abrdn: Soft Landing – eine Illusion?

abrdn: Soft Landing – eine Illusion?
Maximilien Macmillan, Investment Director, abrdn. (Foto: zvg)

Die Weltwirtschaft scheint in einer weitaus besseren Verfassung zu sein als im letzten Sommer. Vorsicht ist jedoch geboten.

von Maximilien Macmillan, Investment Director, abrdn

Als Investor ist es zwar unsere Aufgabe, sich abzeichnende Trends im Blick zu haben. Vor allzu positiven Narrativen sollten wir uns allerdings fernhalten. Zurzeit zeichnet sich – sowohl in der Berichterstattung als auch in den Preisen der Vermögenswerte – eine sanfte Landung ab. Einige Anzeichen in den Wirtschaftsdaten waren auch durchaus ermutigend. Rückläufige Inflationszahlen und eine sinkende Arbeitslosigkeit in den USA liessen die Hoffnung auf eine sanfte Landung aufkeimen. Es ist zumindest möglich, dass der Druck auf dem Arbeitsmarkt nachlässt, ohne dass es zu einer Rezession kommen muss. Der Konsum könnte durch ein besseres Reallohnwachstum anstelle eines starken Beschäftigungswachstums angekurbelt werden. Die Wirtschaft könnte dem Trend folgen.

Obwohl dies theoretisch möglich ist, halten wir diese Vorstellung einer entspannten Rückkehr zum wirtschaftlichen Gleichgewicht für eine Illusion. Es ist unwahrscheinlich, dass die Zentralbanken – und damit auch die Investmentbranche – so einfach davonkommen werden.

Rückkehr zum Takt der Realwirtschaft ist schwierig
Im Jahr 2021 versäumten es die Zentralbanken der Industrieländer, auf den zunehmenden Inflationsdruck zu reagieren. Sie glaubten, dass es sich dabei um eine vorübergehende Begleiterscheinung der Wiedereröffnung nach einer Pandemie handelte. Deshalb mussten sie seit Anfang 2022 überkompensieren, indem sie die Zinssätze aggressiv anhoben und Anzeichen einer bevorstehenden wirtschaftlichen Abschwächung ignorierten, aus Angst, ihre Glaubwürdigkeit erneut zu verlieren. So finden wir uns nun in einer Welt wieder, in der die Zentralbanken ihre Politik an Messgrössen wie der Kerninflation ausrichten, von denen bekannt ist, dass sie dem Zyklus um bis zu zwei Jahre hinterherhinken. Doch das scheint niemanden besonders zu beeindrucken.

Wenn man einmal aus dem Takt geraten ist, ist es schwierig, wieder mit der Wirtschaft in Einklang zu kommen. Wir gehen davon aus, dass am Ende die Geldpolitik auch in diesem Zyklus wieder über das Ziel hinausgeschossen sein wird. Der Schaden, den die Zinserhöhungen der Wirtschaft zufügen werden, wird dazu führen, dass sich die Besorgnis von einer übermässigen und hartnäckigen Inflation auf die Befürchtung verlagert, dass die Zentralbanken ihr Inflationsmandat von 2 % unterschreiten.

Die Märkte, die einen positiven Ausgang eingepreist haben, sind unserer Meinung nach anfällig für eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen und Stimmung. Wenn das bei Aktien eingepreiste Gewinnwachstum ausbleibt, müssen die hohen Bewertungen nach unten korrigiert werden, und es wird zu starken Kursverlusten kommen.

Staatsanleihen, die bereits zu Renditen weit unter den Leitzinsen gehandelt werden, übertreffen dennoch die voraussichtlichen Bargeldzinsen der kommenden Jahre und stellen einen guten Vermögenswert dar.

Seit dem Höchststand der Inflation vor zehn Monaten haben wir in allen Anlageklassen eine gewaltige Rallye erlebt. Die Märkte sind jetzt auf eine sanfte Landung eingestellt und anfällig für alles, was in eine andere Richtung läuft.

Aktien
US-Aktien legten zu, als die Bewertungskennzahlen (z. B. Kurs-Gewinn-Verhältnis) nach dem Höchststand der US-Kerninflation im Oktober letzten Jahres stiegen. Dies weckte die Hoffnung, das Schlimmste sei vorbei, und nahm eine Wiederbelebung des Gewinnwachstums vorweg, die später in diesem Jahr beginnen sollte.

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 liegt heute mit 21 nur wenig unter dem Wert von 23 von Ende 2021. Doch der 10-jährige US-Realzins ist um fast 3 Prozentpunkte höher als damals. Traditionell führen höhere Renditen zu niedrigeren diskontierten zukünftigen Erträgen und damit zu niedrigeren Bewertungskennzahlen.

Vor diesem Hintergrund sind wir vorsichtig, was die Chancen bei Aktien aus den Industrieländern angeht. Der Aufwärtstrend ist zwar immer noch stark, aber der Umstand, dass eine weiche Landung zum grossen Teil eingepreist ist und dass wir dieses Ergebnis für unangemessen optimistisch halten, bedeutet, dass wir die Renditeaussichten nach unten korrigieren. Wir sind der Meinung, dass es in den nächsten zwölf Monaten irgendwann bessere Kaufniveaus geben wird.

Staatsanleihen
Derzeit preisen US-Treasuries das Ende des Zinserhöhungszyklus der US-Notenbank (Fed) in diesem Sommer ein, wobei die Zinsen in den nächsten drei Jahren allmählich wieder auf 3 % sinken werden. Wir vermuten, dass diese Marktpreise einen Kompromiss zwischen zwei unterschiedlichen und sich gegenseitig ausschliessenden Szenarien widerspiegeln.

Die eine Sichtweise geht von einer hohen Inflation und einem robusten Wachstum aus, was dazu führen würde, dass die Zinssätze für einen längeren Zeitraum auf einem hohen Niveau bleiben. In der anderen möglichen Zukunft würden die verzögerten Auswirkungen der Geldpolitik zu einem falschen Gefühl der Sicherheit führen. Sobald die Auswirkungen der vorangegangenen Straffung in vollem Umfang spürbar sind, wird sich die Wirtschaft neu ausrichten, die Inflationsangst wird der Sorge um eine Deflation weichen, die Arbeitslosigkeit wird steigen und die Zentralbanken werden auf die einzige Art und Weise reagieren, die sie kennen – mit aggressiven Zinssenkungen.

Beide Szenarien sind möglich, aber wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass die zuverlässigsten Signale von zukunftsgerichteten Daten wie Frühindikatoren, Geldmengenwachstum, Güter- und Produktionssektor und Umfragedaten ausgehen. Die Daten lassen das zweite Szenario immer noch wahrscheinlicher erscheinen als das erste. Die Möglichkeit, relativ günstig defensive Vermögenswerte anstelle von relativ teuren zyklischen Vermögenswerten zu kaufen, während der Zyklus auf sein unvermeidliches Ende zusteuert, ist für uns eine attraktive Perspektive für die Vermögensallokation.

Unternehmensanleihen
Der Aufwärtstrend an den Aktienmärkten in den letzten sechs Monaten hat zu entsprechenden Bewegungen bei anderen risikobehafteten und zyklischen Anlagen geführt. Das bewirkte eine deutliche Verengung der Spreads von Investment-Grade- und High-Yield-Unternehmensanleihen. Diese Entwicklung erfolgte trotz eines Anstiegs der realisierten Zahlungsausfälle in den USA, Europa und Grossbritannien. Wir sind daher etwas besorgt, dass die Kreditmärkte die Anleger nicht angemessen für das von uns erwartete Ausfallrisiko entschädigen.

Im Gegensatz zu Aktien können Kreditanleger jedoch vom Anstieg der Staatsanleiherenditen profitieren, der im gleichen Zeitraum stattgefunden hat. Obwohl wir einige Bedenken hinsichtlich der Bewertung des Ausfallrisikos haben, halten wir die Gesamtrenditen für Investment-Grade-Kredite angesichts unserer optimistischen Einschätzung der globalen Staatsanleihen für relativ attraktiv.

Dies gilt weniger für Hochzinsanleihen, wo das in den Spread eingebettete Unternehmensrisiko stärker ins Gewicht fällt und das Ergebnis daher stärker mit Aktien korreliert ist. Dieses Umfeld dürfte sich für aktive Anleger positiv auswirken, die durch ihre Recherchen in der Lage sind, Titel mit besonderen Schwachstellen im Zusammenhang mit schwachen Bilanzen zu vermeiden. (abrdn/mc)

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