Nationalrat empfiehlt ein Ja zur Steuergerechtigkeits-Initiative

Bern – Der Nationalrat empfiehlt den Stimmenden ein Ja zur von den FDP-Frauen eingereichten Steuergerechtigkeits-Initiative. Im Rat setzten sich SP, FDP, Grüne und GLP mit knappem Mehr gegen die SVP und die Mitte durch.
Der Nationalrat beschloss die Abstimmungsempfehlung am Mittwoch mit knappem Mehr, mit 98 zu 96 Stimmen. Nun hat der Ständerat zu entscheiden. Verfechterinnen und Verfechter von unterschiedlichen Lebensentwürfen standen sich in der Debatte unversöhnlich gegenüber.
Gesellschaftliche Realitäten haben sich verändert
SP, FDP, Grüne und GLP unterstützten das Anliegen der Initiative. Das heutige Steuerregime schrecke Zweitverdienerinnen und -verdiener davon ab, eine Erwerbsarbeit anzunehmen oder mit einem höheren Pensum zu arbeiten, lautete der Tenor. Das mache namentlich Frauen ökonomisch unabhängiger und verschaffe der Wirtschaft Fachkräfte.
Das heutige, auf Einverdiener-Familien ausgerichtete Steuermodell entspricht für die Befürworter nicht mehr der gesellschaftlichen Realität. Der Aufwand für die Umstellung der Steuersysteme sei angesichts der Digitalisierung zu bewältigen, sagte Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP/SG).
Die von Leo Müller (Mitte/LU) angeführte Minderheit forderte, das Problem der Heiratsstrafe beim Bund anzugehen, denn alle Kantone hätten die Heiratsstrafe abgeschafft. «Es ist nicht einzusehen, weshalb die Gesetzgebung in allen Kantonen angepasst werden soll für ein Problem, das nur noch beim Bund besteht», sagte er.
Die Initiative stelle zudem das Institut der Ehe, das mit der Ehe für Homosexuelle gestärkt worden sei, in Frage. Denn die Wirtschaftsgemeinschaft Ehe werde abgeschafft. «Die Initiative spaltet Familien», fügte Paolo Pamini (SVP/TI) hinzu. Sie bevorzuge gewisse urbane Lebensmodelle.
Die Initiative wurde 2022 eingereicht, obwohl der Bundesrat damals schon an der Einführung der Individualbesteuerung arbeitete. Den vom Bundesrat erarbeiteten indirekten Gegenvorschlag hiessen die Räte grundsätzlich gut, mit knappem Mehr. Es gibt aber noch Differenzen.
Rückzug der Initiative möglich
Das Initiativkomitee begrüsste den Gegenvorschlag. Sollte der indirekte Gegenvorschlag die Schlussabstimmung im Parlament und ein allfälliges Referendum überstehen, könnte die Initiative zurückgezogen werden, sagte Vincenz-Stauffacher – sie ist Mitglied des Komitees. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab.
Eine weitere Initiative zur Beseitigung der Heiratsstrafe liegt bereits auf dem Tisch. Es ist die Initiative «Ja zu fairen Bundessteuern auch für Ehepaare» der Mitte-Partei. Das Parlament hat darüber noch nicht entschieden. Der Bundesrat lehnt sie ab, weil sie seiner Meinung nach im Widerspruch steht zur Individualbesteuerung.
Heute werden verheiratete Paare und gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, gemeinsam besteuert. Gehen beide Personen einer Erwerbstätigkeit nach, werden sie wegen der Progression stärker besteuert als Konkubinatspaare mit zwei getrennten Steuerveranlagungen. (awp/mc/pg)