Pflegende in der Psychiatrie: zufrieden, aber überlastet

Pflegende in der Psychiatrie: zufrieden, aber überlastet
Personalmangel ist auch in der psychiatrischen Pflege spürbar und macht den Pflegenden in unterschiedlicher Hinsicht zu schaffen. (Foto: AdobeStock / Unibas)

Von Noëmi Kern, Universität Basel

Basel – Der Pflegenotstand ist in aller Munde und fordert das Gesundheitspersonal zusätzlich. Ein Bericht der Universität Basel zeigt, wie zufrieden Pflegende in der Psychiatrie mit ihrem beruflichen Alltag sind.

Unregelmässige Arbeitszeiten, Nachtschichten und Überstunden: Dass der Pflegeberuf fordernd ist, ist nichts Neues. Im Fokus steht aber oft die sogenannte Somatik, also die Betreuung von Menschen mit körperlichen Leiden. Doch auch Mitarbeitende in der stationären Psychiatriepflege sind von diesen Themen betroffen.

Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Michael Simon am Institut für Pflegewissenschaften der Universität Basel untersuchte in einer Studie, wie es um die Pflege in der stationären psychiatrischen Behandlung steht. Sie befragten dazu 1185 Pflegefachpersonen und Fachfrauen/-männer Gesundheit von insgesamt 114 Abteilungen aus 13 psychiatrischen Kliniken. Die Resultate sind im Anfang April erschienenen Bericht «Pflege in der stationären Psychiatrie der Deutschschweiz» (MatchRN Psychiatrie) zusammengefasst. Es ist die erste Untersuchung in diesem Umfang und fand zwischen 2019 und 2021 statt.

Das Fazit: Grundsätzlich sind die meisten Befragten zufrieden mit ihrer Arbeitsumgebung. Vier von fünf Befragten würden ihren Arbeitsort weiterempfehlen. Besonders positiv wirkt sich eine gute psychosoziale Umgebung auf die Arbeitszufriedenheit aus. Dazu zählen etwa ein ausgeprägter Teamgeist und eine kompetente Führung. Pflegende, die den Eindruck haben, dass ihre Bedürfnisse zum Beispiel bei der Dienstplanung nach Möglichkeit berücksichtigt werden, sind zufriedener.

Personalmangel beschäftigt
Doch auch in der psychiatrischen Gesundheitsversorgung ist der Personalmangel spürbar. Eine zu dünne Personaldecke führt auch dazu, dass Mitarbeitende zusätzliche Schichten übernehmen und/oder Überzeit leisten. «Zum Zeitpunkt der Befragung gaben über 40 Prozent an, dass sie in der letzten Schicht Überzeit geleistet haben», sagt Michael Ketzer, Doktorand und Erstautor der Studie.

«Zum Zeitpunkt der Befragung gaben über 40 Prozent an, dass sie in der letzten Schicht Überzeit geleistet haben.»

Michael Ketzer

Drei Viertel der Befragten springen mindestens einmal pro Monat kurzfristig ein – oft auch an Wochenenden und Feiertagen, übernehmen Spät- und Nachtschichten. Darunter leidet die Work-Life-Balance.

Unterbesetzte Schichten bereiteten den Befragten aber auch Sorgen hinsichtlich der Qualität der Patientenversorgung. «Psychiatriepflegende identifizieren sich stark mit ihrem Beruf. Sie fühlen sich zuständig für die Patientinnen und Patienten, die besonders vulnerabel und obendrein nach wie vor einer starken gesellschaftlichen Stigmatisierung ausgesetzt sind. Die Pflegenden wollen sie schützen und dabei unterstützen, ins Leben zurückzufinden», sagt Michael Simon.

Die Versorgung der Patientinnen und Patienten stehe daher an erster Stelle. Aufgrund des Zeitmangels bleiben aber nachgelagerte Arbeiten wie etwa administrative Tätigkeiten eher auf der Strecke. Signifikant ist der Zusammenhang von unterlassener Pflege und der Personalausstattung: ist weniger Personal vor Ort, werden mehr vorgesehene Pflegetätigkeiten ausgelassen. Dies wiederum kann moralischen Stress und Burnout bei Pflegenden begünstigen.

Pflegende brauchen langfristige Perspektiven
Um dem entgegenzuwirken, sind die Klinikleitungen gefragt. Es gilt, die Arbeitsumgebung weiter zu verbessern. Längst nicht alle Kliniken hätten einen Plan, wie dies zu bewerkstelligen sein, stellen die Forschenden fest.

«Es lohnt sich, ins Personal zu investieren und Anreize zu schaffen, dass die Pflegenden im Beruf bleiben. Das sind fachlich kompetente Leute, die auch interessiert sind, sich auf ihrem Gebiet weiterzuentwickeln», sagt Michael Simon. Weiterbildungen, die eine Perspektive bieten, halten die Motivation hoch, längerfristig im Beruf zu bleiben.

Dem Vorwurf, dass dadurch eine Akademisierung des Pflegeberufs stattfinde, hält er entgegen: «Die meisten Menschen, die in der Pflege arbeiten, tun das in erster Linie, weil sie gerne mit den Patientinnen und Patienten in Kontakt kommen. Es ist ihnen ein Anliegen, für diese Menschen da zu sein, und sie haben den Anspruch, eine hochqualitative Pflege zu gewährleisten.» Es brauche dafür Entwicklungsmöglichkeiten, wie klinische Weiterbildungen, die dazu beitragen dass Pflegefachpersonen «am Bett» bleiben.

Eine Weiterentwicklung ist auch auf Führungsebene nötig, hält Simon fest. «Um die unterschiedlichen Herausforderungen in der Pflege zu meistern, braucht es moderne Führungskonzepte, die nicht mehr so hierarchisch sind und etwa die Personalplanung anders gestalten.»

In einer zweiten Erhebung im Jahr 2023 vertieften die Forschenden die Erkenntnisse aus dem ersten, nun erschienenen Bericht. Sie fokussierten dabei auf die Stigmatisierung der Pflegenden gegenüber den Patienten, auf den Einsatz von Temporärkräften, das Stationsklima sowie Aggressionen im Pflegealltag. (Universität Basel/mc/ps)

Originalpublikation
Michael Ketzer et al.
Pflege in der stationären Psychiatrie der Deutschschweiz Gesamtbericht, April 2024
doi: 10.5281/zenodo.10884894
Universität Basel

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