Stephan Rietiker: «Ich gebe dem Vergleich Chancen von 70 bis 80 Prozent»


Stephan Rietiker ist mit einem Paukenschlag als neuer CEO von Sulzer Medica gestartet. Einzigartig ist sein Vergleichsvorschlag, der die Kläger am Unternehmen beteiligt.

Von Thomas Müller


(Foto: Keystone)
Moneycab: Zwei Wochen sind Sie im Amt, und schon liegt der Lösungsvorschlag auf dem Tisch. Wie war das möglich?
Stephan Rietiker: Ich habe ab Juni mit Hochdruck für Sulzer Medica gearbeitet. Einerseits um die Geschäftsleitung zu rekrutieren, anderseits war ich im Hintergrund und zuweilen auch ganz direkt beteiligt an der Strategie. Zusammen mit VR-Präsident Max Link entschieden wir uns dann für diese Strategie.

Welche Rolle spielte der Patientenanwalt Richard Scruggs bei der Ausarbeitung des Vorschlags?
Richard Scruggs hat ein Mandat von Sulzer Medica. Er war als Patientenanwalt sehr erfolgreich, unter anderem gegen die US-Tabakindustrie. Ich fragte ihn nach seiner Motivation für den Seitenwechsel. Er sagte mir: Die Tabakindustrie schadet der Gesundheit, doch euer Produkt ist grundsätzlich sehr gut für die Vitalität der Patienten. Ihr habt einen Fehler gemacht. Steht dafür gerade, und wir finden eine Lösung. Er half uns, eine innovative Lösung zu finden, die es bei Sammelklagen in den USA noch bislang noch nicht gegeben hat.

Was ist das Innovative an diesem Vorschlag?
Der Patient ist eingebunden in den Erfolg der Unternehmung, weil er zum Beispiel über Equity — vermutlich in Form eines synthetischen Produkts — bezahlt und nicht sofort vollumfänglich entschädigt wird. Er gewährt uns eine Art Darlehen, indem er die Zahlung nicht sofort beansprucht, sondern über ein paar Jahre erstreckt. Zudem erhält er zusätzlich einen Teil in Form eines Wertpapiers. Anwaltsgebühren werden zum Teil ebenfalls so beglichen. Patienten und Anwälte signalisieren, dass sie daran glauben, dass die Firma wieder auf den Weg des Erfolgs zurückfindet.

Von wem stammt der Vorschlag eines Aktien-Anteils? Von den gegnerischen Anwälten, Richard Scruggs oder von der Richterin, die den Vergleich begleitet?
Ob es ursprünglich eine Forderung der gegnerischen Anwälte war oder von der Richterin, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls hat uns Richard Scruggs den Vorschlag unterbreitet, weil eine solche Lösung in den USA auf sehr positives Echo stossen würde.

Wie viele Anwälte und Patienten sind mit dem Vergleich schon einverstanden?
Das kann ich nicht sagen. Nur so viel: Die wichtigsten klägerischen Anwälte, die das Gros der Patienten hinter sich scharen, sind mit im Boot.

Mit anderen Worten: Die Sammelklagen?
All jene, die eine grosse Zahl von Patienten vertreten.

Warum kommt der Vorschlag gerade jetzt?Hätten wir den Vergleichsvorschlag nicht diese Woche auf den Tisch legen können, so hätten wir uns die Möglichkeit verbaut den ersten Prozess vor einem State Court im texanischen Corpus Christi mit einer bundesrichterlichen Verfügung zu verhindern. Dann wäre die Prozessiererei losgegangen und ein Vergleichsvorschlag hätte einen schweren Stand gehabt.

Wie geht es jetzt weiter?Wir sind guten Mutes, dass die Bundesrichterin Cathleen O’Malley alle Verfahren in Cleveland Ohio sammelt und mit superprovisorischen Verfügungen die Durchführung von Prozessen vor staatlichen Gerichten unterbindet. Dann wird eine gewisse Zeit eingeräumt — wahrscheinlich 60 bis 90 Tage —, um die Details des Vergleichs auszuhandeln und die einzelnen Anwälte noch genauer zu informieren. Man wird sicher auch mit Patienten reden und dann wird in Fairness Hearings vor Gericht geklärt, ob der Vergleich fair ist. Stimmt die Richterin dem Vergleich zu, wird sich entscheiden, wer mitmacht.


Wie viele Patienten brauchen Sie, damit der Vergleich zustande kommt?
Es wäre ideal, wenn wir 95 Prozent aller Patienten im Boot hätten. Das wären 95 Prozent von den erwarteten 4000 Fällen, bei denen eine Revisionsoperation nötig war.

Was ist der Mindestanteil, damit Sulzer Medica Ja sagt zum Vergleich?
Das ist abhängig von den Details des Vertrags. Deshalb kann ich diese Frage nicht beantworten. Wir sind zuversichtlich, dass sehr viele Patientinnen und Patienten mitmachen.

Wie gross ist die Chance, dass der Vergleich zustande kommt?
Ich würde sagen: 70 bis 80 Prozent.

Welche Möglichkeiten haben Patienten, die sich am Vergleich nicht beteiligen?
Wer nicht mitmacht, hat die Chance, gar nichts zu unternehmen oder uns separat einzuklagen. Gegen solche Klagen müssten wir natürlich Gegenmassnahmen treffen. Zudem hat dieser Weg zur Folge, dass es länger dauert. Separat klagende Patienten müssten sich gedulden, bis alle Forderungen aus dem Vergleich befriedigt sind. Sie müssten also hinten anstehen.

Wie lange dauert das?
Das kann etwa fünf bis acht Jahre dauern. Deshalb wird sich wohl die überwiegende Mehrheit am Vergleich beteiligen wollen.

Zuallererst muss jedoch am nächsten Freitag Bundesrichterin Cathleen O’Malley dem Begehren stattgeben, dass alle Klagen in Cleveland Ohio zusammengefasst behandelt werden. Was passiert, wenn sie dies nicht tut?
Da haben wir verschiedene Alternativszenarios, die ich ohne Schwächung unserer Position hier natürlich nicht erörtern kann.

Einst schien es, Sulzer Medica wolle die US-Tochter fallen lassen und quasi opfern. Wie aktuell ist diese Strategie noch?
Diese Strategie ist nicht mehr aktuell. Wir schauen jetzt, dass wir mit unseren amerikanischen Kollegen das Geschäft wieder auf Vordermann bringen. Okay, wir müssen die Qualitätskontrollen verbessern und das Produkt wieder technologisch einwandfrei herstellen. Doch es zeigt sich klar: Die wichtigen Chirurgen in den USA wollen unser Produkt. Sie haben kein Interesse daran, dass wir nicht mehr auf dem Markt sind.

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