Kunsthalle Basel: Die Gerade ist eine Utopie

Der Titel der Ausstellung ist entlehnt aus Malcom Lowrys berühmten Roman Unter dem Vulkan, der 1947 veröffentlicht wurde und als eine der wichtigsten Analysen der Krise der Moderne im 20. Jahrhundert gilt. Die erzählerische Struktur des Buches ist zeitlich und örtlich am «Tag der Toten», am 1. November 1939 ? zwei Monate nach dem Ausbruch des 2. Weltkriegs ? in der halbfiktiven Stadt Quauhnahuac verankert, für welche die mexikanische Stadt Cuernavaca Modell stand und in welcher Lowry 1936 gelebt hat. Während dieser Zeit war Mexiko aufgrund seiner linksgerichteten Politik ein beliebtes Reiseziel und Exilland für viele SchriftstellerInnen und politische AktivistInnen (u. a. Sergei Eisenstein, Antonin Artaud, Leo Trotzki und Luis Buñuel). Die gesellschaftliche Situation Mexikos war damals geprägt von einem fruchtbaren Klima eines lebendigen Kulturaustauschs und gleichzeitig herrschte eine relative Freiheit von politischer Aktivität. Der Hauptprotagonist des Buches ist Geoffrey Firmin, ein britischer Konsul in Quauhnahuac, dessen existentieller Kampf und ultimatives Scheitern in der Erzählung zu Metaphern für den Fortschritt und den gleichzeitigen Rückfall des modernen Menschen werden.


Die Idee der Reise nach Mexiko, sei es physisch oder mental, und die damit verbundenen Vorstellungen und die Verarbeitung von vorgefundenen Realitäten in bestimmten, abgelegenen Ländern, wird von den beteiligten KünstlerInnen untersucht, als Bedingung und Mittel, Kunst zu machen.


Maria Thereza Alves (*1961) und Jimmie Durham (*1940) haben einige Jahre in San Anton, einem Vorort von Cuernevaca, gelebt und sich aktiv für Umweltschutz und Menschenrechte der indianischen Bevölkerung eingesetzt. Die Installation ist ein persönliches Archiv, das von ihren eigenen Erfahrungen in Mexiko erzählt. In Cuernavaca haben Alves und Durham den mexikanischen Künstler Cisco Jiménez (*1969) kennen gelernt und mit ihm zusammen verschiedene Projekte realisiert. In der Ausstellung ist Jiménez mit dem Werk Holy death with pacifiers, 2000 vertreten, das eine auf einem Wandtuch gemalte Madonnendarstellung der «Santa Muerte» («Unserer Heiligen Frau der Drogenopfer und Dealergangs») zeigt.


Die Ausstellung schliesst auch Robert Smithsons (1938 – 1973) Partially Buried Woodshed (1970)mit ein, vier Fotografien und Filmmaterial der Arbeit, die den Einsturz eines Holzschuppens dokumentieren. Smithson hat seine Arbeiten oft auf Reisen und Exkursionen an einem spezifischen Ort entwickelt und so die Grenzen konventioneller Ausstellungssituationen reflektiert.


Spiegelungen der Zeit
Eine andere Reise hat Smithson 1969 nach Mexiko geführt, nach welcher sein Aufsatz Incidents of Mirror-Travel in the Yucatan (1969) entstanden ist. In diesem Text nimmt er Bezug auf John L. Stephens berühmten, gleichnamigen Bericht seiner Forschungsreise nach Mexiko 1841, der Beschreibungen von Architekturen und Monumenten der vergangenen indianischen Hochkultur enthält.


Como nace y crece un volcán
Weitere kulturhistorische Bezüge zur Geschichte Mexikos werden mit dem Buch Como nace y crece un volcán: el Parícutin von Dr. Atl (Gerardo Murillo) (1875 ? 1964) aufgenommen. Dieses enthält quasi-wissenschaftliche, aber dennoch mit künstlerischem Anspruch gemalte Zeichnungen und Gemälde von Dr. Atl, der während 1943-1950 den Ausbruches des Vulkanes Parícutin beobachtet hat.


Friederike Clever (*1971) ist diesen Sommer nach Mexico gereist und hat Vulkane wie den Popocatépetl und Nevado de Toluca besucht, sowie Archäologen bei Ausgrabungen begleitet. Zurück in ihrem Atelier in Berlin, entwickelte Clever neue Arbeiten mit verschiedenen Abdruckverfahren sowie Zeichnungen, die in enger Beziehung zu den Orten stehen, die sie besucht hat.


Die schottischen Künstler Ross Birrell (*1969) und David Harding (*1938) haben sich ebenfalls auf eine Reise nach Mexiko begeben. Während dieser Zeit haben sie einen halb-dokumentarischen Film gedreht, indem unter anderem mehrere Zeitzeugen zu Wort kommen, die Malcom Lowry gekannt haben.


Die Basler Künstlerin Hildegard Spielhofer (*1966) präsentiert Fotografien aus ihrer aktuellen Serie Ultimo Viaggo, 2006 («Die letzte Reise»), die in den letzen sieben Jahren auf den Reisen der Künstlerin an die Küste Nordsardiniens entstanden sind. (khb/mc/th)

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