Peter Degen, CEO Sidroga: «Phytopharmaka sind der Chemie weit überlegen»
Von Lukas Schweizer
Moneycab: Herr Degen, 2003 war für Sidroga nicht unbedingt erfolgreich, der Umsatz ging um 17,5 Prozent auf 30,2 Millionen Franken zurück, der Betriebsgewinn von 2,2 auf 2 Millionen Franken. Was ist schief gelaufen?
Peter Degen: In einem stagnierenden Markt konnte Sidroga im Kerngeschäft Arznei- und Wellnesstees um 6 Prozent wachsen. Wir sind mit dem Resultat nicht unzufrieden. Der Umsatzrückgang ist auf die Schliessung der eigenen Teepackfabrik im Vorjahr zurückzuführen. Wir haben damals den Ausstieg aus dem unrentablen Lebensmittelgeschäft vollzogen und konzentrieren uns seither auf unsere Kernkompetenzen im Geschäft mit pflanzlichen Arzneimitteln mit dem Schwerpunkt Arzneitee.
Was tun Sie, damit es dieses Jahr besser aussieht?
Die Marke «Sidroga» soll über den Arzneitee hinaus zur Kompetenzmarke für pflanzliche Arzneimittel weiter entwickelt werden. Wir haben in diesem Jahr unseren Aussendienst intensiv geschult, um in der Apotheke – in der Schweiz auch in der Drogerie – Beratungskompetenz an das Fachpersonal weiter zu geben. Die Fachberatung am Verkaufspunkt ist für unser Sortiment von grösster Bedeutung, da es ausschliesslich aus Selbstmedikationsprodukten besteht.
Wie sehen die Erwartungen für das laufende Jahr aus?
Wir erwarten, die geplanten Umsätze in der Schweiz und in Österreich zu erreichen. In Deutschland hat uns die Gesundheitsreform einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Die Kundenfrequenz in den Apotheken ist spürbar gesunken und damit auch der wichtige Umsatzträger der Spontankäufe. Wir gehen aber davon aus, dass sich die gezielten Abverkaufsaktionen im zweiten Halbjahr bezahlt machen. Wir hoffen damit trotz des rückläufigen Gesamt-OTC-Marktes zumindest auf Vorjahresniveau abzuschliessen.
Sidroga befindet sich mitten in einem Veränderungsprozess. Was verändert sich?
Wir befinden uns auf dem Weg von einer Teefirma zu einem Phytopharmaka-Unternehmen. Dieser Prozess verlangt von allen Mitarbeitenden ein hohes Mass an Veränderungs- und Risikobereitschaft. Sidroga hat gezielt die Kompetenzen in den Bereichen Produktentwicklung und OTC-Marketing ausgebaut und kann heute auch Selbstmedikationsprodukte ausserhalb der klassischen Arzneiteelinie erfolgreich vermarkten.
2003 haben Sie, nach Ihren eigenen Angaben, Meilensteine gesetzt. Die Bevölkerung hat diese nicht in dem Sinne wahrgenommen. Was haben Sie getan?
Das letzte Jahr hatte für Sidroga besondere Bedeutung, weil wir mit der Augenspülung «Sidroga Camomilla» und den Beruhigungsdragees «Sidroga Passiflor» zwei wichtige Produkte aus der eigenen Entwicklung mit Erfolg eingeführt haben.
Sie wollen im Verkaufskanal Apotheke Veränderungen vornehmen, wollen gezielter auf die Kundenwünsche eingehen. Wie stellen Sie sich das vor?
Apotheken sind ganz unterschiedlich ausgerichtet. Es gibt stark frequentierte Apotheken, die vor allem auf die schnelle, effiziente Bedienung des eiligen Kunden ausgerichtet sind. Dann gibt es die beratungsintensive Apotheke, insbesondere in den Quartieren, die von ratsuchenden Kunden besucht wird. Und es gibt die Wellness-Apotheke, die vor allem jüngere Kunden mit einem umfassenden «Drugstore»-Sortiment bedient. Sidroga wird ihren Auftritt am Verkaufspunkt an die Sortimentsbedürfnisse dieser Apothekentypen anpassen. Wir werden auch mit massgeschneiderten Offerten für die verschiedenen Typen arbeiten. Möglich wird diese Individualisierung bei 25?000 Verkaufspunkten durch den Ausbau unseres Verkaufssystems zu einem Kundeninformationssystem und die kürzlich erfolgte elektronische Anbindung unseres Aussendienstes an dieses System. Damit wird ein sofortiger Datenaustausch mit der Zentrale vom und zum Verkaufspunkt ermöglicht.
Eine Ihrer weiteren Aufgaben ist der Ausbau der Positionierung der Marke Sidroga. Was ist da geplant?
Wir wissen aus unserer Marktforschung, dass unsere Kunden vor allem auf Wirksamkeit und Qualität der Inhaltsstoffe achten. Es ist aber viel zu wenig bekannt, warum Qualität und Wirksamkeit von Sidroga überlegen sind. Wir werden deshalb in Zukunft noch intensiver mit Kunden und Fachpersonal kommunizieren. Wir erklären ihnen, worin sich Sidroga-Arzneitees von den Lebensmitteltees unterscheiden und warum sowohl Arzneitee wie auch andere pflanzliche Arzneimittel von Sidroga nachhaltig wirksam sind.
Sidroga kennt nur, wer in der Drogerie oder Apotheke einkauft. Müsste Sidroga nicht auch im Supermarkt präsent sein?
Wir sind der festen Überzeugung, dass Arzneimittel nicht in den Supermarkt gehören. In Deutschland ist der Umsatz mit Gesundheitsmitteln im Lebensmitteleinzelhandel seit Jahren rückläufig. Die Gründe dürften in der fehlenden Beratung aber auch in der Überforderung des Kunden liegen, aus hunderten von Präparaten das für ihn Richtige auszuwählen. Es mag Produkte im Nahrungsergänzungsbereich geben, die aufgrund ihres präventiven Charakters durchaus im Supermarkt vertrieben werden können. Man kann sich aber nur schlecht vorstellen, dass ein Verwender mit einem Gesundheitsproblem die Lösung im Supermarkt sucht.
Kommen wir auf den Schweizer Markt zu sprechen. In der Schweiz sind Pflanzenheilmittel grösstenteils nicht rückerstattungsfähig. Der Patient muss also mehr bezahlen. Warum sind Sie mit dieser Regelung nicht einverstanden?
Pflanzliche Arzneimittel wurden von alters her als effektive, kostengünstige Therapeutika bei Alltagserkrankungen und leichteren Befindlichkeitsstörungen eingesetzt. Die Kombination von Wirkung, Verträglichkeit und Sicherheit bei moderaten Preisen lässt sie chemisch-pharmazeutischen Präparaten, die meist eine lange Liste von Nebenwirkungen mitführen und häufig sehr teuer sind, weit überlegen erscheinen. Natürlich gibt es auch schwarze Schafe unter den pflanzlichen Arzneimitteln, Präparate die aufgrund ihrer Wirkungslosigkeit längst nicht mehr in Verkehr gebracht werden sollten. Warum aber Arzneimittel auf pflanzlicher Basis grundsätzlich als zweitklassig behandelt werden, ist nicht nachvollziehbar.
$$PAGE$$Was kann oder wird Sidroga dagegen tun?
Wir belegen die Wirksamkeit unserer Präparate und werden darauf in Zukunft noch intensiver hinweisen. Zukünftig werden wir auch die Ärzte periodisch informieren, die ja über pflanzliche Arzneimittel im Allgemeinen wenig wissen und durch die intensive Betreuung seitens der Chemie-Pharma-Aussendienste über die Jahrzehnte viel Skepsis gegenüber pflanzlichen Arzneimitteln aufgebaut haben.
Gibt es denn einen Trend hin zu Phytopharmaka?
In Befragungen stellen wir eine eigentliche Sehnsucht der Menschen nach pflanzlichen Arznei- und Gesundheitsmitteln fest, denen man eine sanfte und trotzdem nachhaltige Wirkung zuschreibt. In der Anwendung allerdings stagnieren die pflanzlichen Selbstmedikationspräparate, während die verschreibungspflichtigen chemisch-pharmazeutischen Produkte zulegen. Zu erklären sind diese widersprüchlichen Trends mit den langjährigen Verschreibungsgewohnheiten der Ärzte und der Rückerstattungspolitik der Kassen.
An welchen Studien arbeiten Sie diesbezüglich mit den Hochschulen zusammen?
Wir prüfen zurzeit für eine Reihe unserer Präparate die pharmazeutische Wirksamkeit, indem wir mit Bioassays die Aktivität verschiedener Genotypen bestimmter Pflanzenarten messen. Unsere Aktivitäten konzentrieren sich auf die Gebiete Angst- und Spannungslösung und Stoffwechsel. Wir arbeiten mit verschiedenen Instituten in der Schweiz und der EU zusammen. Zusätzlich haben wir mit Professor Kurt Hostettmann von der Uni Lausanne einen international anerkannten Phytowissenschaftler in unserem Beirat.
Ein weiteres Problem für Sidroga ist, dass der Hauptsitz im deutschen Bad Säckingen liegt, Sidroga aber ein Schweizer Unternehmen ist. Wie erleben Sie diese Situation?
Wir erleben dies nicht als Problem, sondern als grosse Arbeitserleichterung. Durch das Zusammenfassen aller Aktivitäten an einem Standort ist die Kommunikation der verschiedenen Unternehmensbereiche selbstverständlich und ausgesprochen effektiv geworden. Die Marke Sidroga kann nunmehr zentral für die Schweiz, Deutschland und Österreich geführt werden, die Sortimente wurden über die Grenzen hinweg harmonisiert. Wir sind innovativer, kreativer und letztlich auch profitabler geworden. Wir beschäftigen Mitarbeiter aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Österreich am Standort Bad Säckingen. Die hervorragende zentrale Lage und verkehrstechnische Anbindung an das europäische Strassen-, Bahn- und Flugnetz erlaubt uns eine effiziente Steuerung unseres Geschäftes in unseren Stammmärkten und kommt unseren Plänen zur Entwicklung des Lizenzgeschäftes sehr entgegen. Auch die Rekrutierung von OTC-erfahrenen Mitarbeitern ist an diesem Standort einfach, da im Dreieck Basel-Strassburg-Freiburg doch viel OTC-Geschäft betrieben wird.
Welche Probleme bringt der Standort Bad Säckingen mit sich?
Gelegentlich tauchen Probleme zolltechnischer Art auf, die aber alle lösbar sind. Wir hatten auch schon die Situation, dass Kandidaten aus der Schweiz, die wir für Sidroga gewinnen wollten, letztlich absagten, da sie nicht bereit waren, «auf der falschen Seite des Rheins» zu arbeiten.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, damit es noch besser läuft?
Wir wünschten uns, dass die Schweiz heute schon Teil des Schengen-Raumes wäre.
Was hat sich in den letzten Jahren aus wirtschaftlicher Sicht zwischen der Schweiz und dem EU-Land Deutschland verändert?
Deutschland tritt viel selbstbewusster auf, wenn wirtschaftliche Interessen durchzusetzen sind. Das merken wir zum Beispiel an plötzlich verschärften Grenzkontrollen. Die grosszügige Nachsicht und historisch gewachsene Hochachtung, mit der die Schweiz über lange Jahre behandelt wurde, ist einem nüchterneren Verhältnis gewichen, wie es eigentlich normal ist zwischen Ländern.
Welche Vor- oder Nachteile würde der Abschluss der bilateralen Gespräche für Sidroga bringen?
Bei voller Freizügigkeit auch im Warenverkehr würde unsere Logistik noch einmal einfacher. Darüber hinaus würde sich für uns nichts ändern, da wir heute schon in der Schweiz und verschiedenen Ländern der EU gleichermassen tätig sind.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Sie sind Marathonläufer, welchen Sidroga-Tee muss man trinken, um die 42 Kilometer durchzustehen?
Ich empfehle in diesem Fall den Sidroga Rotbusch-Tee wegen des hohen Mineraliengehaltes und weil er einfach gut schmeckt.
Der Gesprächspartner
Peter Degen (1955) leitet seit Januar 2001 die Sidroga in Bad Säckingen, Deutschland. Vor seinem Engagement bei Sidroga, war Peter Degen in unterschiedlichen Positionen im In- und Ausland für Roche tätig und später Leiter des Pharmageschäfts von Degussa in Lateinamerika. Peter Degen hat an der Fachhochschule in Basel ein betriebswirtschaftliches Studium mit Spezialisierung in Marketing abgeschlossen und später ein eidgenössisches Diplom als Controller erworben. (pd/lus)