Thomas Lang, Gründer und CEO Carpathia, im Interview

Thomas Lang, Gründer und CEO Carpathia, im Interview
Thomas Lang, CEO und Gründer Carpathia. (Foto: Carpathia/Flickr)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Lang, Ende April hat Coop angekündigt, seinen Marktplatz Siroop per Ende Jahr einzustellen. Der Schritt dürfte Sie nicht überrascht haben…

Thomas Lang: Doch, er hat mich in der Tat überrascht, weil ich den beiden Initiatoren Swisscom und Coop deutlich mehr Schnauf und Ambitionen zugetraut hätte. Insofern hat mich das (zu) frühe Aus von Siroop überrascht.

Was ist falsch gelaufen und was dürfte Coop das Abenteuer gekostet haben?

Von aussen betrachtet ist das sehr schwierig zu beurteilen. Das Marktplatz-Geschäft ist sehr komplex, hat seine Tücken und ist ertragsschwach. Erfahrungen mit diesem haben bislang innerhalb der involvierten Konzerne gefehlt. Aus Kundenperspektive ist es aus meiner Sicht nicht gelungen, ein Alleinstellungsmerkmal herauszuarbeiten. Also das „WHY“, warum soll der Kunde bei Siroop kaufen und nicht anderswo. Das hat mir einerseits auf verschiedenen Ebenen gefehlt. Anderseits war die Plattform noch jung und ich hätte ihr mehr Zeit gegönnt, dass sie ihr „WHY“ findet und sich profiliert.

Über Kosten kann man nur mutmassen. Alleine die Werbekosten dürften im Bereich von 20-30 Mio Franken liegen, die Personalkosten nochmals in der Region plus Infrastruktur etc. Wir hatten letzten Sommer mal geschätzt, dass ein solches, rein auf Provisionen basierendes Modell erst ab einem vermittelten Umsatz (sog. GMV) von gegen 1 Mrd Franken profitabel sein kann, ohne weitere Erlösquellen. Und das schafft noch keine Handelsplattform in der Schweiz. Insofern kam für mich der Ausstieg viel zu früh, weil es für ein solch ambitioniertes Modell viel mehr Schnauf braucht.

Aber man hat nun zumindest Erfahrungen gesammelt.

Ja, der wahre Wert von Siroop liegt für mich nach wie vor nicht in der Profitabilität, die anscheinend zum Verhängnis wurde. Die Erfahrung mit neuen Geschäftsmodellen, neuen Unternehmensformen und Technologien etc ist nicht zu unterschätzen und erspart manch eine Safari ins Silicon-Valley. Kommen die vielen Spezialisten hinzu, die man rekrutieren konnte.

Und die Frage aller Fragen überhaupt: was darf ein Marktanteil kosten? Marktanteile, die durch Digitec Galaxus von der Migros, internationalen Playern wie Alibaba und demnächst noch verstärkter Amazon für sich beansprucht werden. Modelle wie Siroop treten an mit einer radikalen Wachstums- und Marktanteils-Strategie. Da fragt niemand nach den Kosten sondern nach den mittel- bis langfristigen Perspektiven. Ein Blick auf Amazon oder Zalando genügt, die heute profitabel sind oder sein könnten, wenn sie wollten.

«Die Ambitionen und Entwicklungen bei Digitec Galaxus sind in der Tat bemerkenswert und suchen ihresgleichen in der Schweiz wie auch fast in Europa.»
Thomas Lang, Gründer und CEO Carpathia

Sie haben die Migros-Tochter Digitec Galaxus angesprochen: Der mit Abstand grösste Schweizer Online-Händler baut sein Sortiment massiv aus, bereits Mitte Jahr sollen es zwei Millionen Artikel sein. Vor allem die Expansion im Modebereich mit der Anbindung zahlreicher Anbieter sticht hervor. Wie sehen Sie die Chancen, Zalando, das auch im 1. Quartal massiv gewachsen ist, erfolgreich Paroli zu bieten?

Die Ambitionen und Entwicklungen bei Digitec Galaxus sind in der Tat bemerkenswert und suchen ihresgleichen in der Schweiz wie auch fast in Europa, wenn man das Marktpotential in Relation mit dem erzielten Umsatz setzt (834 Mio Umsatz bei einem Land mit 8 Mio Einwohner – da findet sich kaum etwas anderes in Europa).

Im Fashion-Bereich kann ich mir nicht vorstellen, dass man da auch nur annährend Zalando gefährden kann. Dafür ist Zalando schon zu weit und mittlerweile der grösste Mode-Händler der Schweiz – noch vor H&M! Der Einstieg in Fashion durch Digitec Galaxus macht jedoch Sinn, um ihr Sortiment abzurunden und das Ziel des Onlinewarenhauses zu verfolgen. Sie sind jedoch auch so clever, dass sie die Mode-Händler nur im Marktplatz-Modell aufschalten und nicht selber zum Händler werden. Denn Mode ist äusserst Retouren-intensiv und damit scheint man sich (vorerst) nicht die Finger verbrennen zu wollen.

Inwieweit ist der Sortimentsausbau bei Digitec Galaxus sowie der Ende April in Betrieb genommene EU-Hub in Weil am Rhein im Lichte der sich anbahnenden stärkeren Präsenz von Amazon in der Schweiz zu sehen?

Da sehe ich zwar einen zeitlichen Zusammenhang, traue es jedoch Digitec Galaxus auch zu, dass sie diesen Weg auch ohne den angekündigten Markteintritt von Amazon in der Schweiz gegangen wären. Sie suchen ständig nach weiteren Wachstumspotentialen und finden diese einerseits in der Erweiterung der Sortimente (Einstieg in Mode), Drehen an der Preisschraube (Anbindung von Händlern aus dem EU-Raum) oder in der Erweiterung der Zielmärkte (angekündigter Deutschland Start).

Welche Auswirkungen auf die Online-Landschaft einerseits und den Detailhandel in der Schweiz generell erwarten Sie, wenn Amazon seine Muskeln spielen lässt?

Mit Blick auf das Online-Geschäft sehe ich bei den grossen Playern der Top-20 wenig Probleme. Die dürften eventuell gar profitieren, weil Amazon den Online-Einkauf noch beflügeln könnte und hilft, den Shift von Stationär zu Online zu verstärken.

Schwieriger könnte es im Mittelfeld werden und vor allem bei den Omni-Channel-Händlern, die erst kleine Anteile ihrer Umsätze online erzielen und den überwiegenden Anteil noch im stationären Handel. Dort fehlen sehr schnell die Ressourcen, denn wenn sie 90% in der Fläche und 10% online machen, werden sie ihre Ressourcen – Budgets, Marketingspendings, Personal etc. – in einem ähnlichen Verhältnis verteilen. Sie treten dort aber gegen die an, die 100% ihrer Ressourcen in online investieren und das wird zusehends schwieriger.

Entspannter sehe ich es wiederum bei den kleineren Nischenshops, die ein klares Profil, eine klare Kompetenz und Botschaft haben. Die werden ihre treue Kundschaft haben und diese auch sukzessive erweitern – wenn auch mit begrenztem Potential. Das können anderseits auch wieder spannende Übernahmekandidaten sein, wenn der Kampf um Marktanteile unter den Grossen nicht nur über organisches Wachstum sondern auch über Akquisitionen geht.

MeinEinkauf.ch bringt jedes Jahr mehrere Zehntausend Amazon-Pakete mit Waren, die bisher auf direktem Weg nicht in die Schweiz geliefert werden, ins Land. Was bedeutet das Kooperationsabkommen von Amazon mit der Schweizerischen Post, der einen 24-Stunden-Lieferdienst in die Schweiz ermöglichen soll, für MeinEinkauf?

Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass mittlerweile mehr als die Hälfte der Umsätze bei Amazon durch Marktplatzteilnehmer erzielt werden. Viele dieser sogenannten «Seller» liefern direkt und ich bin zurückhaltend, ob diese auch direkt in die Schweiz liefern, da sie nicht von dieser Kooperation betroffen sind. Die liefern nur an Adressen in der EU und das ist der Trumpf von meinEinkauf. Insofern wird es meinEinkauf sicher spüren, dass Amazon eigene Sortimente fehlen, wie auch solche von Sellern, wo das Fulfillment von Amazon kommt. Anderseits könnten sie auch profitieren, in dem noch mehr bei Amazon gekauft wird und die Nachfrage nach Artikeln steigt, die von Marktplatz-Teilnehmern ohne Amazon-Fulfillment stammen und nur über Dienste wie meinEinkauf in die Schweiz kommen können.

» Beunruhigend ist, dass die Importe von Aliexpress gänzlich neben den meisten Regulatorien durchlaufen.»

Der angekündigte Amazon-Markteintritt beschäftigt die Branche wie kein anderes Thema. Wie sieht es mit den chinesischen Riesen Alibaba resp. Aliexpress und Wish aus? Wie sehen Sie die Entwicklung?

Ich wage zu behaupten, dass Aliexpress und Wish der Schweiz viel mehr schaden als Amazon. Diese beiden wachsen gerade mit exorbitanten Wachstumsraten in der Schweiz und zügeln Marktanteile ab. Beunruhigend ist, dass diese Importe gänzlich neben den meisten Regulatorien durchlaufen. Angefangen bei fehlenden Produkt-Deklarationen, ungeprüften Elektrogeräten bis hin zu fehlenden Zoll- und MwSt-Abgaben. Weit mehr als 90% der Pakete sind falsch deklariert und Post und Zoll können angesichts der Flut an Paketen (ca. 15 Mio pro Jahr und stark wachsend) lediglich Stichproben machen.

Da kann die Schweiz geradezu stolz auf die Post sein, den Warenverkehr von Amazon mit einem sauberen Zoll- und MwSt-Prozess zu unterstützen.

Die Angebote werden immer umfangreicher, egal ob Zalando, Amazon oder Digitec Galaxus. Welche Entwicklungen sind hier hinsichtlich der Suche zu beobachten?

Die Suche im Shop ist wohl eine der zentralen Funktionen und ungemein komplex. Sie können ein Sortiment von mehrere Hunderttausend bis Millionen von Produkten schlicht nicht über eine Navigation zugänglich machen. Das funktioniert nicht. Kommt hinzu, dass die Erwartungshaltung an eine Suche brutal hoch und primär von Google geprägt wird. Ein Suchfeld und es wird genau das gefunden, wonach gesucht wird. Was einfach tönt, ist mittlerweile eine Wissenschaft für sich.

Doch neben der Suche nicht zu vernachlässigen sind Funktionen wie Empfehlungen, Entscheidungshilfen, Bedürfnislösungen und je länger je mehr hochgradige Personalisierungen, so dass jeder Nutzer ein individuell für ihn zugeschnittene Sortimentspräsentation hat.

«Die Erwartungshaltung an eine Suche ist brutal hoch und wird primär von Google geprägt.» 

Welche Trends sind im E-Commerce über die Logistik und das Angebot hinaus entscheidend – beispielsweise hinsichtlich dem Einsatz neuer Technologien wie Augmented Reality?

Virtual und Augmented Reality können in Zukunft entscheidende Komponenten sein in Bereichen, wo die Visualisierung für den Kaufentscheid wichtig ist. Wenn man die Möbel bereits vor dem Kauf in der Wohnung platzieren und quasi nutzen kann, wenn man vor der Buchung bereits durch das Hotel oder das Kreuzfahrtschiff spaziert oder das neue Auto mit allen Details an den Armaturen und anderswo begutachtet.

Ziel solcher technologischer Fortschritte ist es ja auch, einen Kauf ohne direkten Produktkontakt zu begünstigen und dem Kunden die Sicherheit zu geben, dass er das bekommt, wonach er sucht, bevor er es bei Lieferung in den Händen halten kann.

Diese und ähnliche Themen werden am 23. Mai an der von Carpathia im X-TRA in Zürich veranstalteten «Connect – Digital Commerce Conference» zur Sprache kommen. Auf was können sich die Besucher freuen?

Es ist uns erneut gelungen, ein vielfältiges und ersklassiges Programm mit Top-Speakern zusammen zu stellen. Was uns klar von anderen Veranstaltungen unterscheidet ist, dass Erfahrungsaustausch und Knowhow-Transfer aus erster Hand an oberster Stelle steht. Daher finden sich bei uns kaum Dienstleister auf der Bühne und es gibt auch keine Powerpoint-Infernos. Wir arbeiten mit Panels, wo man einander auf den Zahn fühlen und auch mal kritisch nachfragen kann, was bei Standardvorträgen kaum der Fall ist.

Am 23. Mai 2018 trifft sich also das Who’s Who des Schweizer Retail und Digital Commerce in Zürich und es gibt wohl kaum eine andere Veranstaltung, bei der sie noch mehr C-Level im Publikum als auf der Bühne haben. Und uns ist es auch gelungen, dass wir 25% Frauen in den Panels haben, was uns besonders stolz macht.

Herr Lang, vielen Dank für das Interview.

WIR VERLOSEN EIN GRATIS-TICKET AN DIE «CONNECT – DIGITAL COMMERCE CONFERENCE 2018» VOM 23. MAI 2018 IN ZÜRICH.

GEWINNEN IST GANZ EINFACH: SCHICKEN SIE UNS EINE MAIL MIT DEM BETREFF «CONNECT» AN [email protected] .

EINSENDESCHLUSS IST MITTWOCH, 16. MAI 2018, 12.00 UHR


Zur Person

Thomas Lang ist studierter Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker wie auch Gründer und CEO der Carpathia AG, der führenden unabhängigen Unternehmensberatung für Digital Business in der Schweiz. Seit bald 20 Jahren gilt er als ausgewiesener Experte für E-Commerce, digitale Vertriebsmodelle und -Strategien und verfügt über ebenso lange Erfahrung auf operativer wie auf beratender Seite. Seine Beratungsmandate, Workshops , Seminare und Lehrtätigkeiten sind geprägt von Knowhow-Transfer aus der Praxis, Pragmatismus und Fokussierung auf nachhaltige Lösungen.

Thomas Lang wurde von den Wirtschaftsmedien als einer der führenden digitalen Köpfe und Vordenker der Schweiz gewählt und ist Autor zahlreicher Fachartikel und -studien, Dozent für Onlinevertriebsmodelle an verschiedenen Hochschulen sowie gefragter Referent an internationalen Konferenzen zum Thema E-Commerce und Digitale Transformation im Handel.

Der Carpathia Digital-Business-Blog zählt im deutschsprachigen Raum zu den wichtigsten unabhängigen Publikationen im Digitalen Handel.

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