REYL Intesa Sanpaolo: Wenn die Euphorie die Schwachstellen verdeckt – Kurs auf 2026
Die traditionelle «Kristallkugel»-Übung zum Jahresende, bei der die Perspektiven und Überzeugungen für die kommenden zwölf Monate aufgezählt werden, hat oft viel vom Wahrsagen an sich – deren Schlussfolgerungen sind in der Regel nach wenigen Wochen hinfällig, sobald das Unerwartete wieder auftaucht. Dies scheint uns heute besonders zutreffend nach einem Jahr voller Unsicherheiten und einem eher chaotischen November. Wir ziehen es daher vor, uns auf die Identifikation der wesentlichen zugrunde liegenden Risiken und der damit verbundenen Marktsignale zu konzentrieren.
von Nicolas Besson, Chief Investment Officer bei der Bank REYL Intesa Sanpaolo
Unter der Oberfläche: Spannungen
Die Herausforderungen sind zahlreich. Als Erstes der Ausgangspunkt: Die wichtigsten Börsenindizes liegen heute auf oder nahe bei ihren historischen Höchstständen. Dies lässt sich zwar durch günstige wirtschaftliche Fundamentaldaten (das globale Wachstum hat dieses Jahr klar positiv überrascht) und sehr lockere Finanzierungsbedingungen erklären, deren zugrunde liegende Treiber jedoch zunehmend fragwürdig erscheinen – mit einer übermässigen Nutzung fiskal- und geldpolitischer Hebel unter dem wachsenden Einfluss populistischer Führungskräfte.
Die Liquidität ist reichlich vorhanden und hat die meisten Anlageklassen auf Bewertungsniveaus getrieben, die zumindest angespannt wirken – ganz zu schweigen vom fast übertriebenen Hype um KI, dessen Hoffnungen zwangsläufig teilweise enttäuscht werden… Zum Beispiel: Der Buchwert der Unternehmen im S&P500 sowie der Barwert ihrer erwarteten Gewinne über drei Jahre machen nur rund 30% des Indexniveaus aus, der Rest kann als «Hopes and Dreams» bezeichnet werden… Behalten wir im Hinterkopf: Auf zehn Jahre betrachtet erklärt die anfängliche Bewertung von Vermögenswerten den Grossteil der Variabilität zukünftiger Renditen!
Die Risse werden sichtbar
Während die Wirtschaft robust ist und die Märkte Höhenflüge erleben, sind diese stimulierenden Politiken wirklich vernünftig? Die Kehrseite der Medaille birgt wohl ein Wiederaufflammen von Inflationsdruck, um den sich kaum jemand zu kümmern scheint – einschliesslich der Zentralbanken, insbesondere der Fed. Druck, den die US-Zölle weiter anheizen werden, sobald die dadurch verursachten Preissteigerungen letztlich an die Verbraucher weitergegeben werden. Die Zentralbanken, Schiedsrichter des Gleichgewichts zwischen Wachstum und Inflation, scheinen einer ungesunden Politisierung ausgesetzt, wie die Federal Reserve, was ihre Orthodoxie verzerrt und ihre Glaubwürdigkeit untergräbt.
Die bisher beobachtete «künstliche» Gelassenheit, die insbesondere zu einer Unterbewertung der Risiken führt, basiert zudem auf instabilen Fundamenten. Zu den bereits besorgniserregenden staatlichen Schuldenniveaus kommt ein unaufhaltsames Anwachsen der Haushaltsdefizite hinzu, das normalerweise die «Bond Vigilantes» dazu veranlassen sollte, höhere Renditen für den Besitz langfristiger Anleihen dieser Länder zu verlangen, deren Finanzlage Anlass zur Sorge gibt.
Greifbare Warnsignale sind heute bereits sichtbar: Die Zunahme der Laufzeitprämien bei Anleihen, die die Steilheit der Kurven verstärkt, ist ein markantes Beispiel – besonders in Japan, wo die Spanne zwischen dem Leitzins und der Rendite der 30-jährigen JGB seit Anfang 2022 um mehr als 2% gestiegen ist! In den USA liegt die Rendite der 30-jährigen Staatsanleihe heute über den Fed Funds und steigt seit Beginn der geldpolitischen Lockerung im September 2024 kontinuierlich um bereits 150 Basispunkte – etwas, das in den meisten vorherigen Lockerungszyklen nicht zu beobachten war. Die zweite Anpassungsvariable ist der Wechselkurs, wie die Schwäche des Dollar oder Yen zeigt, während der Schweizer Franken in die Höhe schiesst!
Wie solche Phänomene eindämmen? Wenn sich die Lage zuspitzt, wird der Rückgriff auf unkonventionelle Massnahmen (quantitative Lockerung, «Twist»-Operationen und Steuerung der Zinskurve) unvermeidlich sein; Massnahmen, die die «faire» Vergütung von Vermögenswerten verzerren und das Sparen in künstlich gesteuerten Märkten bestrafen.
Den Boden bereiten
Sind wir deshalb pessimistisch? Nein, aber wachsam. Sisyphos hat wohl noch genug Kraft, seinen Felsen näher zum Gipfel zu schieben. Wir bleiben voll in Aktien investiert, asymmetrieren jedoch unsere Engagements durch den Einsatz taktischer, dank niedriger Volatilität attraktiver Absicherungen. Wir übergewichten auch reale Vermögenswerte, die nicht durch Verbindlichkeiten gedeckt sind und zudem einen Schutz gegen Inflation darstellen – eine Positionierung, die zu bevorzugen ist. Der beeindruckende Anstieg des Goldpreises ist ein markantes Beispiel! Die Wahl guter Rendite-Risiko-Paare ist entscheidend, wie der Schweizer Aktienmarkt oder Liquidität, im Gegensatz zu Kredit, der zu teuer geworden ist. Die Auswahl qualitativ hochwertiger Schuldner (privat und staatlich) und eine moderate Duration sind im Anleihesektor entscheidend. Eine Diversifikation in Schwellenmärkte, die bessere Fundamentaldaten als ihre entwickelten Pendants aufweisen, wird empfohlen. Schliesslich stärkt ein Engagement in Alternativen (allen voran Hedgefonds) die Robustheit der Portfolios bei steigender Volatilität. Die Sicherheitsgurte sind angelegt, um das Jahr 2026, das Turbulenzen bringen könnte, zu meistern! (pd/mc)