Berenberg Wealth & AM: «2023 wird es in erster Linie auf die Gewinnentwicklung ankommen»

Berenberg Wealth & AM: «2023 wird es in erster Linie auf die Gewinnentwicklung ankommen»
Matthias Born, Head of Investments & CIO Equities bei Berenberg Wealth & Asset Management. (Foto: Berenberg)

Das Anlagejahr 2022 war von vielerlei Verwerfungen gekennzeichnet und hat in den Portfolios der Investoren Spuren hinterlassen. Matthias Born, Head of Investments & CIO Equities bei Berenberg Wealth & Asset Management, gibt einen Einblick in die Anlagestrategie des Hauses und die Perspektiven 2023.

Herr Born, das Jahr 2022 war ein extrem schwieriges Anlagejahr. Wie hat sich Berenberg hier geschlagen?

Matthias Born: 2022 war ganz klar ein negatives Jahr für zinssensitive Aktiensegmente. Der Zinsanstieg hat zu einer Bewertungskorrektur geführt, was sich auch in unseren Portfolios widerspiegelt. Insbesondere sind die Bewertungen deutlich nach unten gekommen, weshalb Qualitäts- aber auch Wachstumsaktien die Verlierer im ersten Halbjahr waren, aber auch über das gesamte Jahr gesehen. In den ersten Monaten des Jahres wurde der Markt von den steigenden Inflationserwartungen sowie von der Erwartung steigender Zinsen überrascht. Das hat in erster Linie mit der veränderten Politik der Notenbanken zu Beginn des Jahres zu tun, wurde aber durch den Ausbruch des Kriegs in der Ukraine noch verstärkt.

Wie wird das im neuen Jahr weitergehen?

Wir sehen verschiedene Aspekte, die uns durchaus positiv stimmen. Das eine ist, dass nach der Bewertungskorrektur 2023 die Gewinne in den Vordergrund rücken sollten. Aufgrund der rezessiven Entwicklung in der Wirtschaft sind die Gewinne natürlich tendenziell unter Druck. Wenn man aber in Bereichen positioniert ist, die strukturell wachsen, die das Potenzial haben, besser durch eine Rezession kommen, kann man sich durchaus positiv abheben.

Wie lässt sich das bewerkstelligen?

2023 wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Darauf muss man achten. In dem zu erwartenden schwierigen wirtschaftlichen Umfeld wird sowohl von der Nachfrageseite als auch von der Inflationsseite Preissetzungsmacht ein wichtiger Faktor bleiben. 2022 war es für viele Unternehmen noch recht einfach, die Preise anzuheben. Doch nicht jedes Unternehmen wird dies auch 2023 können. Hier wird es auf die Fähigkeit zu strukturellem Wachstum durch spezielle Technologien in Nischensegmenten oder neue Produkte ankommen, die sich vor allem in Rezessionszeiten durchsetzen können.

«2023 wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Darauf muss man achten.»

Was könnte Anleger noch positiv stimmen?

Der Umstand, dass insbesondere Europa eine historisch sehr hohe Untergewichtung aufweist. In vielen Kundengesprächen hat sich gezeigt, dass Europa in seiner Relevanz in den Portfolios abgenommen hat und wir historisch an einem Tiefpunkt sind. Das sollte Druck von den Aktienkursen nehmen. Zudem sind die Insiderverkäufe ausgetrocknet und erste Aktienrückkaufprogramme werden hochgefahren. Das zusammengenommen begrenzt das Abwärtsrisiko doch ziemlich, auch wenn wir ein schwieriges Jahr vor uns haben, in dem Rezession und Gewinnrevisionen drohen. Allerdings ist einiges davon ist schon eingepreist.

Welches Potenzial messen Sie europäischen Aktien bei?

Europa ist ein interessanter Aktienmarkt, der von der Breite der Opportunitäten lebt. Es gibt viele interessante Unternehmen über alle Marktsegmente hinweg. Ich höre zwar immer wieder Kritik, in Europa gäbe es keine grossen Techwerte. Das stimmt – dass aber Europa zu wenig innovativ sei, stimmt nicht. Es gibt viele kleinere, zum Teil aber auch grosse Firmen, die sehr innovativ sind. Ein Teil dieser Innovationen ist im Small-Cap-Segment zu finden, weswegen wir besonders hier nach dem sehr starken Rückschlag in diesem Jahr aus einer langfristigen Perspektive heraus sehr gute Chancen sehen.

Lassen Sie uns über Nebenwerte reden.

Nebenwerte sind ein wichtiges Thema für Berenberg. Viele unserer Kunden sind in Nebenwertefonds investiert, aber auch Teile unserer globalen und europäischen All-Cap-Portfolios sind in diesem Segment aktiv. Leider muss man klar und deutlich sagen, dass der jüngste Abverkauf im Small- und Mid-Cap-Bereich einer der historisch grössten war, zumindest im relativen Kontext, nicht in absoluten Zahlen. Absolut waren die Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Aktienkurse deutlich schlimmer. Aber damals wie heute gibt es aufgrund des starken Abverkaufs Chancen, die man aufgreifen sollte. In der langfristigen Betrachtung hat sich das Nebenwertesegment gerade in Europa deutlich besser entwickelt als die Standardwerte. Obendrauf kommt natürlich noch unsere Stock-Picking-Expertise, die zu einer Alpha-Generierung geführt hat. Dabei gehen wir davon aus, dass dies auch in Zukunft so sein wird.

«Aber damals wie heute gibt es aufgrund des starken Abverkaufs Chancen, die man aufgreifen sollte.»

Woher stammt Ihre Zuversicht?

Weil sich in Europa die Wachstumswerte zuletzt schon recht gut erholt haben, was wir auch an unseren Fonds sehen können. Bei den globalen Fonds ist das noch nicht im gleichen Ausmass der Fall, weil das Growth-Segment in den USA zuletzt noch durch die Gewinnsituation im Big-Tech-Segment gerade im dritten Quartal belastet war. Aber auch hier sehen wir erste Tendenzen, dass sich gerade kleine und mittelgrosse Firmen anfangen zu erholen.

Was ist der Auslöser hierfür?

Ein entscheidender Treiber für die rückläufigen Aktienkurse war die Erwartung einer wachsenden Inflation und steigender Zinsen. Man sieht das auch an der Entwicklung unserer Portfolios über den Zeitablauf – so haben wir im Juni und Juli outperformt, als die Zinserwartungen zurückgegangen sind. Seitdem sind die Zinserwartungen gestiegen, was für uns belastend war. Ich glaube aber, das wird sich im nächsten Jahr ändern, indem die Unternehmensgewinne wieder in den Vordergrund rücken und die Inflation und die Zinsen in den Hintergrund. Allerdings rechnen wir nicht mit einer starken Outperformance von Wachstumsaktien auf breiter Front. Deswegen wird das richtige Stock-Picking entscheidend sein.

Wie sieht das bezogen auf Ihre Favoriten aus?

Bei unseren Top-20-Aktien gab es diesbezüglich sogar eine positive Veränderung der Gewinnentwicklung, im Schnitt seit Jahresanfang. Die Firmen sind sehr robust, speziell die defensiven Unternehmen, was sich auch im neuen Jahr zeigen sollte. Was die Bewertung bezüglich des KGV betrifft, liegen die Top 20 bei ungefähr 18 bis 19, was im historischen Kontext sehr attraktiv ist. Zumal das Wachstum der Unternehmen durchaus zweistellig bleiben kann, während der Gesamtmarkt wie gesagt im Durchschnitt Richtung null tendiert. Die von uns auf Basis unseres Quality-Growth-Ansatzes ausgewählten Unternehmen können beispielsweise die Inflation mit Preiserhöhungen gut abfedern. Im historischen Kontext liegt das durchschnittliche KGV unserer Portfolios auf einem der niedrigsten Levels, die wir in den letzten fünf bis sieben Jahren gesehen haben. Das niedrigste Level war im Jahr 2011/2012 zu verzeichnen, als wir aus der Finanzkrise direkt in die Eurokrise geschlittert sind. Aber wir glauben nicht, dass es dahin zurückfällt. Allerdings gibt es sicherlich ein Restrisiko, das sehr stark daran hängt, ob die Zinserwartungen sich weiter nach oben bewegen oder nicht.

Können Sie einzelne Titel hervorheben?

Unter unseren Top-20-Positionen in den europäischen Aktienfonds gibt es viele Unternehmen, die berechtigt über dem Bewertungsschnitt notieren. Zum Beispiel ASML. Die Firma hat ein höheres Gewinnwachstum als andere, weil es höhere Bruttomargen und einen extrem hohen Marktanteil bei seinem Hauptprodukt hat, das das Wachstum treibt. Die strategische Bedeutung der Firma hat sich deutlich erhöht – ohne ASML findet eine hochtechnologische Chipproduktion heute nicht mehr statt. Zusammengefasst heisst das, es gibt durchaus Gründe, warum manche Firmen über ihren Bewertungen von vor zehn Jahren notieren. In der langfristigen Perspektive ist es nach wie vor äusserst spannend, in grossen Firmen ebenso wie in Nebenwerten investiert zu sein, sofern diese ein zweistelliges jährliches Gewinnwachstum aufweisen können, wie eben ASML – oder auch Microsoft, Bechtle oder Danaher.

«Unter unseren Top-20-Positionen in den europäischen Aktienfonds gibt es viele Unternehmen, die berechtigt über dem Bewertungsschnitt notieren. Zum Beispiel ASML.»

Wie sieht es andererseits hier mit den Bewertungen aus?

Die Perspektiven lassen die Bewertungsmultiples zum Einstieg in einem anderen Licht erscheinen. Bei ASML sind wir beispielsweise bei einem KGV von 30 eingestiegen, bei Microsoft von 26. Aber der Gewinn je Aktie hat sich bei ASML in derselben Zeit von 4,80 auf 12,50 Euro erhöht, und bei Microsoft von 3,30 auf 9,30 Dollar. Und beide Aktien haben in der Zeit, in der wir sie halten, mehr als 200 Prozent zugelegt. Das zeigt, dass es bei einem zu erwartend hohen Gewinnwachstum mitunter auch bei hohen Bewertungen lohnt, einzusteigen. Das gilt insbesondere, solange wir davon ausgehen, dass diese Firmen immer noch die Power haben, weiterhin so zu wachsen, wie sie in die letzten fünf Jahre gewachsen sind.

Und das Gegenbeispiel?

Auf der anderen Seite stehen die sogenannten Valueaktien, die lange Zeit schlechter gelaufen sind als Wachstumswerte, und die zuletzt einiges aufgeholt haben. Zum Teil völlig zu Recht. Aber wenn ich eine BASF betrachte, deren Gewinn je Aktie seit 2017 von 5,80 auf 5,30 Euro gefallen ist, dann können wir dem Kurs, auch wenn der zwischenzeitlich um rund 40 Prozent korrigiert hat, nicht allzu viel Potenzial beimessen. Ganz generell halten wir an unserer Überzeugung fest, dass es sich nicht rentiert, in unprofitable Unternehmen zu investieren. Das hat noch nie funktioniert! Gerade in den USA haben unprofitable Tech-Unternehmen gegenüber dem breiten Tech-Index immer underperformt – ausser in der Covid-Phase, als plötzlich alles gestiegen ist, was sich irgendwie nach Technologie angehört hat. Das ist nun aber wieder komplett in sich zusammengebrochen und wir möchten auch zukünftig nicht in diesem Segment aktiv sein. Wir sind einerseits überzeugt, dass es sich langfristig auszahlt, auf Wachstum zu setzen, trotz der schwachen Performance 2022. Wichtig ist andererseits aber, dass das Wachstum mit einer hohen Eigenkapitalrendite kombiniert ist. Wir haben gesehen, dass man mit diesen Aktien bisweilen auch harte Zeiten durchstehen muss. Langfristig zahlt es sich aber aus, in Firmen investiert zu bleiben, die hohe jährliche Wachstumsraten erwarten lassen.

Was bedeutet das beim aktuellen Kurs- und Bewertungsniveau?

Wir sehen es durchaus als Einstiegschance, auf einem Niveau wie derzeit zu investieren. Natürlich gibt es Aktien mit einer niedrigeren Fallhöhe, bei denen man weniger Abwärtsrisiken in einer Phase wie jetzt hat. Aber man beschneidet damit auch die Aufwärtschancen. Genau zum Gegenteil tendieren wir – wir möchten langfristige Chancen ergreifen, mit dem Effekt, dass wir gegebenenfalls in Aktien investiert sind, die höhere Abwärtsrisiken aufweisen.

Inwieweit unterscheidet sich Ihr Kernportfolio in den letzten zwölf Monaten inhaltlich?

Natürlich müssen wir uns an das anpassen, was in Welt und auch an den Kapitalmärkten passiert. Insofern haben wir beispielsweise im Rahmen unserer Quality-Growth-Strategie sogenannte Secure-Growth-Aktien übergewichtet, was heisst, dass wir uns auf Unternehmen konzentrieren, die eine hohe Sicherheit bieten, dass sie die erwarteten Gewinne auch erzielen. Zugleich haben wir auf Bewertungsveränderungen sensitiv reagiert und uns deutlich vorsichtiger bei den vormaligen Covid-Gewinnertiteln aufgestellt. Diese Firmen haben zum Teil sehr stark zugelegt, was natürlich ein erhöhtes Rückschlagsrisiko bedeutet. Bezüglich der Secure-Growth-Aktien können es durchaus defensive Elemente sein, die eine Rolle spielen. Ich kann hier Novo Nordisk nennen, AstraZeneca oder auch Nebenwerte, die strukturelle Wachstumstreiber haben, was sie relativ gut durch das schwierige Marktumfeld gebracht hat. Und das ist unser Ansatz, dass wir uns auf solche Titel konzentrieren, die verlässlich strukturelles Wachstum bieten. Kurz gesagt sichern wir unsere Portfolios vor der ungewissen Gewinnsituation im nächsten Jahr ab, denn es wird durchaus Einschläge von der einen oder anderen Seite geben.

Was hat sich, abschliessend gefragt, in Ihrem Team getan?

Wir haben über das letzte Jahr unser Team weiter verstärkt. Das Aktien-Team bei BWAM umfasst heute 15 Personen, die ein Vermögen von knapp fünf Milliarden Euro betreuen, in insgesamt zwölf verschiedenen Aktienfonds. Neue Fonds, die über das letzte Jahr gelauncht wurden, waren der International Micro Cap Fonds, unser neues Long/Short-Konzept mit dem Absolute Return European Equities sowie der Emerging Asia Focus Fund. Mit Letzterem betreten wir ein neues Universum für uns, das wir aber mit dem gleichen Approach angehen werden wie bei allen unseren Fonds. Hierzu haben wir uns auch verstärkt, mit Javier Garcia, der von der UBS zu uns gekommen ist, um den Bereich Asien zu managen.

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