Säbelrasseln in Europa und Asien

Säbelrasseln in Europa und Asien
Dr. Fritz Kälin

Die Ukraine und Taiwan liegen im umkämpften geopolitischen Niemandsland zwischen der westlichen demokratischen Staatengemeinschaft auf der einen Seite, sowie Russland und China auf der anderen Seite. Seit Wochen sieht sich die Ukraine dem stärksten Aufmarsch russischer Truppen seit Kriegsausbruch 2014/2015 gegenüber. In Asien müssen mehrere Länder, insbesondere Taiwan, ihr Hoheitsgebiet gegen immer häufigere und umfangreichere Provokationen seitens des chinesischen Militärs absichern. Das Säbelrasseln von Moskau und Peking vernehmen wir hierzulande aus der Corona-übersättigten deutschsprachigen Medienlandschaft arg gedämpft. Und es ist nur die halbe Geschichte.

Von Dr. Fritz Kälin

Auch der Westen bewegt zur Zeit im grossen Massstab Truppen. Die NATO führt gerade ihre von langer Hand geplante Truppenverlegungsübung «Defender Europe 2021» durch. Zeitgleich üben die Amerikaner mit «Defender Pacific» die Verstärkung ihrer Verbündeten auf der anderen Seite des Globus. Der diesjährige «Defender Europe» beübt die rasche Verstärkung Südosteuropas mit 28‘000 Soldaten. Anders als im Vorjahr wird die Allianz diesmal die Übung mittels Schutzkonzepten trotz Corona im geplanten Massstab durchziehen. Im Mai werden die teils von weit her verlegten Verbänden ihre Feldmanöver abhalten. Nebst Bündnisstaaten üben bei «Defender Europe 2021» Soldaten aus Georgien, der Ukraine, Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Moldawien mit. Serbien, dass normalerweise mit West und Ost den militärischen Austausch pflegt, ist der wohl prominenteste Nichtteilnehmer an dieser Grossübung.

Alles gefährlicher macht der Mai
Im Mai dürften auch sämtliche um die Ukraine zusammengezogenen russischen Truppen ihre höchste Einsatzbereitschaft erreicht haben. Über deren genaue Stärke kursieren verschiedene Schätzungen. Der Aufmarsch verläuft zwar so offen, dass viele darin eine blosse Drohgebärde sehen wollen. Das ukrainische Heer ist auch nicht mehr nur ein desolater Überrest der Sowjetarmee, der 2014 nur wenige Bataillone notfallmässig gefechtsbereit machen konnte. Das Heer ist heute weitaus einsatzbereiter und kriegserfahren. Aber die Luftwaffe bleibt ein Relikt aus den 1980er-Jahren, das schon 2014 gegenüber der bodengestützten Luftabwehr der Gegenseite faktisch kapitulieren musste. Und der Flotte kamen mit dem Verlust der Krim die meisten Schiffe und Häfen abhanden. Wie könnte ein eskalierter Krieg angesichts dieser Kräfteverhältnisse ablaufen?

Russland bedroht die Ukraine aus fast allen Richtungen. Fatal wäre insbesondere ein Stoss in den Rücken des Stellungsgürtels, den die Ukrainer um das abtrünnige Gebiet im Donbass errichtet haben. Eine amphibische Landung an der gut 200km langen Schwarzmeerküste zwischen der Krim und der frontnahen Stadt Mariupol würde eine noch raschere Umfassung der stärksten ukrainischen Kräfte ermöglichen. Russland verfügt über die dafür notwendige Überlegenheit in der Luft und zur See. Und Moskau übt grossen Druck auf Ankara aus, um zu verhindern, dass die Ukrainer zumindest mit türkischen Kampfdrohnen eine kosteneffiziente Antwort auf Russlands Übermacht erhalten. Den ukrainischen Soldaten bliebe wie 2014/2015 der Mut der Verzweiflung, um dem Angreifer wenigstens einen empfindlichen Blutzoll abzutrotzen. In den besetzten Gebieten käme es sicherlich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Invasoren. Falls früh Kräfte zur Verteidigung der Hauptstad Kiew konzentriert würden, liesse sich für das politische Überleben des Landes Zeit gewinnen.

Neutrale aller Kontinente wappnet euch
Natürlich würde Moskau bei einem weiter eskalierten Krieg gegen die Ukraine diplomatisch und wirtschaftlich noch stärker als bisher sanktioniert. Diesen Preis war der Kreml aber schon 2014 bereit zu zahlen, um die Ukraine militärisch an einer Integration in die NATO zu hindern. Sieben Jahre später scheint die westliche Staatengemeinschaft den Ukrainern nicht viel besser beistehen zu können. Diese Feststellung fliesst sicherlich in die chinesische Beurteilung der ‘Taiwanfrage’ ein. Die zwei Militärmächte Russland und China, die beide die Weltordnung zu ihren Gunsten verändern wollen, lassen zeitgleich die Muskeln spielen. Womöglich tasten sie das globale Dispositiv der USA und ihrer Verbündeten auf Schwachstellen ab. In diesem globalen Nullsummenspiel gibt es für neutrale Staaten nur zwei Rollen: Entweder sind sie ein militärisch anerkannter Puffer. Oder sie sind ein vorab noch geduldetes Vakuum, das eine grosse Anziehungskraft auf «grüne Männchen» und Revolutionen jeglicher ausübt. In einer globalisierten und digitalisierten Welt schafft geografische Distanz zu den aktuellen machtpolitischen Hot Spots noch keine ausreichende Sicherheit. Und vergessen wir nicht: Je mehr Gegengewichte die NATO zu Russland wiederaufbauen muss, desto weniger Kraft ihr bleibt zur Eindämmung der Gefahren, die jenseits des Mittelmeers auch für die Schweiz erwachsen.


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