Kein Märtyrertum und keine Krokodilstränen

Kein Märtyrertum und keine Krokodilstränen

Philipp Hildebrand.

Nach dem Rücktritt Philipp Hildebrands ergehen sich Medien und (vermeintliche) Experten in Betroffenheit und geheucheltem Schuldbewusstsein. Dabei kann der Rücktritt ein Zeichen sein für eine neue Wertehaltung, die auch im Finanzsektor zu Hoffnung Anlass geben könnte.

Von Helmuth Fuchs

Völlig unabhängig von der rechtlichen Verantwortlichkeit der Weltwoche, Philipp Hildebrands, Christoph Blochers und weiteren Involvierten, den moralischen Aspekten und Schuldzuweisungen, geht eine sehr einfache Frage bezüglich des Verhaltens von Philipp Hildebrand verloren: Wann ist genug genug? Was offenbar auch viele Exponenten der Wirtschaft noch nicht bemerkt haben: Die Mehrheit der Schweizer befindet sich zunehmend im (als solchen empfundenen) Krisenmodus. Die Durchschnittsverdiener haben am Vermögenswachstum der letzten Dekade nicht mehr partizipiert. Während sich die Top-Manager immer unverhohlener bedient haben, wurden die Durchschnittseinkommen teuerungsbereinigt kaum gesteigert, die Mittelklasse, das eigentliche Rückgrat der Wirtschaft, kommt immer mehr unter Druck.

Die Arroganz der Geldmacht
In diesem Kontext werden das Handeln von Philipp Hildebrand und seiner Frau umso unverständlicher. Top Manager in einer solch herausragenden Stellung haben eine Verantwortung über das eigene Profitdenken hinaus. Der leitende Nationalbanker hat eine Vorbildfunktion für eine ganze Industrie. Zusätzlich zu einem sicherlich mehr als ausreichenden Einkommen noch der Gier nach dem schnellen Geld zu erliegen, ist schlicht unangebracht. Man kann „Occupy Wall Street“ verniedlichen, ignorieren sollte man die Bewegung und das, was sie repräsentiert, nicht. Die Arroganz der Geldmacht hat generationsübergreifend zu einem berechtigten Zorn geführt. Die Frage „wann ist genug“, wird von einem signifikanten Teil der Bevölkerung mit „schon lange“ beantwortet. Und hier darf und muss man von Führungspersönlichkeiten wie Philipp Hildebrand mehr verlangen. Diesem Anspruch hat er nicht genügt. Dass seine Frau massgeblich an den Käufen beteiligt war ist nicht relevant.

Zeichen der Zeit nicht erkannt oder nicht verstanden
Die im Vorfeld getätigten Einschätzungen, dass niemand anders als Philipp Hildebrand in der Lage sei, die Finanzpolitik des Bundes zu vertreten, dass die Schweiz ohne ihn in eine Krise rutschen werde und ähnliche Aussagen sind schlicht naiv. Es gibt genügend fähige Finanzbeamte, welche die politischen und finanziellen Strategien mitdefinieren und umsetzen können. Die Nationalbank ist keine „one man show“, sondern ein Gremium von Experten, wird also auch ohne Philipp Hildebrand gut funktionieren. Philipp Hildebrand ist zu wünschen, dass seine Karriere weiter geht und er mit dem nötigen Lerneffekt für weitere bedeutende Aufgaben motiviert ist. Er ist kein Opfer oder Märtyrer, sondern einfach ein Top-Manager, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt oder nicht verstanden hat. Für alle anderen gibt es weder Anlass zum Jubel, noch zum heulenden Elend. Weiter arbeiten an der Zukunft der Schweiz, mit revidierten Werten, welche sich nicht nur am Stand des Bankkontos orientieren, ist das Gebot der Stunde.

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