Landesmuseum: Erfahrungen Schweiz – Wasserkraft und Widerstand

Landesmuseum: Erfahrungen Schweiz – Wasserkraft und Widerstand
Flutung der Staumauer Grande Dixence im Jahr 1957. Die Grande Dixence ist die höchste Gewichtsstaumauer der Welt. Sie staut ein Wasservolumen von 400 Millionen m3 Wasser und bildet volumenmässig den grössten künstlichen See der Schweiz. (© Schweizerisches Nationalmuseum, ASL)

Zürich – Die Nutzung der Wasserkraft in den Alpen ist eine Erfolgsgeschichte der Schweizer Ingenieurskunst und der erneuerbaren Energie. Die Errichtung von Staudämmen und Wasserkraftwerke ist aber auch eine Geschichte von Vertreibung, Enteignung und Widerstand. In einer neuen Videoinstallation erzählen zehn Zeitzeuginnen und Zeitzeugen von persönlichen Erfahrungen.

Das Ausstellungsformat «Erfahrungen Schweiz» widmet sich vom 4. Juli bis zum 2. November in seiner neuesten Ausgabe einem Thema, das tief in die Geschichte und Gegenwart der Schweiz eingeschrieben ist: der Wasserkraft in den Alpen. Die Videoinstallation im Landesmuseum bringt zehn Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zusammen, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven von ihrem Leben mit der Wasserkraft erzählen. Sie werfen Schlaglichter auf persönliche Verluste, politische Kämpfe, technische Meisterleistungen und ökologische Fragen – und beleuchten damit ein vielschichtiges Kapitel der Schweizer Energiegeschichte.

Fast 60 Prozent des Schweizer Stroms stammt aus Wasserkraft. Die Staumauern und ihre Kraftwerke, die grösstenteils nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, sind nicht nur Jahrhundertprojekte, sondern auch der Motor des Wirtschaftswunders. In der Videoinstallation zeigen die Perspektiven von Amédée Kronig und Eric Wuilloud das Potential der Wasserkraft. Amédée Kronig war von 2011 bis 2023 Direktor der Grande Dixence SA. Die von 1951 bis 1961 erbaute Staumauer ist mit ihren 285 Metern Höhe bis heute die höchste Gewichtsstaumauer der Welt. Eric Wuilloud leitete das Projekt des Pumpspeicherkraftwerks «Nant de Drance», das als eines der leistungsstärksten Europas gilt. Wuilloud plädiert für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen: Dank Pumpspeicherwerken kann überschüssiger Strom in die zuverlässige Versorgung durch erneuerbare Energien im Winter investiert werden.

Widerstand gegen Wasserkraftprojekte gibt es seit Beginn. Zunächst richtet sich dieser vor allem gegen den Verlust der Heimat, ab den 1940er Jahren zunehmend gegen die Auswirkungen auf die Umwelt. Gegen die Errichtung neuer Anlagen wurden politische Initiativen ergriffen, die jedoch meist keine Mehrheit fanden. Die in den 1970er Jahren entstandene schweizweite Umweltbewegung setzte sich auch für den Alpenschutz ein. Ein wichtiger Erfolg erzielte sie in den 1980er Jahren, als ein geplanter Stausee die Greina-Ebene bedrohte. Zu den Organisatoren des Widerstands gehörte unter anderen der Geschäftsführer der «Greina-Stiftung», Gallus Cadonau. Er setzte sich mit neuen Lösungen für die Erhaltung der Landschaft ein, so zum Beispiel mit dem sogenannten «Landschaftsrappen» – eine Entschädigung an die Berggemeinden für den Verzicht auf Wasserkraftprojekte. Diese ermöglichte es ihnen, auf den Verkauf einer Konzession als einziger Weg aus der Verarmung zu verzichten.

Auch die Bauarbeiten und ihre Gefahren prägten die Berggemeinden. So zum Beispiel – auf dramatische Weise – das Walliser Dorf Saas-Almagell. In der Videoinstallation berichtet Vreni Zengaffinen von der Katastrophe an der nah gelegenen Baustelle für den Mattmark-Stausee: Am 30. August 1965 starben 88 Menschen, als ein Teil des Allalingletschers abbrach und die Baracken der Arbeiter verschüttete. Unter den Opfern waren Zengaffinens Vater und Onkel. Ein weiterer Zeitzeuge der Mattmark-Katastrophe ist der Italiener Armando Lovatel. Als damals 16-Jähriger arbeitete er als Saisonnier auf derselben Baustelle, um seine Familie in der Heimat zu unterstützen. Auch er erlebte das Unglück aus nächster Nähe.

Die Videoinstallation macht, zusammen mit einer interaktiven Vertiefungsstation, die Komplexität des Themas sichtbar. Sie spannt den Bogen in die Gegenwart und zeigt: Wasserkraft ist nicht nur ein technisches oder ökologisches Thema, sondern auch ein soziales und kulturelles. Sie betrifft Menschen, Dörfer, Landschaften – in Vergangenheit und Gegenwart. Ob als Hoffnungsträger für eine nachhaltige Energiezukunft oder als Mahnmal für die Risiken von Eingriffen in die Natur: Die Stimmen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen laden dazu ein, zuzuhören, nachzudenken und zu diskutieren.

Die Videoinstallation ist vom 4. Juli bis 2. November 2025 und vom 13. Januar bis 26. April 2026 im Landesmuseum Zürich zu sehen. (pd/mc/pg)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert