Es gibt kein richtiges Leben im Fälschen

Es gibt kein richtiges Leben im Fälschen

Das leicht modifizierte Zitat Adornos („Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“) passt gut zum diesjährigen Engelberger Symposium, das am 25. und 26. November zum 34. Mal stattfand, zumal einer der Haupreferenten Wolfgang Beltracchi, der begnadete Stilimitator und verurteilte Signaturfälscher, war. Margot Kässmann, Kilian Wagner, Henning Beck, Matthias Horx und Harald Lesch sorgten zusammen mit Beltracchi für zahlreiche bemerkenswerte Momente in den grandiosen Räumen des Klosters Engelberg.

Von Helmuth Fuchs

Trotz oder vielleicht gerade wegen all den Turbulenzen der letzten beiden Jahre war bei den TeilnehmerInnen eine tiefe Freude zu spüren, dass man sich wieder treffen und austauschen konnte. Die Schau nach vorne war das überwiegende Thema bei den ReferentInnen und bei den TeilnehmerInnen.

Man war gewillt, tiefer zu gehen, genauer hinzublicken, sich auf schwierige Fragen einzulassen. Genau darin unterscheidet sich das Engelberger Symposium von vielen anderen Veranstaltungen mit hochkarätigen Referentinnen und Referenten. Hier benutzt niemand schillernde Powerpoints, sondern überzeugt mit Inhalten. Es steht allen genügend Zeit zu Verfügung auszuholen, Details zu erklären und in Workshops zu vertiefen. Dies in einem überschaubaren Rahmen mit nicht mehr als 50 TeilnehmerInnen, die meisten «Wiederholungstäter». Das Kloster Engelberg bietet für das Symposium die perfekte Umgebung.

Was einmal mehr klar wurde in Engelberg: Die Menschen sind nicht einfach «schlechtere Computer» oder «ökonomische Wesen». Wir sind gefordert, massive Probleme mit Kreativität und Empathie anzugehen und zu lösen, also genau das, wozu Menschen seit Jahrtausenden prädestiniert sind. Wer selbst einmal erleben möchte, wie das in Engelberg angegangen wird:

Das 35. Engelberger Symposium findet am 17. – 18. November 2022 statt.

Unten einige Eindrücke und Skizzen des 34. Engelberger Symposiums. Wie auch am Engelberger Symposium keine pfannenfertige Rezepte serviert werden, ist dies kein vollständiger Text, vielmehr Splitter, Ideen, Skizzen. Wer es genauer wissen möchte, muss selbst hingehen.


Margot Kässmann

Nach dem besinnlichen Auftakt mit drei Orgelstücken in der Klosterkirche eröffnete Margot Kässmann, die ehemalige Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers (1999–2010) das Symposium mit einem bemerkenswerten Beitrag. Sie plädierte dafür, in all den Brüchen mit Traditionen, der Krise der Kirchen, der Zunahme innergesellschaftlicher Konflikte, der sich öffnenden sozialen Schere und einer sich abzeichnenden politkulturellen Gesellschaft ohne Mitte, das Leben als Fragment zu sehen. Das Leben sei verletzlich, der Mensch sterblich. Da Scheitern Teil des Lebens sei, benötigten wir Räume der Vertraulichkeit, wo das Scheitern thematisiert werden könne.

«Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.» Søren Kierkegaard (1813-55), dän. Theologe u. Philosoph

Margot Kässmann betonte die Wichtigkeit von Ritualen getreu dem Theologen Fulbert Steffensky: „Heimat ist da, wo wir die Namen der Toten kennen.“ Wir müssten uns wieder vermehrt gedanklich mit dem Nicht-Perfekten, dem Endlichen auseinandersetzen. Wer nun glaubte, das führte bei Margot Kässmann zu einer eher düsteren, schweren Lebensauffassung, sah sich positiv getäuscht. Das Gegenteil ist der Fall. Sie lebt und vertritt eine Haltung der Hoffnung.

«Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.» Martin Luther (1483-1546), Augustinermönch und Theologieprofessor, Urheber der Reformation

Anhand der 10 Gebote entwickelt Kässmann einen Leitfaden für eine Lebenshaltung, die von Dankbarkeit und einer Ethik des „Genug“ geprägt ist.

Kilian Wagner

Kilian Wagner, Mitgründer und CEO von viu teilte seine Erfahrungen als Gründer und seine Erkenntnis, dass wir viel zu wenig Experimente eingehen würden. Experimente würden fälschlicherweise als zu teuer angeschaut. Risikominimierung würde honoriert, statt die Freude an Neuem. Um das eigene Vorankommen zu beschleunigen würden zudem in Betrieben Informationen gehortet, aber nicht geteilt.

Wolfgang Beltracchi

Wolfgang Beltracchi entführte das Publikum in die Welt der Kunst, den darin vorherrschenden «kriminellen Energien“ und Mechanismen, die dazu führen, dass auch bekannte Fälschungen zum Vorteil der Besitzer nicht als solche aufgedeckt werden. Angesprochen darauf, ob ihm das Leben nach der Haft als das bessere erscheine, gab er unumwunden zu, dass sein Leben als Unterschriftenfälscher von Kunstwerken im Stil alter Meister bequemer und einfacher gewesen sei.

Beltracchi, der es meisterhaft versteht, den Stil grosser Künstler zu imitieren und dabei handwerklich mit grosser Perfektion vorgeht, hat sich ein gewisses Mass an Anarchismus bewahrt. Heute verkaufen sich echte Beltracchis zu bemerkenswerten Preisen. So hat er begonnen, unfälschbare digitale Kunst in Form von Non-Fungible Tokens (NFTs) zu verkaufen. Dazu hat Beltracchi 4608 dezentral auf der Blockchain gespeicherte Kunstwerke geschaffen. Jedes basiert auf dem Gemälde «Salvator Mundi», den er originalgetreu in der künstlerischen Handschrift von Leonardo da Vinci gemalt hat und dazu sechs Versionen der Ikone im Stil von Künstlern wie Pablo Picasso, Vincent van Gogh, Salvador Dalí oder Roy Lichtenstein.

Matthias Horx

Nach der Theologin, dem Startup-Gründer und dem Künstler, der den Bogen von den holländischen Klassikern zur Digitalisierung spannte, wagte Matthias Horx, die Zukunft und den Weg dahin zu skizzieren und formalisieren. Statt mit einem «Kindchenschema» der Zukunft im Sinne von «irgendetwas muss fliegen» (Flugauto) oder undefinierter Künstlicher Intelligenz zu argumentieren, versteht er die Zukunft als Prozess des Werdens, in dem wir eine aktive Rolle spielen. Zukunft hat viel mit Glauben zu tun (innerliche seelische Ausrichtung auf ein Bild, das eintreffen soll). Die Zukunft kommt nicht auf uns zu, sie ist in uns drin (sonst ist es Schicksal).

Anhand von drei Bereichen der Transitions-Ära skizzierte er bedeutende Entwicklungsrichtungen für die Zukunft:

  1. Globalisierung: Delegation der Umweltprobleme, die jetzt zurückkommen. Just-In-Time Produktion. -> Neuer Nationalismus gegen kulturelle Globalisierung. Lösung auf neuer Ebene: Glokalismus. 
  2. Arbeit: Abhängige Lohnarbeit, industrielles Produktionssystem. Karriere, lebenslanger Beruf. -> Home-Office, anderes Zusammenleben, entdeckt Dinge, die man nicht mehr braucht. „The great resignation“, nicht mehr zurück zum Alten. Nordische Länder: 30-Stunden-Woche ohne Lohnreduktion mit gleicher Produktion. Hybride Arbeitswelt. 
  3. Technologie: Digitalisierung als neue Religion (Erlösungsversprechen, Metaversum…). Hat mit der Realität wenig zu tun. Wunderbare Werkzeuge werden durch Verherrlichung zu Parasiten (Hatespeech, Zeitfresser). Das human-digitale muss die Zukunft prägen.

Nach zwei Jahrhunderten der Beschleunigung kommen neue Modelle. Die Idee der Knappheit, des Verzichts ist unnötig. Wir können mit Technologien die Probleme der Energie lösen und den Wohlstand besser ausbalancieren. Paradigmenwechsel: Wirtschaftliches Denken wird zu ökologischem Denken. 

Henning Beck

Henning Beck, Neurowissenschafter und Biochemiker, stellte seine Überlegungen zu Intelligenz vor. Intelligenz ist das stabilste Merkmal des Menschen, ist aber nicht absolut messbar. Anpassungsfähigkeit ist wichtiger für die Zukunft (Kreativität).

  • Gute Ideen sind „durchdacht“
  • Künstliche Intelligenz wird diese Fähigkeit zur Kreativität nicht ersetzen. Dinge ausprobieren Regeln brechen
  • Grenzüberschreitungen und Brüche machen uns den Rechnern überlegen

Adaptives Denken ist wichtigere als effizientes Denken. Lernen (Computer) vs. verstehen (Gehirn) -> Kreativität

Tätigkeiten, die man effizienter machen kann -> Optimierung, das Gegenteil von Kreativität. IT Systeme und Energie: KI, Blockchain, Vernetzung von Autos. Gehirn 20 Watt: KI um Rubik-Würfel zu lösen verbraucht etw 3 GW (Leistung eines AKWs in 3 Stunden). KI Systeme sind Oligarchistisch, nicht demokratisch. 

«Die Gefahr, dass der Computer so wird wie der Mensch ist nicht so gross wie die, dass der Mensch so wird wie der Computer.» Konrad Zuse (1910 – 1995), deutscher Bauingenieur, Erfinder und Unternehmer (Zuse KG), Entwickler von Z3, dem ersten funktionsfähigen Computer der Welt

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