Ineffiziente Materialnutzung und ein hoher CO2-Fussabdruck: Schweizer Wirtschaft nur zu 6,9 % zirkulär

Ineffiziente Materialnutzung und ein hoher CO2-Fussabdruck: Schweizer Wirtschaft nur zu 6,9 % zirkulär
Carlo Giardinetti, Consulting Sustainability Lead bei Deloitte Schweiz (Bild: Deloitte)

Zürich – Die erste umfassende Studie «Circularity Gap Report» zur Kreislaufwirtschaft in der Schweiz zeigt den hohen Materialverbrauch und die Treibhausgasemissionen auf, die in der Schweiz bei der Befriedigung der Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung anfallen. Dem Bericht zufolge stammen nur knapp 7 % der verwendeten Rohstoffe aus sekundären Quellen wie dem Recycling, was eine Zirkularitätslücke von über 93 % hinterlässt. Das bedeutet: Der weit überwiegende Teil der in der Schweizer Wirtschaft eingesetzten Materialien und Rohstoffe stammt aus primären Quellen, also neu abgebauten natürlichen Ressourcen. Diese werden meist im Ausland abgebaut, was dort zu erheblichen Umweltauswirkungen, Emissionen und Abfällen führt.

Der «Circularity Gap Report Switzerland», initiiert von Circular Economy Switzerland und Deloitte Schweiz mit Unterstützung von Impact Hub Switzerland und Kickstart Innovation, wurde von der Impact-Organisation Circle Economy verfasst. Der Bericht unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf und markiert den Startschuss für einen ehrgeizigen nationalen Multi-Stakeholder-Prozess, um eine echte Kreislaufwirtschaft in der Schweiz zu erreichen. Mehr als 200 führende Akteure aus dem privaten und öffentlichen Sektor, von Regierungsstellen, politischen Entscheidungsträgern, Wissenschaft und NGOs haben sich für die Teilnahme an der heutigen Auftaktveranstaltung zur Entwicklung eines Fahrplans für die Schweiz angemeldet.

Die Kreislaufwirtschaft ist als System definiert, in dem Abfälle minimiert, Produkte und Materialien möglichst Wert erhaltend und so oft wie möglich wiederverwendet und Natur und Umwelt wiederhergestellt werden. Zu den gängigen Kreislaufstrategien gehören Wiederverwendung, Aufbereitung, Reparatur oder Recycling, um nur einige zu nennen. Hier gibt es enorme Defizite. Weltweit sind die Gewinnung und Verarbeitung von Materialien für 70 % der Treibhausgasemissionen und für mehr als 90 % des Biodiversitätsverlustes und des durch Verschmutzung oder Knappheit verursachten Wasserstresses verantwortlich. Die veröffentlichte Studie zeigt, dass die Schweiz jährlich rund 163 Millionen Tonnen neue Materialien verbraucht, das sind 19 Tonnen pro Kopf. Dies ist weit mehr als das geschätzte nachhaltige Niveau von 8 Tonnen pro Kopf.

Verarbeitende Industrie, Baugewerbe sowie Agrar- und Lebensmittelindustrie sind für den grössten Teil des Material- und Kohlenstoff-Fussabdrucks der Schweiz verantwortlich

Auf das verarbeitende Gewerbe, das Baugewerbe und die Agrar- und Ernährungswirtschaft entfallen zusammen 73 % des Material- und 63 % des CO2-Fussabdrucks. Das verarbeitende Gewerbe in der Schweiz hat einen erheblichen Einfluss auf die Umwelt, da es etwas mehr als 40 % des Material-Fussabdrucks und 36 % des CO2-Fussabdrucks des Landes ausmacht. Der Bericht verweist auf die Innovationskraft der Schweiz: Die Anwendung von Kreislauflösungen in diesem Sektor könnte sich sehr positiv auswirken und die Umweltfolgen verringern. An zweiter Stelle steht der Schweizer Bausektor, der grosse Mengen an Material, Energie und Wasser verbraucht: Er macht 18 % des gesamten Material-Fussabdrucks und 14 % des gesamten CO2-Fussabdrucks aus. Ältere, weniger energieeffiziente Gebäude machen einen grossen Teil des Gebäudebestands aus und tragen daher wesentlich zu diesen Zahlen bei. Die Nahrungsmittelindustrie, die die Schweizer Bevölkerung ernährt, macht 14 % des gesamten Material-Fussabdrucks und 13 % des CO2-Fussabdrucks aus: Der grösste Teil davon entfällt auf verarbeitete Nahrungsmittel, Fleisch und den Anbau von Nutzpflanzen für die Ernährung von Menschen und Tieren. Obwohl diese drei Sektoren sehr material- und kohlenstoffintensiv sind, ist die Schweiz gut positioniert, um einen Wandel herbeizuführen.

Es sind enorme Verbesserungen möglich

Der Bericht identifiziert fünf Bereiche, in denen die Schweiz handeln muss:

1. Zirkuläre Produktion voranbringen;
2. Verkehr und Mobilität neu überdenken;
3. Aufbau einer zirkulär gebauten Umwelt;
4. Förderung eines kreislauffähigen Ernährungssystems;
5. Aneignung eines kreislauforientierten Lebensstils.

Durch die Umsetzung von Massnahmen in diesen fünf Bereichen könnte sich der Anteil der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz fast verdoppeln (von 6,9 % auf 12,1 %), der Materialverbrauch könnte um ein Drittel reduziert werden (-33 %) und der CO2-Fussabdruck könnte fast halbiert werden (-43 %). Der Circularity Gap Report Switzerland benennt die wichtigsten Hebel zur Erreichung einer umfassenderen Kreislaufwirtschaft.

«Es ist klar, dass die Verwirklichung einer Kreislaufwirtschaft mehr als nur technische Lösungen erfordert», erklärt Carlo Giardinetti, Consulting Sustainability Lead bei Deloitte Schweiz. «Eine verstärkte Koordination und Kooperation zwischen allen beteiligten Akteuren, ein bereichsübergreifender, ganzheitlicher Ansatz und die Berücksichtigung von dezentralen Entscheidungsstrukturen sind gleichermassen unerlässlich. Stakeholder aus dem privaten und öffentlichen Sektor, Organisationen der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft müssen ihre Kräfte bündeln, um einen Wandel im Sinne der Kreislaufwirtschaft voranzutreiben.»

«Die Kreislaufwirtschaft ist für die Schweiz als Land und für die verarbeitende Industrie im Besonderen eine grosse Chance und Herausforderung gleichzeitig. Wenn unser derzeitiges Konsumverhalten anhält, wird die Nachfrage nach Gütern weiterhin unvermindert steigen, und die Welt wird immer mehr Güter konsumieren. Dies erfordert energie- und ressourceneffizientere Maschinen, neue Technologien und Geschäftsmodelle. Darin liegt eine Chance für die Schweizer Industrie, die dank ihrer Exporte einen Beitrag zu weltweiten Kreislauflösungen leisten kann», erklärt Christine Roth, Ressortleiterin Umwelt beim Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie Swissmem, die im wissenschaftlichen Beirat des Berichts mitgewirkt hat.

Der Bericht stellt fest, dass die Schweiz mit einer stärker kreislauforientierten Wirtschaft auch von vielen anderen Vorteilen profitieren könnte: Verbesserung des durchschnittlichen Gesundheitszustands der Bevölkerung, Steigerung des Wohlbefindens durch nachhaltigere Lebensmittel, widerstandsfähigere Gemeinschaften, Schutz der Natur und Stärkung der Biodiversität, um nur einige zu nennen.

Hinter all den im Bericht genannten Zahlen verbirgt sich ein enormes Verbesserungspotenzial für die Schweizer Wirtschaft. Das Potenzial für eine Steigerung der Kreislaufwirtschaft sollte nicht unterschätzt werden und die Vorteile von Massnahmen in den fünf im Bericht aufgeführten Bereichen liegen auf der Hand.

«Die Unterstützung des Übergangs der Schweiz zu einer Kreislaufwirtschaft kann dazu beitragen, ein widerstandsfähigeres und nachhaltigeres Land zu schaffen», erklärt Felix Stähli, Mitglied des Vorstands von Circular Economy Switzerland, der Koordinations- und Netzwerkplattform der Schweizer Kreislaufwirtschaftsbewegung. «Wenn die Schweiz die Grundprinzipien der Kreislaufwirtschaft befolgt – weniger nutzen, länger nutzen, wieder nutzen und das alles so sauber wie möglich – erfüllt das Land die Voraussetzung, um echte Fortschritte bei der Erreichung seiner verschiedenen Nachhaltigkeitsziele zu machen.» (Circular Economy Switzerland/mc/hfu)


Link zum Herunterladen der Studie (englisch): https://circular-economy-switzerland.ch


Über diesen Bericht:
Der Circularity Gap Report Schweiz ist ein Projekt von Circular Economy Switzerland und dem Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte. Er wird von Impact Hub SwitzerlandKickstart Innovation und Circle Economy unterstützt. Die umfassende analytische Studie über den aktuellen Stand der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz wurde von der in Amsterdam ansässigen Circle Economy erstellt, die jährlich den globalen Circularity Gap Report verfasst. Mehr als 60 Personen aus der Schweizer Privatwirtschaft, dem öffentlichen Sektor und der Zivilgesellschaft haben an der Erstellung des Berichts mitgewirkt, die knapp ein Jahr in Anspruch nahm.

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