Bilateralismus und Personenfreizügigkeit stärken Schweiz und Wirtschaft

sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler.

Bern – Zehn Jahre nach Inkraftsetzung der Bilateralen Verträge I mit der EU ziehen die Schweizer Wirtschaftsverbände eine positive Bilanz. Die Abkommen haben der Schweiz zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Wohlstand verholfen. Das gilt insbesondere für das Abkommen über die Personenfreizügigkeit, das den inländischen Unternehmen ermöglichte, die Wachstumschancen der vergangenen Jahre konsequent zu nutzen. Alle Initiativen, die auf eine Kündigung des Abkommens abzielen, wird die Wirtschaft konsequent bekämpfen. Zur Versachlichung der Diskussion lanciert sie einen Dialog «für eine konstruktive Zuwanderungspolitik».

1992 hat die Schweiz den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abgelehnt, zehn Jahre später konnten die Bilateralen Verträge I mit der EU in Kraft gesetzt werden. Für economiesuisse, den Schweizerischen Arbeitgeberverband und den Schweizerischen Gewerbeverband ist vor allem das zweite Datum denkwürdig, denn es steht für eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. An einer gemeinsamen Medienkonferenz in Bern erinnerten die drei Dachverbände heute daran, dass es neben den Reformen der Swisslex die Bilateralen I mit der Personenfreizügigkeit waren, die die Schweiz aus der Lähmung und Stagnation der 1990er-Jahre befreiten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist seit 2002 im Durchschnitt deutlich stärker gewachsen als in den zehn Jahren davor. Gleiches gilt für den Durchschnittslohn, die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Wirtschaftsstandorts.

economiesuisse-Direktor Pascal Gentinetta wies darauf hin, dass von diesem Attraktivitätszuwachs auch der Staat profitiere. Im Gegensatz zu den 1990er-Jahren seien die Staatsfinanzen heute im Lot. Gentinetta bedauert, dass im Zusammenhang mit den Bilateralen heute nahezu ausschliesslich über negative Aspekte der Personenfreizügigkeit diskutiert werde. Der Vertrag ist mit den sechs anderen untrennbar verbunden und könnte nur gemeinsam mit diesen gekündigt werden. «Gerade dieses Abkommen hat wirtschaftlich wesentlich dazu beigetragen, dass die Bilanz des bilateralen Wegs insgesamt so positiv ausfällt.»

Positive Seiten überwiegen eindeutig
Für Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv, ist die Öffnung des Arbeitsmarktes die grösste Errungenschaft des Abkommens. Für Unternehmen mit hohen Anteilen an ausländischem Personal, darunter auch sehr viele KMU, habe sich die Berechenbarkeit der Rahmenbedingungen damit deutlich verbessert. Besonders stark profitierten die Baubranche sowie das Hotel- und Gastgewerbe. «Nur dank diesem System kann das grosse Bedürfnis der Wirtschaft nach neuen Fachkräften befriedigt werden, was eine Grundvoraussetzung für Wachstum ist», erklärte Bigler. Heute gehe nur zu schnell vergessen, dass das alte Kontingentsystem vor 2002 mit einem enormen Bürokratieaufwand für die KMU verbunden gewesen sei. Dies sei mit ein Grund, weshalb in einer Anfang 2012 vom sgv publizierten Umfrage unter KMU-Führungskräften 70 Prozent für die Weiterführung der Personenfreizügigkeit votiert hätten.

Flankierende Massnahmen verhindern Missbräuche
Unbestritten ist, dass sich mit den Bilateralen I die Zuwanderung in die Schweiz stark verändert hat. Im Gegensatz zu den Jahrzehnten vor 2002 ziehen heute vor allem Bürgerinnen und Bürger aus der EU in die Schweiz. Die durchschnittliche Ausbildung der Einwanderer ist heute deutlich höher, sie erzielen bessere Einkommen und tragen auch entsprechend mehr zur Finanzierung der Sozialwerke bei. Für Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbands, ist der schweizerische Arbeitsmarkt damit eindeutig strukturell gestärkt worden. Und das immer wieder heraufbeschworene Lohn- und Sozialdumping werde durch die flankierenden Massnahmen (FlaM) weitgehend verhindert. Zwar gebe es Missbräuche. «Aber in einer Gesamtbeurteilung muss auch berücksichtigt werden, dass die Arbeitsleistungen, bei denen solche Missbräuche vor allem vorkommen, deutlich weniger als ein Prozent des gesamten schweizerischen Arbeitsvolumens ausmachen.»

Dialog für eine konstruktive Zuwanderungspolitik
Aus Sicht der drei grossen Wirtschaftsverbände fallen die positiven Seiten der Personenfreizügigkeit deutlich stärker ins Gewicht als ihre störenden Begleiterscheinungen. Das bedeutet allerdings nicht, dass man die Engpässe auf dem Wohnungsmarkt, die Zersiedlung oder die überfüllten Strassen und Züge einfach ignoriert. «Die Schweiz war und ist nicht in allen Bereichen optimal auf diese dynamische Entwicklung vorbereitet», erklärte Pascal Gentinetta. Die Wirtschaft will deshalb mithelfen, für die sehr unterschiedlichen Herausforderungen konkrete Lösungen zu finden.

Keine tauglichen Lösungen bieten aus Sicht der Wirtschaft die Volksinitiativen der SVP und von Ecopop. Beide setzen den erfolgreichen bilateralen Weg der Schweiz aufs Spiel, ohne eine brauchbare Alternative aufzuzeigen. Die Wirtschaftsverbände werden beide Initiativen gemeinsam bekämpfen. Zu diesem Zweck wollen sie den Nutzen der Zuwanderung für die ganze Gesellschaft noch besser aufzeigen und eine offene Diskussion über deren Folgen führen. Fakten, Statements und Hintergrundinformationen finden sich ab sofort unter: www.zuwanderungspolitik.ch  (sgv/mc/ps)

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