Grosse Corona-Sorgen in der Schweiz und Europa

Grosse Corona-Sorgen in der Schweiz und Europa
(Photo by Martin Sanchez on Unsplash)

Bern – Anne Lévy, die neue Chefin des Bundesamts für Gesundheit (BAG), äussert sich beunruhigt über die aktuelle Coronavirus-Lage. Zuletzt meldete das BAG 1487 Neuansteckungen innerhalb von 24 Stunden. Es hat seine Präventionskampagne erneuert.

«Die Zahlen steigen stark, schnell und schweizweit», sagte Lévy am Freitag in Bern vor den Medien. Es war ihr erster öffentlicher Auftritt. «Das Team ist sehr erschöpft», sagte sie. Da sei es gut, dass sie mit neuem Elan das Amt der Direktorin übernehmen könne. «Eine Direktorin ist immer auch eine Troubleshooterin.»

Dem BAG wurden bis Freitagmorgen 1487 neue Corona-Infektionen und drei weitere Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 gemeldet. Neu ins Spital eingewiesen wurden 23 an Covid-19 erkrankte Personen. Insgesamt gab es seit Beginn der Pandemie 60’368 laborbestätigte Fälle in der Schweiz und in Liechtenstein.

Der Freitag war der dritte Tag in Folge mit über tausend Fällen. Am Mittwoch hatte das BAG 1077 neue Fälle gemeldet und am Donnerstag 1172. Ähnlich hoch waren die täglichen Fallzahlen letztmals Ende März und Anfang April. Bisher wurden 1’470’894 Tests auf Sars-CoV-2 durchgeführt. Die Positivitätsrate der letzten zwei Wochen liegt bei 6,5 Prozent.

Gesundheitssysteme Europas unter Druck
Die Zahlen steigen europaweit deutlich an. Vielerorts sind die Intensivstationen von Krankenhäusern bereits am Limit. Regierungen verhängen strengere Massnahmen, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen. Ein Überblick über die Entwicklung in der vergangenen Woche in wichtigen Ländern:

SPANIEN ist mit 850 000 Infektionen besonders schlimm betroffen. Die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen lag zuletzt bei 115. In einer Woche starben 1330 Menschen. Der Anteil der Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern steigt. Landesweit gelten strenge Beschränkungen und Massnahmen, auch Maskenpflicht im Freien. Viele Gebiete und Gemeinden sind abgeriegelt. Angesichts hoher Corona-Zahlen hat Spaniens Regierung am Freitag den Notstand über Madrid verhängt. Auf diese Weise soll die Abriegelung der Hauptstadt auch gegen den Willen der Regionalregierung durchgesetzt werden können. Abgeriegelt werden neun Städte, betroffen sind etwa 4,5 der 6,6 Millionen Einwohner der «Comunidad Autónoma». Dort dürfen Menschen erneut nur noch mit triftigem Grund ihre Heimatgemeinde verlassen – etwa, um zur Arbeit oder zum Arzt zu fahren. Besucher dürfen nur in Ausnahmefällen diese Städte betreten. Daneben sind Versammlungen von mehr als sechs Menschen verboten, Bars und Restaurants müssen um 23 Uhr schliessen.

FRANKREICH hat in mehreren Grossstädten bereits die höchste Corona-Warnstufe verhängt – unter anderem in Paris, Lyon und Marseille. Gesundheitsminister Olivier Véran warnt, dass es noch schlimmer wird. Sorge herrscht über die Lage in den Pariser Krankenhäusern. Dort nimmt der Anteil der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen zu. Die Regierung reagiert etwa mit Schliessungen von Bars in den Regionen, in denen die Lage besonders ernst ist. Generelle Ausgangsbeschränkungen im ganzen Land sollen verhindert werden. Mit 18 746 Corona-Neuinfektionen binnen 24 Stunden gab es am Mittwoch einen Tageshöchstwert.

TSCHECHIEN – ehemals ein Corona-Musterschüler – ist nach den jüngsten Zahlen der EU bei den Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner zum traurigen Spitzenreiter geworden. Im Schnitt steckten sich binnen 14 Tagen 374,6 Menschen je 100 000 Einwohner an. Am Donnerstag wurden in dem 10,7-Millionen-Einwohner-Land 5394 neue Fälle verzeichnet – der dritte Tagesrekord in Folge. Die Regierung hat Kultur- und Sportveranstaltungen verboten. Sollte die Kurve nicht abflachen, droht nach Ansicht von Experten bald ein dramatischer Engpass im Gesundheitssystem.

GROSSBRITANNIEN leidet ebenfalls stark: Mangel an Tests, ein Flickenteppich an Regelungen, marode Kliniken, Zehntausende Todesfälle. Der im Frühjahr selbst erkrankte Premier Boris Johnson steht zunehmend in der Kritik, ein schlechter Krisen-Manager zu sein. Seine Regierung spricht von einer «gefährlichen» Lage. Besonders stark betroffen sind der Norden Englands, Schottland, Nordirland und Teile von Wales. Experten zufolge stehen vor allem in Nordengland die Kliniken vor dem Kollaps. Allein am Donnerstag meldeten die Behörden landesweit mehr als 17 500 Infizierte binnen 24 Stunden.

ITALIEN sorgt sich über den steilen Anstieg der Infektionsfälle in dieser Woche. Das Land, das im März Europas Corona-Hotspot war, registrierte am Donnerstag fast 4500 Ansteckungen – so viele wie zuletzt im April. Der grosse Unterschied: Jetzt sterben pro Monat so viele Menschen an Covid-19 wie damals an einem Tag. Die Intensivstationen sind mit etwa 360 Covid-Patienten nicht am Limit. Rom verschärft ständig die Massnahmen – nun gilt Maskenpflicht auch im Freien. Besonders stark klettern die Werte im Süden. Dort ist das Medizinsystem schwächer als im Norden.

In den NIEDERLANDEN wurden am Donnerstag 5831 Neu-Infektionen gemeldet – 800 mehr als am Vortag. Die Zahl der Patienten in Krankenhäusern und auf Intensivstationen steigt schnell. Kliniken haben die Versorgung für andere Patienten drastisch reduziert und Hunderte Operationen abgesagt. Innerhalb von sieben Tagen wurden zuletzt 841 je 100 000 Einwohner infiziert. Vergangene Woche wurden im Schnitt 16 Tote am Tag gemeldet. Bürger und Experten fordern deutlich strengere Massnahmen. Masken sind für öffentliche Räume zwar dringend empfohlen, bislang aber keine Pflicht.

BELGIEN verzeichnete zuletzt ebenfalls rasch steigende Zahlen. Die 14-Tage-Inzidenz – die Zahl an Infektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb zwei Wochen – lag zuletzt bei 280,7. In der Hauptstadt Brüssel sind Cafés und Bars nun für einen Monat geschlossen. Die Regierung verschärfte auch die landesweiten Regeln: Bürger dürfen pro Monat nur noch mit drei Personen ausserhalb der Familie engen Kontakt pflegen. Um 23.00 Uhr ist Sperrstunde. (awp/mc/pg)

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