Nancy Barry: «Mikrofinanzierung ist für alle attraktiv»


Bankgeschäfte mit den Armen boomen in der Dritten Welt. Jetzt werden auch westliche Grossbanken aufmerksam und interessieren sich für Mikrofinanzierung. Nancy Barry, Präsidentin von Women’s World Banking, sagt dem Segment eine grosse Zukunft voraus.

Von David Strohm


Von der Weltbank zur Women’s World Bank: Nancy Barry (pd)
Moneycab: Nancy Barry, Sie machen hier in der Schweiz Werbung für einen noch unbekannten Zweig des Bankgeschäfts. Was ist eigentlich Mikrofinanzierung?

Nancy Barry: Mikrofianzierung ist einerseits Kreditvergabe in Kleinstbeträgen – ab 50 Dollar bis zu 1000 Dollar. Die Kredite werden von der armen Bevölkerung eingesetzt, um die ganz kleinen Unternehmen zu betreiben. Damit schaffen diese Einkommen und Vermögen; nicht viel, aber nachhaltig. Anderseits umfasst der Begriff aber auch Sparen.


Gerade diese Leute haben eine bislang wenig genutzte Fähigkeit zu sparen, für ihre Behausung, die Ausbildung ihrer Kinder und für die Altersvorsorge. So können die Armen dieser Welt ihre Lage entscheidend verbessern – nicht nur ihre eigene, sondern oft auch jene des ganzen Dorfes oder der Nachbarschaft.


Mikrofinanzierung ist inzwischen auch ein Thema bei den Notenbanken rund um die Welt. Die Grossbanken, Ratingagenturen und Versicherungskonzerne interessieren sich dafür. Weshalb erhalten die ganz Armen plötzlich eine solche Aufmerksamkeit?
Das Überraschende an Mikrofinanzierung ist, das es sowohl für die Armen funktioniert, als auch für die Institutionen, die diese Kunden bedienen. Innerhalb des Netzwerks von Women’s World Banking zum Bespiel haben wir 14 Millionen Kredite mit einem durchschnittlichen Kreditbetrag von 340 Dollar ausstehend. Die «faulen» Kredite machen nicht einmal 1,5 Prozent unseres gesamten Portfolios aus. Die Institutionen, die sich auf Mikrofinanzierung spezialisieren, erbringen eine erstaunliche Leistung. Davon wollen die Grossen profitieren – und natürlich mitverdienen. Wie schaffen es diese Institutionen, mit Produkten, welche die normalen Geschäftsbanken links liegen lassen, eine höhere Rendite als diese zu erwirtschaften?
Zum einen sind deren Kunden viel zuverlässiger. Diese Leute, speziell aber die Frauen, die besonders sorgsam mit fremdem Geld umgehen können, zahlen bei den traditionellen Geldverleihern in diesen Ländern sehr hohe Zinssätze. Unsere Institutionen verleihen Geld zu tieferen Sätzen, die immer noch lukrativ sind. Zum anderen haben wir es hier mit einem bedeutenden Teil der Volkswirtschaft in vielen Ländern zu tun. Arme müssen arbeiten, um zu überleben. Sie verfügen über einen besonders ausgeprägten ökonomischen Sinn. Sie können mit Ressourcen sehr gut umgehen, es sind echte Unternehmer. Was können die westlichen Banken daraus lernen?
Eine wichtige Erkenntnis aus dem Erfolg der Mikrofinanzierung ist, dass der normale Bankensektor offenbar nicht so effizient arbeitet wie angenommen. Viele grosse Banken im Westen kennen ihre Kostenstrukturen erst seit kurzem im Detail – ganz im Gegensatz zu den MF-Institutionen, die ohne genaue Kostenkontrolle gar nicht existieren könnten. Weil Mikrofinanzierung oft der ganzen Volkswirtschaft gut tut, ändern viele Länder ihre Regulierung, um der Sache zum Durchbruch zu verhelfen. Heute erreichen die Institutionen der Mikrofinanzierung erst gegen 40 Millionen Menschen. Das Kreditvolumen beträgt bescheidenen 16 Milliarden Dollar. Wie gross ist das Potenzial?
Wir erwarten, dass dieser Bereich jährlich um etwa 30 Prozent wachsen wird. Es gibt weltweit etwa eine halbe Milliarde Menschen, die als Kunden in Frage kommen. Und in den grossen Ländern – Mexiko, Brasilien, Indien und China – stehen wir erst ganz am Anfang. Das Potenzial ist ernorm. Mikrofinanzierung hat eine grosse Zukunft vor sich. David Strohm (swisscontent)


Die Gesprächspartnerin

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