Meret Schneider: Bratwurstverbot und das Recht, zu lügen

Meret Schneider: Bratwurstverbot und das Recht, zu lügen
Meret Schneider, Nationalrätin, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

“Grillplausch verbieten?”, stand in roten und schwarzen Lettern in einer Anzeige auf Social Media, darunter eine rot durchgestrichene Bratwurst. “Zürcher Klima-Wahn NEIN”, stand daneben und es prangten die Logos der SVP und der FDP darauf. Etwas weiter unten war der Anzeige zu entnehmen, dass es sich um die Kampagne gegen das Energiegesetz des Kantons Zürich handelt, über das am 28. September abgestimmt werden soll.

Hoppla, mag der geneigte Betrachter des Inserates denken; soll im Zuge des Energiegesetzes der Fleischkonsum reduziert werden? Dass mit Sicherheit kein Bratwurstverbot in Zürich Einzug halten wird, das ist auch dem treuesten SVP-Anhänger klar, der sonst hinter jedem zusätzlichen vegetarischen Angebot eine Diskriminierung der Fleischverfechter wittert. Ein Bratwurstverbot oder gar ein Verbot des Grillplausches, wie es auf dem Plakat steht, ist weder angedacht noch von irgendjemandem gewünscht – nicht einmal von mir als grüner Tierfreundin, und das will was heissen. Beim Plakat handelt es sich also um eine Überspitzung, eine Polemik, die suggeriert, mit dem Energiegesetz käme ein Bratwurstverbot, obwohl damit vermutlich nur eine Reduktion des Fleischkonsums angestrebt wird – so denkt sich der immer noch geneigte Betrachter. Überspitzungen und Polemiken gehören zu politischen Kampagnen dazu, man mag es kritisieren, aber die Rezipierenden haben sich daran gewöhnt, kaum jemand stört sich mehr daran. Anders verhält es sich mit offensichtlichen Lügen.

Ein Blick auf das erwähnte Energiegesetz offenbart nämlich, dass Konsum, eine Einschränkung von tierischen Produkten oder eine Regelung, die im Entferntesten mit der durchgestrichenen Bratwurst auf dem Plakat assoziiert werden könnte, nicht ansatzweise Bestandteil des Gesetzes ist.

Das Gesetz entspricht dem Auftrag der Stimmbevölkerung des Kantons Zürich, den Klimaschutz in die Kantonsverfassung aufzunehmen. Dies war das Resultat der entsprechenden Volksabstimmung von 2022, bei der die Stimmbevölkerung mit 67% JA-Anteil das Ziel der Treibhausgasneutralität («Netto-Null») in die Kantonsverfassung aufgenommen hat. Mit der Änderung des Energiegesetzes soll dieser Verfassungsauftrag gesetzlich verankert werden. Die Gesetzesänderung sieht vor, dass Kanton und Gemeinden ihre Gebäude energetisch modernisieren, klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen beschaffen und so Investitionen der Wirtschaft in den Klimaschutz fördern.

Bei klimafreundlichen Produkten könnte nun der Verdacht aufkommen, hier käme die Fleischproduktion ins Spiel, doch nach der Bratwurst, einer Andeutung bezüglich privater Konsumentscheidungen oder Grillrost-Dogmen sucht man vergeblich. Tatsächlich geht es um die Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen, die Kanton und Gemeinden für ihre tägliche Arbeit benötigen und die sie bei privaten Unternehmen einkaufen. Die Gesetzesänderung soll die Grundlage schaffen, damit Kanton und Gemeinden klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen nachfragen und so Innovationen zur Marktreife verhelfen können. Das können beispielsweise CO2-arme Baumaterialien sein, elektrisch angetriebene Strassenwischfahrzeuge oder Dienstleistungen zur Optimierung des Energieverbrauchs von Gebäuden.

Weiter hält die Änderung des Energiegesetzes fest, dass Kanton und Gemeinden anstreben, ihre Liegenschaften energetisch zu modernisieren und mit Solaranlagen auszustatten. Neue Gebäude und Infrastruktur sollen möglichst klimafreundlich gebaut und mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Auch ihre Fahrzeugflotten sollen auf emissionsfreien Antrieb umgestellt werden. So sehr man das Gesetz auf Ernährungsempfehlungen, Anbaustrategien oder Förderung pflanzlicher Produkte abklopft: es gibt absolut nichts dazu, die Ernährung wird bei den angesprochenen Sektoren nicht einmal adressiert. Das Plakat ist also keine kampagnenübliche Polemik, keine Überspitzung, sondern eine dreiste Lüge. Es wird ganz klar suggeriert (Grillplausch verbieten?), dass mit dem Energiegesetz a) Verbote und b) konsumspezifische Änderungen einhergehen würden. Beides ist schlicht gelogen. Mit dem Gesetz soll vermehrt in klimafreundlichere Industrieprodukte und Gebäudetechnologie investiert werden –  es ist kein einziges Verbot damit verbunden und der ganze private Konsumsektor spielt überhaupt keine Rolle.

Man mag mich naiv nennen, aber mich hat das Plakat schockiert. Dass auch die FDP, die auf einen mündigen Konsumierenden und hoffentlich auch eine mündige, voll informierte Stimmbürgerin setzt, ihr Logo unter eine solche Lügenkampagne setzt, konsterniert mich und lässt auf ein fragwürdiges Demokratieverständnis schliessen. Wenn die Stimmbevölkerung mit frei erfundenen Szenarien, die in keinem Zusammenhang mit dem Gesetz stehen, zu einer Entscheidung bewegt werden soll, sind wir von den Fake-News-Kampagnen der USA nicht mehr weit entfernt.

Interessanterweise gibt es zwar ein Gesetz, das unlautere Werbung für Produkte des täglichen Lebens verbietet, nicht aber unlautere politische Werbung. So dürfen Produkte nicht mit Versprechen oder Inhaltsangaben versehen werden, die nicht zutreffen. Bei Gesundheitsbezogenen Versprechen (reich an Ballaststoffen, gut für die Verdauung etc.) ist es beispielsweise erforderlich, dass der Nährstoff oder die Substanz im Endprodukt in signifikanter Menge oder in derjenigen Menge vorhanden ist, die nach anerkannten wissenschaftlichen Belegen die behauptete ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung erzielt.

Bei politischer Werbung gibt es diese Lauterkeitsanforderungen nicht. Bezogen auf das Bratwurstplakat kann festgestellt werden: Es gibt offenbar sogar das Recht, zu lügen, mit allen demokratieproblematischen Folgen. Warum dürfen Konsumierende bezüglich ihrer Konsumentscheidungen nicht in die Irre geführt werden, Stimmbürgerinnen und -bürger bezüglich ihrer politischen Entscheidungen und deren Konsequenzen aber schon? Meines Erachtens zieht Letzteres sogar die problematischeren gesellschaftlichen Konsequenzen nach sich und ich plädiere hiermit dafür, eine Lauterkeitsanforderung auch in Bezug auf politische Kampagnen in Betracht zu ziehen. Mündige Entscheidungen können nur über den Sachverhalt aufgeklärte Menschen treffen – und das sind die mittels Bratwurstplakat desinformierten Stimmbürger*innen definitiv nicht.


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