung mit André Breton und den französischen Surrealisten. Durch die Anregungen in Frankreich scheint Magritte sein Selbstbewusstsein als Maler gefunden zu haben. Er hat unmittelbar vor, während und nach dem Parisaufenthalt, der bis zu seinem Tod in Uccle bei Brüssel im Jahr 1967 sein einziger längerer Auslandsaufenthalt bleiben sollte, die verschiedensten Bildmöglichkeiten erprobt, von denen einige bis an sein Lebensende variiert werden: die »abstrakten« Objekte wie in Le Brise-lumière die quasi figurativen Gemälde mit verschiedenen Bildebenen wie Les Figures de nuit (Die Gestalten der Nacht, 1927, Kat. 16) und die ersten Sprachbilder wie L? Espoir rapide.







Bildern von Objekten werden Bezeichnungen zugeordnet, die nicht zu ihnen passen scheinen
Die beklemmende und latente Erotik wie etwa in Les Jours gigantesques, wird zum weiteren Markenzeichen Magrittes. Obwohl er immer verneint hat, von der modernen Psychoanalyse beeinflusst worden zu sein, scheint seine Bildserie La Clef des songes doch den Kern der Sache zu treffen.


Die makellos »glatte« Malerei
René Magritte war kein Künstler, der in seinen Bildern zu politischen Themen offen Stellung bezogen hätte. Trotzdem lassen etwa einige seiner Berglandschaften, seine »versteinerten« Bilder oder das unheimliche Bild eines Jägers, der von einer Mauer verschluckt wird, die angespannte Stimmung während der schwierigen Zeiten vor und nach 1945 erkennen. Auch hier zeigt sich Magritte als ein Künstler, der zwar durch makellos »glatte« Malerei etwas unmittelbar Deutliches zu sagen scheint, dessen eigentlicher Sinn sich aber erst im Prozess des Verstehens ergibt oder als das Magrittesche »Mysterium« offenbart. (fb/mc/th)

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