Gotthard-Basistunnel bleibt für Reiseverkehr monatelang gesperrt

Gotthard-Basistunnel bleibt für Reiseverkehr monatelang gesperrt
(Foto: SBB)

Bern – Die Schäden nach dem Unfall in der Weströhre des Gotthard-Basistunnels sind deutlich grösser als zunächst abschätzbar. Die Reparaturarbeiten werden mehrere Monate dauern. Priorität hat aktuell die Inbetriebnahme der unbeschädigten Oströhre. Der Güterverkehr kann diese voraussichtlich ab dem 23. August 2023 wieder befahren. Der Reiseverkehr muss bis auf Weiteres über die Panoramastrecke umgeleitet werden.

SBB CEO Vincent Ducrot äusserte sich vor den Medien zu den Auswirkungen des Unfalls: «Der Gotthard-Basistunnel gehört zu den sichersten der Welt. Dass trotzdem ein solcher Unfall geschehen konnte, trifft uns sehr. Zum Glück gab es keine Verletzten, aber es entstand grosser Sachschaden.» Die SBB sei sich bewusst, dass die Auswirkungen des Unfalls grosse Unannehmlichkeiten für die Reisenden und die Güterverkehrskunden mit sich brächten.

Aufräumarbeiten an Unfallstelle haben begonnen
Die Untersuchungsbehörden haben die Unfallstelle in der Weströhre des Gotthard-Basistunnels freigegeben. Die SBB kann nun mit den umfangreichen Aufräumarbeiten beginnen. 16 entgleiste und teils schwer beschädigte Güterwagen befinden sich noch immer im Tunnel.

Nach eingehenden Untersuchungen zeigte sich, dass das Ausmass der Schäden deutlich grösser ist als nach ersten Schätzungen angenommen. Insgesamt müssen rund 8 Kilometer Gleise und 20’000 Betonschwellen ersetzt werden. Das Gleisbett ist im Bereich des Spurwechsels Faido stark beschädigt. Bis alle beschädigten Teile der Bahnanlagen ersetzt sind, wird es mehrere Monate dauern. Die SBB geht aktuell davon aus, dass voraussichtlich Anfang 2024 beide Tunnelröhren wieder eingeschränkt für den Bahnverkehr zur Verfügung stehen.

Die SBB arbeitet mit Hochdruck daran, dass die unbeschädigte Oströhre baldmöglichst vom Güterverkehr genutzt werden kann. Dazu wird das beschädigte, fest installierte Spurwechseltor provisorisch durch ein mobiles Tor ersetzt, das normalerweise bei Unterhaltsarbeiten zum Einsatz kommt. Zudem muss die Stellwerküberwachung beim Spurwechsel wiederhergestellt werden.

Das stark beschädigte Spurwechseltor ist eine Spezialanfertigung und muss ersetzt werden. Das Tor gewährt im Regelbetrieb den Brandschutz und sorgt für die Trennung der Luftzirkulation zwischen den beiden Tunnelröhren.

Güterverkehr kann ab 23. August einspurig durch Basistunnel verkehren
Das provisorische Tor ermöglicht die Nutzung der unbeschädigten Oströhre für den Güterverkehr voraussichtlich ab dem 23. August 2023. Es wird jedoch weiterhin zu Umleitungen von Güterzügen über die Gotthard-Panoramastrecke und über die Lötschberg-Simplon-Achse kommen, damit alle Güter befördert werden können.

Die aktuelle Situation im Güterverkehr: SBB Cargo kann einen Grossteil des Binnengüterverkehrs über die Panoramastrecke abwickeln. Dazu gehören die Expresszüge im Wagenladungsverkehr über Nacht und ein Grossteil der Tagesverbindungen. Zwischen 23 und 5 Uhr steht die volle Kapazität der Panoramastrecke für den Güterverkehr zur Verfügung, zwischen 5 und 23 Uhr jeweils ein Trasse pro Stunde und Richtung. Damit ist die Ver- und Entsorgung im Tessin und die Landesversorgung gewährleistet.

Jedoch können nur vereinzelte Transit- und Import/Export-Verkehre über die Panoramastrecke geführt werden. Da sich das Rollmaterial im kombinierten Transitverkehr nicht für die Panoramastrecke eignet, nutzt SBB Cargo die Kapazitäten für den Binnengüterverkehr. SBB Cargo International nutzt für den kombinierten Transitverkehr im Moment die Ausweichstrecke über den Lötschberg für etwa 30 Prozent ihres Gütervolumens.

Reisezüge verkehren bis auf Weiteres über Panoramastrecke
Seit der Sperrung des Gotthard-Basistunnels verkehren Personenzüge über die Panoramastrecke. Ob ein Teil der Reisezüge wie der Güterverkehr die Oströhre im Einspurbetrieb befahren kann, wird von der SBB zusammen mit dem Bundesamt für Verkehr (BAV) geprüft. Im uneingeschränkten Regelbetrieb werden Reisende bei einem Notfall über die jeweils andere Tunnelröhre evakuiert. Dies wäre während der Reparaturarbeiten in der Weströhre nur eingeschränkt möglich. Die SBB sucht zusammen mit dem BAV nach sicheren Lösungen für die Reisenden, damit auch Reisezüge baldmöglichst wieder sicher durch den Basistunnel verkehren können. Eine zeitliche Prognose ist nicht möglich.

Die Reisezüge werden bis auf Weiteres über die Panoramastrecke umgeleitet. Die Reisezeit verlängert sich im nationalen Verkehr um 60 Minuten, im internationalen Verkehr zwischen 60 und 120 Minuten. Doppelstockzüge können nicht auf der Panoramastrecke fahren und werden durch Giruno und ICN sowie EWIV ersetzt. Zusatzzüge zu Spitzenzeiten können nicht verkehren. Der Treno Gottardo der SOB verkehrt weiterhin. Die einstöckigen Züge haben weniger Kapazität als die doppelstöckigen. An Wochenenden stehen bis auf Weiteres bis zu 30 Prozent weniger Sitzplätze zur Verfügung. An Werktagen ist die Kapazität leicht eingeschränkt.

Im internationalen Reiseverkehr muss in Chiasso umgestiegen werden. Nur die Züge von und nach Genua und Venedig verkehren direkt.

Die SBB prüft, ob die Sitzplatzkapazität über die Gotthard-Panoramastrecke erhöht und ob zusätzliche direkte internationalen Verbindungen angeboten werden können.

Untersuchung von Unfallursache ist im Gang
Der Unfallzug bestand aus 30 Güterwagen aus fünf Abgangsorten in Italien. Die Wagen wurden bei der Ankunft in Chiasso kontrolliert. Nach der Übernahme hat SBB Cargo die Wagen zu einem neuen Zug zusammengestellt. Dazu gehört auch eine betriebliche und technische Wagen- und Zugskontrolle. Bei diesen Kontrollen wurden keine Unregelmässigkeiten festgestellt.

Im Südtessin meldete ein entgegenkommender Lokführer eine Rauchentwicklung am späteren Unfallzug. Bei der anschliessenden Kontrolle in Bellinzona wurde eine festsitzende Bremse an einem Güterwagen entdeckt und gelöst. Dabei handelte es sich nicht um den Wagen, der mutmasslich als erster entgleiste. Nach der Störungsbehebung wurde der Zug für die Weiterfahrt freigegeben. Zwischen Bellinzona und dem Tunnel passierte der Zug die automatischen Kontrolleinrichtungen. Diese lösten keinen Alarm aus.

Hergang und Ursache des Unfalls werden von der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle SUST und der Staatsanwaltschaft des Kantons Tessin geklärt. (mc/pg)

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