HP und IBM buhlen um RTC

Es gibt die «offiziellen» Themen an Kongressen, die in den Programmheften aufgeführt und über die die Besucher – geht es nach dem Willen der Veranstalter und Sponsoren – diskutieren sollten. Und dann gibt es die «inoffiziellen» Themen, die die Leute wirklich interessieren. So lautete die meistgehörte Frage am ersten Tag des Finanz-IT-Kongresses ‹Finance Forum›: «Kauft IBM RTC?»
 
Deal mit IBM noch nicht unter Dach und Fach
Inside-it.ch weiss: Der Kauf von RTC durch IBM ist – anders als viele glauben – noch keine beschlossene Sache. Denn nicht nur IBM ist an RTC interessiert, sondern auch Hewlett-Packard. Denn offenbar sind die Verhandlungen zwischen IBM und der grössten RTC-Aktionärin, der Berner Kantonalbank (BEKB), (noch?) nicht zur Zufriedenheit der Bank verlaufen. Dies bot Hewlett-Packard die Gelegenheit, mit einer eigenen Offerte dem wichtigsten Konkurrenten den geplanten Coup im Schweizer Bankenmarkt entweder zu vermiesen oder dann wenigstens zu verteuern.
 
Verkaufs-Entscheid soll Mitte Dezember fallen
Zur Zeit unterzieht HP, wie man aus gut informierten Quellen hört, RTC einer vertieften Buchprüfung, der so genannten «due diligence». Den definitiven Entscheid, den grossen Berner IT-Dienstleister RTC und Softwareentwickler zu verkaufen, soll der Verwaltungsrat der BEKB an einer Sitzung Mitte Dezember fällen, sagen gewöhnlich gut informierte Leute aus der Bankenszene.
 
Weder Hewlett-Packard noch IBM wollten auf Fragen von inside-it.ch zum RTC-Deal Stellung beziehen. Die Berner Kantonalbank bestätigt Verhandlungen mit möglichen Kooperationspartnern, ohne diese aber zu nennen. «Die BEKB | BCBE hat sich schon vor einiger Zeit entschlossen, auf der Software-Plattform IBIS weiterzuarbeiten. Dabei ist die Zusammenarbeit mit einem starken Partner eine Option. Zurzeit finden Kooperationsgespräche mit möglichen Partnern statt. Parallel dazu setzt RTC den Weg zum Profit- und Dienstleistungszentrum fort,» schreibt BEKB-Sprecher Hanspeter Merz in einem E-Mail.
 
Hintergrund: Die plötzliche Einsamkeit der Berner Kantonalbank
Im Hintergrund des geplanten Entscheids zum Verkauf von RTC steht das Debakel um die Neuentwicklung der Kernbankenlösung IBIS. Zwar erreichte RTC mit der Einführung von «IBIS3G» bei der Berner und der jurassischen Kantonalbank und bei der Sparkasse Bundespersonal über vergangene Pfingsten einen wichtigen Meilenstein. Doch die Entwicklung von «IBIS3G» hatte sich in den vergangenen Jahren so sehr verzögert, dass Drittkunden wie die RBA-Gruppe, die Migros Bank und die Basler, Baselbieter und Aargauer Kantonalbanken einer nach dem anderen absprangen.
 
Damit verteuerten sich Entwicklung und Betrieb und vor allem auch die Weiterentwicklung der Kernbankenlösung für die BEKB wesentlich, denn es gibt keine weiteren Bankenanwender, mit denen man die gigantischen Kosten für die Lösung teilen könnte. Auch macht es wenig Sinn, wenn eine mittelgrosse Bank wie die BEKB ein eigenes Rechenzentrum samt einer grossen Software-Entwicklungsabteilung unterhält. RTC beschäftigt immerhin 750 Mitarbeitende (Stand März 2009), wobei immer wieder Gerüchte über einen bevorstehenden Stellenabbau die Runde machen.
 
Für IBM oder HP würde Kauf Sinn machen
Sowohl für IBM wie auch für HP könnte sich die Übernahme von RTC hingegen lohnen. So hat IBM-Schweiz-Chef Daniel Rüthemann das grundsätzliche Interesse seiner Firma an einer allfälligen Übernahme von RTC nie versteckt. Denn wie schon beim «Kauf» von Unicible käme IBM (oder HP) zu einem grossen, modernen Rechenzentrum in Bern, einem wichtigen Bankkunden, einer modernen Kernbankenapplikation für mittelgrosse Retailbanken sowie vielen hoch qualifizierten Entwicklern. Zudem besteht immer noch die Möglicheit, dass sich die Waadtländer Kantonalbank, die heute noch ihr veraltetes System Osiris von IBM betreiben lässt, für IBIS3G entscheidet. In diesem Fall würde aus dem «Loser» RTC plötzlich ein Gewinner, denn BCV und BEKB sind zusammen gross genug, um echte Skaleneffekte zu erzielen. (inside-it/mc)

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