Ständerat will Neutralität in der Bundesverfassung festschreiben

Ständerat will Neutralität in der Bundesverfassung festschreiben
Mit 42 Ja-Stimmen ohne Gegenstimme und null Enthaltungen folgte der Ständerat am Mittwoch seiner Sozial- und Gesundheitskommission. (Foto: Parlamentsdienste)

Bern – Der Ständerat will kein Verbot von Sanktionen auf Verfassungsebene. Allerdings möchte er die dauerhafte, bewaffnete Neutralität in der Bundesverfassung festschreiben. Er hat am Donnerstag die Neutralitätsinitiative abgelehnt. Zugleich sprach er sich für einen direkten Gegenvorschlag aus.

Der Ständerat verwarf die Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität (Neutralitätsinitiative)» mit 35 zu 8 Stimmen ohne Enthaltungen. Mit 27 zu 15 Stimmen bei einer Enthaltung stimmte die kleine Kammer aber einem alternativen Verfassungstext zu.

Das Volksbegehren verlangt, sowohl die immerwährende, bewaffnete Neutralität als auch ein weitgehendes Verbot von Sanktionen in die Verfassung zu schreiben. Vorbehalten wären lediglich Sanktionen, die der Uno-Sicherheitsrat beschliesst. Möglich wären auch Massnahmen, um die Umgehung von Sanktionen anderer Staaten zu verhindern.

Neutralität kein Selbstzweck
Dem Entscheid des Ständerats ging eine rund dreistündige Debatte voraus. Die Aussenpolitische Kommission des Ständerats (APK-S) hatte die Initiative mit 9 zu 3 Stimmen bei einer Enthaltung zur Ablehnung empfohlen. Die Mehrheit vertrat die Ansicht, die seit 175 Jahren geltende Neutralitätspraxis sei kein Selbstzweck, sondern ein aussenpolitisches Instrument.

Mit dem geforderten Schematismus hinsichtlich Sanktionen würde das Bekenntnis zum Völkerrecht zum reinen Lippenbekenntnis unter dem Deckmantel der Neutralität, sagte Kommissionssprecher Matthias Michel (FDP/ZG). Wegen des Vetorechts der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats würden in vielen Fällen keine Uno-Sanktionen beschlossen.

Im Fall des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine übernahm die Schweiz die Sanktionen der EU gegen Moskau. Der Schritt war Anlass für die Lancierung der Initiative.

Warnung vor «Geschäftlimacherschweiz»
«Mit dem neuen Artikel würde sich die Schweiz selbst fesseln anlegen», warnte Tiana Angelina Moser (GLP/ZH). Der Fall der Ukraine zeige, dass Sanktionen im Interesse der Schweiz sein könnten. «Die Initiative gefährdet unsere Glaubwürdigkeit und unsere internationalen Beziehungen.»

Franziska Roth (SP/SO) fühlte sich durch die Initiative an Pontius Pilatus und die Aussage «Ich wasche meine Hände in Unschuld» erinnert: «Diese Form des Waschens ist vor allem gut für das Geschäft und erlaubt einem, wegzusehen.»

Die Initianten verteidigten eine «Geschäftlimacherschweiz», sagte Roth. Dies sei auch mit untragbaren wirtschaftlichen Risiken verbunden, denn die Schweiz würde bei Annahme des Volksbegehrens zum Objekt von Sekundärsanktionen.

Marianne Binder-Keller (Mitte/AG) kritisierte, das Volksbegehren schade der Sicherheit der Schweiz. «Wir dürfen dann Bündnisse eingehen, wenn die ersten Panzer rollen. Ich bin nicht sicher, ob dann noch jemand Lust auf Bündnisse hat.»

Sanktionen als Parteinahme
Eine Minderheit der Kommission war für die Annahme der Initiative. Für ein Ja trat neben den SVP-Ständeräten Hannes Germann (SH) und Marco Chiesa (TI) auch der Sozialdemokrat Daniel Jositsch (ZH) ein.

Die Berufung auf die Vereinten Nationen gebe der Schweiz ausreichend Handlungsspielraum bei der Sanktionspolitik, argumentierte Germann. Er verwies namentlich auf die Bestimmung zur Verhinderung von Umgehungsgeschäften.

«Wenn wir neutral sind, dann müssen wir es auch sein», appellierte Jositsch an den Rat. Neutralität sei anders als vom Bundesrat behauptet kein wandelbares Instrument. Sanktionen bedeuteten eine Parteinahme, sofern sie nicht weltweit gälten.

Eine starke Minderheit der vorberatenden Ständeratskommission wollte zwar das erste Anliegen der Initianten aufnehmen, nicht aber das Sanktionsverbot. Der Rat folgte diesem Vorschlag schliesslich.

Vorteil im Abstimmungskampf
Nebst Jositsch und Germann setzen sich mit Benedikt Würth (SG), Pirmin Bischof (SO) und Isabelle Chassot (FR) auch drei Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission aus der Mitte-Partei für dieses Vorhaben ein.

Die Neutralität sei in der Schweiz in allen politischen Lagern verankert, sagte Würth mit Verweis auf eine aktuelle Umfrage: «Es ist keine Frage von links und rechts.» Zugleich finde eine Mehrheit der Bevölkerung die Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs richtig. Das sei das Konzept des Gegenvorschlags.

Ein neuer Verfassungsartikel verhindere auch «tagespolitische Schnellschüsse» und erleichtere die Argumentation im kommenden Abstimmungskampf, so Würth. Man solle den Stimmenden die Möglichkeit geben, sich differenziert auszudrücken.

Die Neutralitätsinitiative wurde von Pro Schweiz und SVP-Exponenten eingereicht. Lanciert wurde sie im November 2022, rund ein Dreivierteljahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Mitglied des Komitees ist laut Website der Initianten auch Sepp Blatter, früherer Präsident des Weltfussballverbandes Fifa.

Der Bundesrat trat dafür ein, die Initiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Als Nächstes muss der Nationalrat über die Initiative befinden. (awp/mc/ps)

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