Lebensmitteleinzelhändler in der Schweiz sind laut Studie nicht innovativ genug

Lebensmitteleinzelhändler in der Schweiz sind laut Studie nicht innovativ genug
(Copyright: Kearney Shutterstock)

Zürich – Hohe Kosten, geringe Margen, wenig Innovation: «Der ohnehin margenschwache Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist im internationalen Innovationswettbewerb schlecht aufgestellt», meint Dr. Mirko Warschun, Handelsexperte und Partner der internationalen Managementberatung Kearney.

«Den eskalierenden Kosten und aggressiven Wachstumsstrategien aus dem Online- und Technologiebereich können die Einzelhändler fast nichts entgegensetzen. Während die internationale Konkurrenz in zukunftweisende Technologien investiert und Innovationen mit spürbaren Kundenvorteilen zur Marktreife bringt, bleiben die deutschsprachigen Einzelhändler mehrheitlich in Bereichen, die ihnen beim Einkaufserlebnis nichts bringen.»

Patente: DACH-Raum hinkt internationalen Anbietern hinterher
Die Handelsexperten von Kearney haben die im Lebensmittelhandel weltweit angemeldeten Patente im Detail untersucht und zueinander in Relation gebracht. Die Analyse zeigt, dass Händler in der Schweiz trotz ihrer reichen Innovationsgeschichte (beispielsweise bei Einkaufswagen und Produktdisplays) in den letzten fünf Jahren weniger Innovationen hervorgebracht haben als die internationale Konkurrenz und reine Online-Player. So hat Walmart 92 Prozent seiner mehr als 2.000 Patente seit 2016 angemeldet, während bei Migros‘ und Coop nur gut 25 Prozent der insgesamt 102 Patente auf die letzten fünf Jahre entfallen. Es zeigt sich auch, dass Migros ein Vielfaches der Patente von Coop angemeldet hat. Innovation scheint bei Migros einen höheren Stellenwert zu haben.

Dennoch: Die meisten ihrer Patente stammen im Schweizer Lebensmitteleinzelhandel nicht aus Spitzentechnologien, sondern aus traditionellen Bereichen wie Produktpräsentationen, Kassensystemen und Speisenzubereitung. Unterdessen konzentrieren sich internationale Einzelhändler und reine Online-Anbieter auf Blockchain, das Internet der Dinge, autonome und Drohnenlieferung sowie virtuelles Einkaufen.

Die meisten Innovationen der Schweizer Händler sind inkrementell, imitierbar und nicht differenzierbar, was bedeutet, dass sie nicht viel zum Branding der Einzelhändler beitragen. Im Gegensatz dazu liefern neuen Marktteilnehmer wie Technologie-Start-Ups disruptive Innovationen mit einem unmittelbaren Erlebniseffekt für die Kundinnen und Kunden. Zum Beispiel offerieren Gorillas und Flink Lebensmittellieferungen innerhalb von zehn Minuten, und der Anbieter von Kochboxen, HelloFresh, hat die gesunde Ernährung zu Hause neu erfunden, ebenso wie Eat Simple Food und Too Good To Go. Doch es gibt auch Ausnahmen: Migros‘ hat mit LeShop schon früh die Customer Journey verbessert, das Einkaufsverhalten beeinflusst und neue Wege im Lebensmittelhandel eingeschlagen. Seitdem sind jedoch weniger Innovationen international aufgefallen, wobei jedoch der Kundenfokus u.a. mit Öko-Labels weiterhin bewahrt wird.

Konkurrenz wird aufgekauft
Auch die M&A-Aktivitäten der stationären Einzelhändler in DACH unterscheiden sich erheblich von ihren internationalen Pendants und reinen Online-Anbietern. Während sich internationale Einzelhändler wie Walmart und Amazon auf innovative Technologieunternehmen konzentrierten, kauften DACH-Händler traditionelle, stationäre Konkurrenz. Beispielsweise haben Ocado und Alibaba in Unternehmen mit einem Durchschnittsalter von fünf bzw. 14 Jahren investiert. Dagegen hat Coop in Unternehmen investiert, die im Durchschnitt mehr als dreimal so alt sind. Im Durchschnitt sind Unternehmen die Coop akquirierte zum Zeitpunkt der Übernahme 49 Jahre alt gewesen. In Bezug auf die Zielregion konzentrierten sich die M&A-Aktivitäten im DACH-Einzelhandel auf Mitteleuropa, während internationale Akteure auf Technologiezentren in Asien zielten, insbesondere in Indien, China und sogar Australien. DACH-Investitionen in Technologieunternehmen waren die Ausnahme von der Regel, disruptive Innovationen wurden also nicht abgesichert.

Alles in allem schienen die Anlagestrategien den Status quo zu festigen, aber weder Weiterentwicklung noch Wachstum anzustreben. In den vergangenen drei Jahren haben DACH-Lebensmittelhändler rund 107 M&A-Transaktionen durchgeführt, die meisten davon mit anderen stationären Händlern. Die Grössten in der Schweiz haben insgesamt fast 45 Akquisitionen getätigt mit einem Durchschnittsalter der Zielunternehmen von 49 Jahren. So wurden nur wenige innovative Technologie-Unternehmen ins Visier genommen. Selbst die meisten Unternehmen, die jünger als 20 Jahre sind, sind eher in traditionellen Retail Segmenten beheimatet.

«Der Markteintritt von Technologie-Unternehmen bringt neue Risiken für etablierte Einzelhändler, auf die nur mit disruptiven Innovationen, die einen Unterschied im Einkaufserlebnis machen, reagiert werden kann» meint Adrian Kirste, Partner der internationalen Managementberatung Kearney. Traditionelle Einzelhändler laufen Gefahr, ihre treuen Kunden an das neue Angebot zu verlieren. «Die Lebensmittelhändler in DACH müssen jetzt handeln und innovativ sein, wenn sie nicht relevante Marktteilnehmer an die mutige und kreative Konkurrenz verlieren wollen.» (Kearney/mc/pg)

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