160 Jahre humanitäre Hilfe in bewegenden Bildern

160 Jahre humanitäre Hilfe in bewegenden Bildern
Anti-Gas-Übungen in Europa im Jahr 1933. (IKRK-Archiv (DR)

Genf – Noch bis 24. April 2022 zeigt das Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum (MICR) in Genf mehr als 600 Fotografien aus den Sammlungen der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung. Mit dieser temporären Ausstellung vermittelt das Museum einen Einblick in ein bisher nur wenig erforschtes, riesiges Kulturerbe und hinterfragt die Bilder der humanitären Arbeit und unseren Blick darauf.

Die Bilder humanitärer Einsätze sind allgegenwärtig in den Medien. Sie gehören seit mehr als einem Jahrhundert zu unserem Alltag. Oft wirken sie unmittelbar und eindeutig. Ein Foto rahmt eine Szene ein und bietet uns eine klare Interpretation eines Ereignisses. Wir glauben, dass wir genau verstehen, worum es geht und denken überhaupt nicht daran, was ausserhalb des Bildes vor sich gehen könnte. Die Realität vor Ort ist jedoch stets komplexer als ihre Darstellung, denn Letztere kann nur Fragmente festhalten.

Einblicke in ein aussergewöhnliches fotografisches Erbe
Mit über 600 Fotografien von 1850 bis heute zeigt Un monde à guérir das Ergebnis einer mehr als zweijährigen Recherche in den Sammlungen des MICR, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC). Das Projekt ist eine Zusammenarbeit mit dem internationalen Fotofestival Rencontres internationales de la photographie d’Arles in Frankreich, wo die Ausstellung 2022 ebenfalls zu sehen sein wird. Bilder für die Öffentlichkeit, welche die Dringlichkeit der humanitären Hilfe zu vermitteln versuchen, werden ergänzt von Fotos mit privaterem Charakter.

Die Ausstellung zeigt auf vielfältigen Bildträgern ein bisher wenig erforschtes Bildarchiv. Bekannte Fotografinnen, unter anderem der Agentur Magnum Photos wie Werner Bischof und Susan Meiselas, oder auch Henri Cartier-Bresson sind vertreten. Un monde à guérir umfasst aber auch Fotos, die von den Mitarbeiterinnen der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung oder direkt von Betroffenen in Krisen aufgenommen wurden. Ein Teilbereich der Ausstellung präsentiert zudem die Arbeiten von Alexis Cordesse mit persönlichen Fotos von Migrantinnen. Hier bietet sich ein breites Spektrum an Blickwinkeln, und die Aufmerksamkeit der Besucherinnen wird über die Darstellung der Realität hinaus auf ihre wahre Komplexität gelenkt.

Neue Ansätze für ein besseres Verständnis der Bilder des Weltgeschehens
Un monde à guérir vermittelt Schritt für Schritt die Bildercodes für ein besseres Verständnis der humanitären Arbeit. Die Besucher*innen sind eingeladen, ihre bildhafte Vorstellung von humanitärer Arbeit kritisch zu hinterfragen und sich zu überlegen, woher diese stammt, was sie vermittelt und was verborgen bleibt. Durch die Hinterfragung der Absichten hinter den Bildern wird ihnen eine Art visuelle Grammatik der humanitären Arbeit aufgezeigt, die ihren Blick schärft. Für die Ausstellungskuratorin Nathalie Herschdorfer geht es darum, den Nutzen der Fotografie hervorzuheben und zu zeigen, was diese Bilder über unsere Zeit aussagen: «Das Wissen über die Vergangenheit, über unsere Geschichte, wurde häufig mittels Schriftdokumenten erlangt. Doch die Geschichte der humanitären Arbeit kann nicht ohne die Geschichte der Fotografie betrachtet werden. Die Erfindung der Fotografie im Jahr 1839 liegt nur 25 Jahre vor der Gründung des IKRK 1864 – ihre Schicksale sind eng miteinander verknüpft. Heute ist es schwieriger denn je, sich die humanitäre Arbeit ohne Bilder vorzustellen.»

Das MICR wirft eine zentrale Frage auf: Inwiefern betrifft die humanitäre Arbeit uns alle, hier und jetzt? Die Ausstellung gibt Hinweise für eine mögliche Antwort. Pascal Hufschmid, Direktor des Museums und Initiator des Projekts, erklärt: «Mit Un monde à guérir möchten wir ein aussergewöhnliches fotografisches Erbe, das im Herzen des internationalen Genf aufbewahrt wird, ans Licht bringen. Dank dieser Ausstellung können wir die Bilder von Konflikten und Katastrophen, die täglich in unseren Medien zu sehen sind, aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachten. Denn im humanitären Bereich stimmt die Aussage, ein Bild sage mehr als tausend Worte, im Grunde genommen nie.»

Uneingeschränkter Zugang zu den Sammlungen des MICR für den Fotografen Henry Leutwyler
Neben der Ausstellung Un monde à guérir präsentiert das Museum auch ein Video von Henry Leutwyler, das dieser 2021 für die Genfer Biennale der Fotografie NO’PHOTO erstellt hat. Dazu gab das MICR dem Fotografen uneingeschränkt Zugang zu den einzigartigen und abwechslungsreichen Sammlungen des Museums. Unter dem aufmerksamen und einladenden Blick seiner Kamera erwachen die unterschiedlichsten Gegenstände zum Leben und erzählen uns eine ganz neue Geschichte. Leutwyler achtet auf die kleinsten Details, erstellt unerwartete Verbindungen und organisiert die Sammlungen neu, mit viel Genauigkeit, Neugier und Poesie. So werden sie konkret und gleichzeitig in ihrer Verletzlichkeit sichtbar. Mithilfe seiner Bilder nimmt Leutwyler uns an der Hand, damit wir hören, was uns die Gegenstände zu erzählen haben, und damit wir unsere Art und Weise, sie zu betrachten, hinterfragen. (mc/pg)

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