Biochemikerin Maria Hondele: Die Pionierin

Biochemikerin Maria Hondele: Die Pionierin
Prof. Dr. Maria Hondele. (Foto: Annette Roulier / Unibas)

Von Yvonne Vahlensieck, Universität Basel

Neugier ist der treibende Faktor im Leben von Maria Hondele. Mit ihrer Forschung betritt die Biochemikerin Neuland auf dem Gebiet der Zellbiologie.

Im Büro von Maria Hondele im 14. Stock des Biozentrums konkurriert ein Wandkalender mit der Aussicht über den Rhein und Basel. Darauf zu sehen: ein einsamer Fjord in Norwegen. Das skandinavische Land ist schon lange ein Sehnsuchtsort für die Assistenzprofessorin. Gerade ist sie aus einem Sommerurlaub von dort zurückgekehrt, bei dem sie ihre Batterien wieder aufgeladen hat.

Im Eiltempo führt Hondele durch ihre Laborräume und Büros. Seit sie Anfang 2020 dem Ruf nach Basel gefolgt ist, hat sie schon einiges auf die Beine gestellt. «Es ist mir trotz der Pandemie gelungen, einen schnellen Start hinzulegen», sagt sie. In Rekordzeit stellte sie ein Team aus einer Labormanagerin, einer Postdoktorandin und sechs Doktorierenden zusammen. Und bereits zugesprochene Fördergelder vom Schweizerischen Nationalfonds in Höhe von einer Millionen Franken ergänzte sie durch einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrates in Höhe von 1,5 Millionen Euro.

Neues Wissen zu bekannten Strukturen
Die hochdotierten Drittmittel bestätigen, dass sich Hondele mit ihrer Arbeit auf einem zukunftsträchtigen Gebiet bewegt. Begeistert erzählt sie von ihrem noch relativ jungen Forschungsfeld, das immer mehr an Fahrt aufnimmt. Die Strukturen, die sie untersucht, sind mikroskopisch kleine Tröpfchen im Inneren von Zellen, sogenannte biomolekulare Kondensate und membranlose Organellen.

Im Gegensatz zu anderen Strukturen, wie etwa den Mitochondrien genannten «Zellkraftwerken», sind diese nicht durch eine Membran vom Zellinnenraum abgetrennt. Stattdessen formieren sich viele von ihnen wie von Zauberhand von selbst und lösen sich dann wieder auf. Lange mass die Wissenschaft diesem Phänomen keine grosse Bedeutung zu, viele hielten die Tröpfchen sogar für Artefakte ohne Funktion.

«Auch jetzt stehen über dem Forschungsfeld immer noch viele grosse Fragezeichen.»

Maria Hondele

Als Hondele vor zehn Jahren eine Postdoktorandenstelle an der ETH Zürich antrat, gehörte sie zur ersten Welle an Forschenden, die diese Strukturen genauer untersuchten. Seitdem mehren sich die Hinweise, dass innerhalb der Tröpfchen eine Vielzahl an essenziellen Prozessen ablaufen. «An den ersten Konferenzen herrschte eine richtige Aufbruchstimmung », erinnert sie sich. «Auch jetzt stehen über dem Forschungsfeld immer noch viele grosse Fragezeichen.»

Im Moment sind sich die Forschenden beispielsweise nicht einmal einig darüber, wie die Bildung der Tröpfchen am besten genannt werden soll – handelt es sich um eine Phasentrennung, wie man sie beispielsweise bei Öltropfen in Wasser beobachten kann, oder doch eher um schwache Wechselwirkungen, bei denen sich Eiweisse ähnlich wie Fische in einem Schwarm vorübergehend zusammentun? Das ist eine wichtige Frage, aber Hondele hat primär einen anderen Fokus: «Mich interessieren viel mehr die biologischen Vorgänge, die dahinterstehen. Wie genau bilden sich die Tröpfchen? Wozu sind sie gut? Was spielt sich dort ab?»

Labor statt Kindheitstraum
Genau diese Neugier hat sie dazu bewogen, ihren Kindheitstraum zugunsten einer Forscherinnenkarriere über Bord zu werfen: Aufgewachsen in der bayrischen Kleinstadt Freising, war ihr schon von klein auf «glasklar», dass sie Ärztin werden wollte. «Doch bald nach Beginn des Medizinstudiums habe ich gemerkt, dass mich die Lebenswissenschaften viel mehr faszinierten.» Es genügte ihr nicht, bereits vorhandenes Wissen anzuwenden – sie wollte den Dingen selbst auf den Grund gehen. Kurzerhand wechselte sie an der Universität Regensburg nach der Zwischenprüfung in Medizin zur Biochemie. Mit einem prestigeträchtigen Fulbright-Stipendium konnte sie dann an der University of Massachusetts, Worcester in den USA erste Laborluft schnuppern und war begeistert.

«Die Konkurrenz war gross. Ich habe gelernt, mich im Labor durchzubeissen.»

Die eigentliche Feuerprobe für den neu gewählten Weg war dann die Doktorarbeit am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg und der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Erst gegen Ende der eingeplanten Zeit gelang ihr mit der Kristallisation eines Eiweisskomplexes ein Durchbruch: Sie verlängerte daraufhin ihren Vertrag und klärte eine Struktur im Zellkern auf, an der zuvor schon viele gescheitert waren. «Ich stand ein Jahr lang völlig unter Strom und habe fast nichts anderes gemacht, die Konkurrenz war ja gross», erinnert sich Hondele. «Da habe ich gelernt, mich im Labor durchzubeissen.» Diese Erfahrung – und die daraus resultierende viel beachtete Publikation − gab dann endgültig den Anstoss, mit der Wissenschaft weiterzumachen.

Kreativität kommt beim Klettern
Während des Postdoc an der ETH und nun in ihrer eigenen Arbeitsgruppe fokussiert sich Hondele auf eine bestimmte Klasse von Enzymen, die häufig in den membranlosen Organellen zu finden sind – die sogenannten DEAD-Box ATPasen. Diese kommen in den Tröpfchen oft in Verbindung mit bestimmten Nukleinsäuren vor, zum Beispiel mit Boten-RNAs, die die Bauanleitung für weitere Zellbestandteile enthalten. Die ATPasen scheinen eine zentrale Rolle zu spielen, nicht nur für die Prozessierung der RNAs, sondern auch für die Formation und Regulierung von Kondensaten und membranlosen Organellen. DEAD-box ATPasen gibt es in allen Lebewesen, von Bakterien bis hin zum Menschen, doch die genaue Funktion vieler dieser Enzyme ist – wie die der membranlosen Organellen – noch rätselhaft.

Hondele hat aufgrund ihrer bisherigen Experimente aber eine Idee dafür entwickelt: Die meisten DEAD-Box ATPasen bestehen aus einem kompakt gefalteten Körper und zwei Armen. Mit dem Körper heften sie sich vorübergehend an ein Stück Boten-RNA. Über die Arme können sich einige dieser Enzyme dann gegenseitig festhalten und so zu Tröpfchen «kondensieren». Hondele und ihre Mitarbeitenden mutmassen, dass die RNA im Inneren mancher dieser Tröpfchen durch weitere Enzyme speziell bearbeitet wird.

«Beim Klettern hat man oft einen ganzen Tag am Stück Zeit zum Nachdenken. Und irgendwann kommt dann eine Idee, wie es funktionieren könnte.»

So weit zumindest die Vermutung. «Es kann sein, dass die RNA dort prozessiert wird. Die Bildung der Tröpfchen könnte aber auch einfach nur eine Reaktion auf Stress ohne eine spezifische Funktion sein. Oder überschüssige Komponenten werden dort zwischengelagert», sagt Hondele. Auch bei neurodegenerativen Krankheiten wie ALS und Alzheimer scheinen membranlose Organellen eine Rolle zu spielen.

Die Zeit, solche Hypothesen zu wälzen, findet Hondele auch bei Kurztrips mit ihrem Partner oder Freunden in die Berge – im Sommer zum Klettern, im Winter für Skitouren. Entwickelt sie dabei den gleichen Ehrgeiz wie in der Forschung? Sie stutzt, muss kurz überlegen. Eigentlich nicht. Zwar hat sie schon einmal einen Sechstausender in Kirgistan gemeistert, aber wenn sie in einer grossen Felswand hängt, geht es eher darum, den Kopf freizubekommen. «Da hat man oft einen ganzen Tag am Stück Zeit zum Nachdenken. Und irgendwann kommt dann eine Idee, wie es funktionieren könnte.» (Universität Basel/mc/ps)

Maria Hondele, geboren 1981, studierte an der Universität Regensburg vorklinische Medizin und Biochemie. Nach der Promotion am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität München forschte sie sechs Jahre als Postdoktorandin an der ETH Zürich. Seit dem 1. September 2020 ist sie Assistenzprofessorin für Biochemie am Biozentrum der Universität Basel.
Weitere Artikel in der aktuellen Ausgabe von UNI NOVA.

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