Szilard Szurdok, CEO Weev, im Interview

Szilard Szurdok, CEO Weev, im Interview
Szilard Szurdok, CEO Weev (Bild: Weev)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Szurdok, Sie kommen aus dem IT- und Fintech-Bereich und haben 2021 Weev gegründet, ohne Erfahrung in der Schuh- oder Bekleidungsindustrie. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen, wie steil war die Lernkurve, wie konnten Sie Anfängerfehler in dem für Sie neuen Bereich vermeiden?

Szilard Szurdok: Ich hatte ursprünglich nicht vor, die Firma selbst zu führen – mein Fokus lag klar auf IT-Themen. Deshalb haben zunächst Wilhelm und später Joanne die operative Leitung übernommen. Eine externe Perspektive ohne Branchenhistorie kann sogar ein Vorteil sein. Da Weev als Technologieunternehmen konzipiert ist, war meine Lernkurve zwar intensiv, aber gut zu bewältigen. Ich sehe mich nicht als Einzelperson mit allem Wissen, sondern als Teil eines Teams aus Geschäftsführung, Verwaltungsrat und Vertriebsexperten, die die Branchenkompetenz mitbringen. Die Übergangszeit mit Wilhelm und Joanne gab mir zudem die Möglichkeit, mich gut in die Industrie einzuarbeiten.

«Unsere Scanning- und Visualisierungssysteme sind technisch sehr ausgereift. Je nach Prozessstufe erreichen wir Effizienzgewinne von 50 % bis 80 %.» Szilard Szurdok, CEO Weev

Weev nutzt 3D-Visualisierungstools und eine Materialdatenbank mit über 80 % digitalisierter Standardmaterialien. Wie quantifizieren Sie den Effizienzgewinn für die Schuh- und Bekleidungsindustrie durch diese Technologie?

Wir nutzen die 3D-Technologie meiner Firma PXL, die ursprünglich der Hauptgrund für mein Engagement bei Weev war. Unsere Scanning- und Visualisierungssysteme sind technisch sehr ausgereift. Je nach Prozessstufe erreichen wir Effizienzgewinne von 50 % bis 80 %. Joanne hat in einer Investorenpräsentation die Einsparpotenziale entlang der gesamten Supply Chain eindrucksvoll dargestellt – das eignet sich gut zur Veranschaulichung.

Salesforce integriert mit Agentforce autonome KI-Agenten in CRM-Systeme. Wie planen Sie, diese Technologie mit Weev zu verbinden, um Lieferketten in Echtzeit zu optimieren?

Durch die Salesforce-Integration haben wir Zugriff auf sämtliche relevanten Systeme und Daten innerhalb der Industrie. Unsere Vision ist ein vernetztes B2B-Ökosystem, das es ermöglicht, Lieferkettenprozesse entlang der gesamten CRM- und ESG-Datenlandschaft in Echtzeit zu steuern und zu optimieren.

Laut Euromonitor wird generative Künstliche Intelligenz (GenAI) bis 2025 30 % der Designprozesse in der Mode automatisieren. Welchen konkreten Anteil hat KI aktuell an Ihrer Plattform – und wo sehen Sie Grenzen?

KI macht bei uns bereits über 50 % der Plattformprozesse aus – mit weiter wachsender Bedeutung. Unsere standardisierten Workflows lassen sich flexibel anpassen, sodass jeder Kunde seinen Prozess bei uns integrieren kann. Grenzen sehen wir kaum – vielmehr eröffnet KI für uns neue Richtungen, mit einer Skalierung von aktuell 2–4 Kunden pro Monat auf bis zu 200–400 dank KI-Unterstützung.

«KI macht bei uns bereits über 50 % der Plattformprozesse aus – mit weiter wachsender Bedeutung.»

Bis anhin machen Schuhhersteller den grössten Teil Ihrer Kunden aus. Welche Wachstumspläne haben Sie ausserhalb der Schuhindustrie?

Wir arbeiten zunehmend branchenübergreifend. So stehen wir kurz davor, Weev mit einem globalen Player in der Kaffeebranche umzusetzen. Unsere Partner wie Brington sind bereits in über 60 Industrien aktiv. KI und Salesforce eröffnen hier enorme Wachstumschancen, schneller als ursprünglich geplant.

Weev strebt innerhalb eines Jahrzehnts den Unicorn-Status an. Mit welcher jährlichen Wachstumsrate rechnen Sie, und wie viel des aktuellen Umsatzes fliesst in die Internationalisierung?

Unser Wachstum verläuft nicht linear, sondern exponentiell. Bereits heute sind wir international aktiv. Für die nächsten drei Jahre rechne ich mit einer Umsatzverdopplung pro Quartal – eventuell sogar monatlich. Das Marktgeschehen entwickelt sich deutlich schneller als erwartet.

«Für die nächsten drei Jahre rechne ich mit einer Umsatzverdopplung pro Quartal.»

Sie bedienen Kunden in China, den USA und Europa. Welcher Markt generiert die höchste Rendite, und wie stark beeinflussen Zölle und Compliance-Kosten Ihre Expansionsstrategie?

In Europa dominieren Compliance-Kosten. Märkte mit hohem Innovationshunger wie Pakistan, die Türkei oder China entwickeln sich am dynamischsten. Die Risikobereitschaft ist dort deutlich höher, ebenso wie die unternehmerische Geschwindigkeit. Globale Zentren verschieben sich – Dubai und Jakarta gewinnen massiv an Relevanz.

Marc Benioff investierte erstmals in ein Schweizer Startup. Welche konkreten Auswirkungen hat seine Investition, welche Rolle spielt er selbst bei der Weiterentwicklung von Weev?

Die Beteiligung von Marc Benioff hat uns enorm gestärkt. Wenn eine Schlüsselfigur der CRM-Welt öffentlich unsere Vision unterstützt, erzeugt das viel Vertrauen. Er begleitet uns aktiv – als strategischer Berater, durch sein Netzwerk und direkte Unterstützung im Vertrieb.

Die Schweizer Textilbranche produziert jährlich 20 kg Neukäufe pro Person. Wie viel Materialabfall reduzieren Weev-Nutzer in der Schweiz und weltweit durch digitale Workflows?

Nach Einschätzung unseres Board-Mitglieds Daniel Tschümperlin können wir mit aktivem Workflow-Management den Materialabfall um 20–30 % reduzieren – sowohl in der Schweiz als auch international.

Sie tracken die Lederherkunft bis zum Ursprung. Wie viele Lieferanten haben Sie bereits auditiert, und welchen CO₂-Fussabdruck konnten Sie damit einsparen?

Weev führt keine Audits selbst durch, sondern strukturiert vorhandene Daten so, dass CO₂-Bilanzen daraus berechnet werden können. Wir verstehen uns als Ermöglicher für nachhaltige Entscheidungen entlang der Lieferkette.

Die Schweiz belegt im Global Innovation Index Platz 1. Welchen quantifizierbaren Vorteil bietet der Standort für Weevs Technologieentwicklung im Vergleich zu Zentren wie Berlin oder Lissabon?

Die Schweiz bietet uns Rechtssicherheit, Neutralität und geopolitische Stabilität – ein entscheidender Vorteil. Zusätzlich sind wir geografisch hervorragend zwischen Design (Italien), Produktion (Asien) und Kapitalmärkten positioniert.

«In Europa dominieren Compliance-Kosten. Märkte mit hohem Innovationshunger wie Pakistan, die Türkei oder China entwickeln sich am dynamischsten.»

Sie kooperieren mit Schweizer Hochschulen. Welche speziellen Themen stehen hierbei im Fokus, welche Skills, die Sie für den Erfolg von Weev benötigen, finden Sie in der Schweiz nicht?

Wir arbeiten verstärkt mit der ETH zusammen, vor allem im Bereich neuer Materialien. Gleichzeitig ist Norditalien historisch gesehen ein Wissenszentrum der Textilindustrie. Diese Verbindung aus Hightech und historischer Substanz ist für uns ideal.

Sie erwähnen digitale Zwillinge als Schlüsseltechnologie. Wie können Ihre Kunden diese nutzen, und wie monetarisieren Sie diese Technologie?

Digitale Zwillinge reduzieren physisches Sampling und damit Produktions- und Logistikkosten um bis zu 80 %, abhängig vom Material. Unsere Kunden integrieren diese via API direkt in ihre 3D-Designprozesse. Sie sind Teil unseres abonnementbasierten Geschäftsmodells.

«Digitale Zwillinge reduzieren physisches Sampling und damit Produktions- und Logistikkosten um bis zu 80 %, abhängig vom Material.»

Die Modebranche könnte bis 2030 160 Mrd. USD durch Kreislaufmodelle generieren. Mit welchem Anteil am Gesamtmarkt rechnen Sie für Weev?

Für uns ist nicht das Kreislaufmodell entscheidend, sondern der neue, entstehende Markt für KI-gestützte IT-Systeme. Dieser ist enorm gross und noch nicht konkret bezifferbar. Unsere Technologie ist flexibel genug, um über die Modeindustrie hinaus in viele andere Sektoren zu expandieren.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?

Ich wünsche mir, dass Weev zu einem offenen, vertrauenswürdigen Standard der digitalen Kreation wird – ein System, das kreative Inhalte schützt, sichtbar macht und gleichzeitig Daten sicher hält. Ich glaube an die Kraft von Blockchain, NFTs und digitaler Transparenz. Weev soll das digitale Gegenstück zu dem werden, was die Gelben Seiten früher waren – ein Ort, an dem jeder alles findet.


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