Hochspannung in Berlin vor dem Wahlsonntag

Hochspannung in Berlin vor dem Wahlsonntag
Olaf Scholz dürfte in der Nikolauswoche zum Kanzler gewählt werden. (Foto: Bundesfinanzministerium)

Berlin – Mit einem leichten Umfragevorsprung der SPD gehen die Parteien in die Bundestagswahl an diesem Sonntag. Deren Ausgang gilt angesichts eines guten Teils noch unentschlossener Wählerinnen und Wähler jedoch als absolut offen. Union, SPD und Grüne wollen noch bis in die letzte Minute um Wählerstimmen kämpfen. Auch an diesem Samstag sind noch Veranstaltungen geplant. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die nach 16 Jahren im Amt nicht wieder kandidiert und sich aus der Politik zurückziehen wird, will den CDU-Vorsitzenden Armin Laschet in seiner Heimatstadt Aachen unterstützen.

Die SPD konnte ihren Vorsprung in den Umfragen, den Kanzlerkandidat Olaf Scholz in den vergangenen Wochen herausgearbeitet hatte, bis zuletzt halten. Im RTL/ntv-Trendbarometer vom Freitag blieben SPD und CDU/CSU unverändert bei 25 beziehungsweise 22 Prozent. Grüne (17 Prozent) und Linke (6 Prozent) veränderten sich im Vergleich zur Vorwoche ebenfalls nicht. Die FDP legte in der Forsa-Umfrage um einen Punkt auf 12 Prozent zu, die AfD fiel um einen Punkt auf 10 Prozent.

Ähnlich stabile Zahlen hatte am Vorabend das ZDF-«Politbarometer» ergeben. Die Forschungsgruppe Wahlen ermittelte für die SPD 25 Prozent (unverändert) und für die CDU/CSU 23 Prozent (plus 1). Die Grünen kamen auf 16,5 Prozent (plus 0,5). Die AfD lag bei 10 Prozent (minus 1), die FDP bei 11 und die Linke bei 6 Prozent (beide unverändert).

Noch viele Unentschlossene
Meinungsumfragen sind ohnehin nur Momentaufnahmen der politischen Stimmungslage und sagen nichts über das Wahlergebnis aus. Dies gilt bei dieser Wahl wegen der hohen Zahl noch unentschlossener Wählerinnen und Wähler umso mehr. Laut Forschungsgruppe Wahlen wussten 35 Prozent der Befragten noch nicht sicher, ob sie wählen wollen und wenn ja, wen.

Bundeswahlleiter Georg Thiel rief am Freitag alle Bürger auf, zur Wahl zu gehen. «Wahlen sind die Grundlage unserer Demokratie. Eine hohe Wahlbeteiligung ist dabei wesentlich für die demokratische Legitimation des neuen Deutschen Bundestages», sagte Thiel laut Mitteilung.

Scholz profitierte auch von der Schwäche der Konkurrenz
Im Wahlkampf war es dem SPD-Spitzenkandidaten Scholz gelungen, mit den noch bis in den Juli hinein bei 15 bis 16 Prozent liegenden Sozialdemokraten an Union und Grünen vorbei zu ziehen. Er profitierte dabei auch von Fehlern seiner Konkurrenten Armin Laschet und Annalena Baerbock. Die Grünen-Vorsitzende hatte unter anderem mit Plagiatsvorwürfen bei einem Buch und Ungereimtheiten in ihrem veröffentlichten Lebenslauf zu kämpfen. Der CDU-Chef verlor nach unglücklichen Auftritten während der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen an Zustimmung. Hinzu kam zuvor der lange Streit mit CSU-Chef Markus Söder um die Kanzlerkandidatur der Union.

Dies drückt sich vor allem in den persönlichen Zustimmungswerten der drei Kanzlerkandidaten aus. Im ZDF-«Politbarometer» vom Donnerstagabend trauten 64 Prozent Scholz das Kanzleramt zu. Für Laschet entschieden sich 26 und für Baerbock 25 Prozent.

Zur Wahl aufgerufen sind rund 60,4 Millionen Bürger. Etwa 2,8 Millionen von ihnen können zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilnehmen. Es wird damit gerechnet, dass diesmal so viele Menschen wie nie zuvor ihre Stimme per Briefwahl abgeben werden. 2017 machten bereits 28,6 Prozent der Wahlberechtigten davon Gebrauch. Die Wahlbeteiligung lag vor vier Jahren bei 76,2 Prozent.

Grosse-, Ampel- oder Jamaika-Koalition?
Nach den Meinungsumfragen deutet vieles darauf hin, dass künftig ein Dreierbündnis regieren wird. Den «Politbarometer»-Zahlen zufolge hätte als Zweier-Bündnis nur eine Koalition aus SPD und CDU/CSU eine knappe Mehrheit. Reichen würde es auch für eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP (Ampel-Koalition), aus Union, Grünen und FDP (Jamaika-Koalition) sowie für Rot-Grün-Rot. Ausschlaggebend könnte das Verhalten der FDP werden, die vor vier Jahren die Jamaika-Sondierungen spektakulär platzen liess.

Ihr Vorsitzender Christian Lindner bekräftigte am Freitag nochmals das Interesse an einem neuen Versuch. «Es ist kein Wunschkonzert. Aber richtig ist, dass mit Union und Grünen es einfacher ist als mit SPD und Grünen», sagte er im ZDF-«Morgenmagazin». Unionskanzlerkandidat Laschet wurde dort gefragt, mit welchen Spitzenkandidaten er am liebsten eine Corona-Quarantäne verbracht hätte. Er nannte Lindner und Baerbock. Mit Lindner sei er befreundet, Baerbock müsse er noch besser kennenlernen – und mit beiden gebe es viel zu diskutieren. (awp/mc/pg)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert