Emanuele Diquattro, CEO Inventx, im Interview

Emanuele Diquattro, CEO Inventx, im Interview
Emanuele Diquattro, CEO Inventx (Bild: Inventx)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Diquattro, Sie sind seit 1. Januar 2025 CEO der Inventx. Was waren die wichtigsten Änderungen oder Neuerungen, die Sie vorgenommen haben, welche Ziele möchten Sie im ersten Jahr erreichen?

Emanuele Diquattro: Inventx ist hervorragend aufgestellt; Ich trete in grosse Fussstapfen in der operativen Führung, die ich von Mitgründer Gregor Stücheli übernommen habe. Insofern geht es nicht um Neuerungen, sondern Justierungen: Noch mehr Fokus auf die Entwicklungen unserer beiden Branchen Banking und Insurance, in denen der Zukunftsmotor Technologietransformation immer schneller und lauter brummt. Unsere Kunden arbeiten sich durch einen Dschungel an Technologien, die zudem auch noch in immer grösserer Komplexität konvergieren. Unsere Aufgabe als Technologie- und Digitalisierungsdienstleister ist «connecting the dots» – wie bündeln wir unsere sichere ix.Cloud mit (Public) Cloud, KI, Datenstrategien und den Bank- bzw. Versicherungssystemen und schaffen daraus Mehrwert für die Kunden, indem wir die gesamte Businessplattform IT-seitig sicher betreiben und sie immer wieder auf Zukunftsfähigkeit eichen. Des Weiteren lege ich den Fokus auf die Adaptionsfähigkeit unserer Organisation, sich agil mit dem stetigen Wandel mitzuentwickeln und gleichzeitig die Resilienz zu erhöhen.

Ihre Ernennung dürfte ein Hinweis sein, dass vor allem das Versicherungsgeschäft noch weiter ausgebaut und gestärkt werden soll. Welche Strategien haben Sie, um die Position von Inventx im Finanzsektor weiter auszubauen?

Beide Branchen sind uns gleich wichtig und bieten Potential für die Zukunft, auch wenn wir jeweils noch unterschiedlich positioniert sind. Im Banking sind wir als einer von nur zwei grossen Providern etabliert. Doch wir sehen im Markt noch enormes Wachstumspotenzial, denn die Technologien entwickeln sich ja rasant weiter und jeder neue Fortschritt muss wieder integriert und orchestriert werden. So stehen bei den Finanzinstituten etwa die Modernisierung und Modularisierung der Kernbankenplattformen an. Open Banking und KI werden immer «normaler», dafür Compliance und Security immer anspruchsvoller. Im Versicherungsmarkt sind die Herausforderungen ähnlich: Die Kunden erwarten nahtlos digitalisierte Prozesse, jederzeit mit sofortigen Rückmeldungen. Ganz sicher ist es mein Ziel, meine langjährige Vernetzung im Insurance-Universum nutzbar zu machen, damit auch in dieser Branche die Cloud oder Software as a Service selbstverständlich werden.

«Open Banking und KI werden immer «normaler», dafür Compliance und Security immer anspruchsvoller.»

Welche neuen Geschäftsfelder oder Technologien jenseits der bestehenden Angebote möchten Sie bei Inventx erschliessen?

Wie gesagt, sehen wir die derzeitigen Herausforderungen vor allem darin, mit einem «Big Picture» die fundamentalen Veränderungen in der Bank- und Insurance-IT anzugehen und aus einer sinnvollen Kombination von reifenden Technologien Mehrwert für Front- und Backoffice unserer Kunden für die Interaktion mit ihren eigenen Kunden zu ziehen. Dafür bieten wir Ende-zu-Ende-Lösungen, die ganz konkrete Anwendungsfälle abdecken und somit auch konkreten Nutzen stiften.

Doch gleichzeitig arbeitet unser hauseigenes InventxLab schon längst an Technologien, deren Marktreife noch bevorsteht: Quantencomputing, Web 3.0, Composable Architecture usw. Wir als Inventx wollen uns darauf trainieren, Transformation als Weg und nicht als Ziel zu verstehen und unsere Orchestratorrolle bei jeder nur denkbaren Innovation wahrzunehmen. Ein starker Fokus liegt auf dem hybriden Cloud-Angebot seitens Inventx. Hier möchten wir unsere Kunden aktiv beraten und begleiten, wie sie den Nutzen der jeweiligen Clouds – die sichere private ix.Cloud für sensible Workloads sowie die Public Cloud von Hyperscalern für Innovationsprojekte – bestmöglich materialisieren können. Unsere Aufgabe besteht darin, diese beiden Welten nahtlos und sicher zu verbinden.

Die Finanz- und Versicherungsbranche befindet sich im digitalen Wandel. Wie bewerten Sie den Digitalisierungsgrad Schweizer Banken und Versicherungen im internationalen Vergleich, wo besteht Nachholbedarf?

Wir stützen uns bei der Beurteilung einerseits auf Marktstudien und gleichen deren Erkenntnisse mit unserer Wahrnehmung aus dem täglichen Austausch mit unseren Kunden ab. Und wir haben regelmässige Meetups in unseren Communities, etwa Cloud Services oder Banking, an denen wir den Puls spüren können. Wir müssen den Studien leider recht geben: Es besteht ganz klar Nachholbedarf, und zwar rasch, damit die Kluft zu den digitalen Vorreitern nicht noch grösser wird. Prozesse müssen noch konsequenter Ende-zu-Ende digital gedacht und so auch in der IT umgesetzt werden. Daten müssen noch strategischer eingesetzt werden. Bei der Compliance ist die Schweiz vermutlich Musterschüler, bei der Innovationsgeschwindigkeit hingegen braucht es einen Katalysator.  

«Es besteht ganz klar Nachholbedarf (bei Banken und Versicherungen), und zwar rasch, damit die Kluft zu den digitalen Vorreitern nicht noch grösser wird. Prozesse müssen noch konsequenter Ende-zu-Ende digital gedacht und so auch in der IT umgesetzt werden.»

Die Verlagerung der IT in die Cloud erleichtert zwar den Betrieb für die Kunden, nicht aber die Anforderungen für die Anbieter. Dazu kommen vermehrte und raffiniertere Cyberattacken auf die kritischen Infrastrukturen. Mit welcher Strategie positionieren Sie Inventx in diesem Umfeld, welchen Mehrwert wollen Sie für Ihre Kunden schaffen?

Wir sind Pioniere in der Cloudnutzung für die Finanzindustrie. Vor bald zehn Jahren hatten wir die SwissLife beim Gang in die Cloud begleitet und seither die Differenzierung in den Cloud-Angeboten und verschiedenen Betriebsmodellen immer an vorderster Front in unserem Portfolio abgebildet. Wir verfügen heute über eine ausgereifte Multi-Cloud-Strategie, mit der wir für jeden Kunden, jedes Sicherheitsbedürfnis und für jeden Workflow das geeignetste Cloudpaket in Kombination von Public, Private, Community/Hybrid bereitstellen können. Unser Vorteil: Wir garantieren Datenbewirtschaftung und -haltung für kritische Anwendungen in unseren eigenen Rechenzentren in der Schweiz, können aber zugleich hochflexibel skalieren.

Die EU setzt bei der Künstlichen Intelligenz (KI, AI) mit dem EU-AI-Akt auf eine frühe Regulierung, was dazu führt, dass einige führende US-Anbieter die neuesten Entwicklungen in Europa nicht mehr zugänglich machen. Wie kann sichergestellt werden, dass die Schweiz hier keine Innovationen und neue Geschäftsmöglichkeiten verpasst?

Wir konzentrieren uns in unserer Strategie voll und ganz auf die Schweiz. Die Schweizer Bankiervereinigung hält KI für eine der aussichtsreichsten Technologien des digitalen Wandels von Finanzinstituten. Entsprechend haben wir uns bereits seit langem damit befasst und die Inventx weitestgehend «AI ready» gemacht. Wir haben unsere Vision und Strategie definiert und uns organisatorisch so aufgestellt, dass wir KI für die eigene Effizienz nutzen können und Know-how aufbauen, mit dem wir auch unsere Community befähigen, das Potenzial von KI zu heben. Der Schlüssel für den Mehrwert von KI liegt nicht nur in der Technologie, sondern in der systematischen Nutzung von Daten, die in den Banken und Versicherungen mit ihrer stattlichen Menge an Kunden und Transaktionen heute noch unerschlossen vorliegen. Das bedingt, dass die Geschäftsdaten qualitativ hochwertig, integriert, sicher verwaltet, aktuell und einfach verfügbar sein müssen – die Datenplattformen dafür sind eine Hausaufgabe, die wir gemeinsam mit vielen unserer Kundinnen und Kunden sowohl bei den Banken als auch den Versicherungen in einem ersten Schritt angehen.

Welche Erfolge haben Inventx-Kunden bereits durch KI-Implementierungen erzielt und in welchen Geschäftsbereichen sehen Sie den höchsten ROI durch künstliche Intelligenz in der Finanzbranche?

Unsere Kunden experimentieren mit Language Models unterschiedlicher Grösse und Komplexität. Relativ weit fortgeschritten sind Pilot-, aber auch operative Projekte, die Bots für das Wissensmanagement, für interne Weisungen oder für den internen IT-Support verwenden, indem die AI die Triage von Anfragen, die automatische Ticketerstellung im Hintergrund oder automatisierte Vorabklärungen übernimmt. Auch hier: Die Crux liegt nicht in der Technologie, sondern darin, geeignete Anwendungsszenarien zu identifizieren, diese in die erforderlichen Teilschritte zu zerlegen, den Prozess zu designen und sauber zu implementieren.

«Relativ weit fortgeschritten sind Pilot-, aber auch operative Projekte, die Bots für das Wissensmanagement, für interne Weisungen oder für den internen IT-Support verwenden.»

Mit unseren Erfahrungen können wir unsere Kunden bei diesen Prozessen begleiten. Bewährt haben sich Ansätze, automatisierbare Tasks zu wählen, die sich für Optimierungen anbieten, diese Use Cases dann im kleineren Rahmen zu testen und Erfahrungen zu sammeln, wo der grösste Mehrwert liegt. Ebenso wichtig wie der ROI ist es, bei den Mitarbeitenden eine positive Grundeinstellung zu fördern: Die KI macht sie nicht überflüssig, sondern effizienter und wertschöpfender.

Ende 2024 gab es über 34’000 unbesetzte IT-Stellen. Welchen Einfluss kann die Künstliche Intelligenz hier haben, mit welcher Strategie punktet Inventx als Arbeitgeberin?

Das Thema Fachkräfte beschäftigt uns sehr. Daher ist Künstliche Intelligenz für uns intern auch wichtig als Effizienztreiber. Wir wollen unsere wertschöpfenden, hochqualifizierten Spezialistinnen und Spezialisten «freischaufeln» von Routine und Redundanz. Sie sollen sich entwickeln und spannenden Aufgaben widmen können. Dafür schaffen wir zahlreiche Meetup- und Ko-Innovationsgefässe. Wir ermöglichen es auch, dass Mitarbeitende von uns für eigene Projekte, wenn sie zum Beispiel Abschlussarbeiten für berufsbegleitende Ausbildungen verfassen müssen, in unser internes InnovationLab wechseln.

Stichwort Aus- und Weiterbildung: Wir ermuntern unsere Mitarbeitenden, sich kontinuierlich weiter zu qualifizieren und übernehmen auch die Kosten dafür, seien es Studiengänge oder Zertifizierungen unserer Partner, wie z. B. Microsoft. Und wir arbeiten mit Hochschulen zusammen, unterstützen etwa an der Fachhochschule Graubünden den schweizweit ersten Studiengang in «Computational & Data Science». Last but not least: Wir sind ein erfahrener Lehrlings-Ausbildungsbetrieb und bieten Jugendlichen einen Berufsstart als System- und Plattformentwickler oder im Digital Business.

Inventx ist seit der Gründung 2010 kontinuierlich gewachsen. Welche quantitativen Wachstumsziele verfolgen Sie für die nächsten drei Jahre, sowohl bezüglich Umsatz als auch Mitarbeiterzahl?

Ja, wir sind in den 15 Jahren von anfangs 74 auf mittlerweile über 500 Mitarbeitende gewachsen, grösstenteils organisch und mit einem durchschnittlichen Wachstum von gegen 15 Prozent pro Jahr. Und wir wollen die Dynamik zwar hochhalten, aber das Wachstum muss nachhaltig sein. Der Erfolg gibt unserer Strategie recht, die wir nicht nur in den nächsten drei Jahren, sondern langfristig weiterverfolgen werden. Unsere Co-Gründer und -Inhaber Gregor Stücheli und Hans Nagel denken da weit in die Zukunft und committen sich entsprechend.

Mit dem neuen Hauptsitz, dem anfangs Jahr fertiggestellten «Mehrwerk» in Chur, hat Inventx Raum geschaffen für Co-Working, Innovation, ein Restaurant, Wohnungen, das Stadtarchiv. Weshalb Chur und nicht die Finanzmetropole Zürich oder Bern?

In Chur liegen unsere Wurzeln. Die Graubündner Kantonalbank war bei der Gründung, zusammen mit der Migrosbank, Kundin der ersten Stunde. Von der GKB haben wir im Zuge ihres Full-Outsourcings der Informatik die Spezialistinnen und Spezialisten übernommen. Und somit ist auch der Grundstein für unseren Hauptsitz hier in Chur gelegt worden.

«Unsere Mitarbeitenden sind frei, ihren Arbeitsort zu wählen, darunter auch Home-Office. Doch klar, wir motivieren sie auch, sich verstärkt wieder persönlich auszutauschen.»

In Zürich und Bern sind wir natürlich auch präsent. Mit unseren Büros im Circle am Flughafen haben wir unseren Standort in einem der grössten IT-Hotspots der Schweiz und in Bern werden wir in wenigen Monaten ebenfalls neue Büros – direkt am Bahnhof – beziehen. Zudem unterhalten wir einen vierten Standort in St. Gallen. Unsere Mitarbeitenden sind frei, ihren Arbeitsort zu wählen, darunter auch Home-Office. Doch klar, wir motivieren sie auch, sich verstärkt wieder persönlich auszutauschen. Das Mehrwerk ist entsprechend konzipiert worden: mit vielen Begegnungs-, Ko-Kreations- und Workshopzonen. Und unser «Office-Home» funktioniert!

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?

Die Aktualität ist leider geprägt von Konflikten und Volatilität. Das ist eine ungesunde Entwicklung und alles andere als nachhaltig. Daher wünsche ich mir wieder mehr Gemeinschaft und mehr Resilienz in der Welt(-wirtschaft).

Mit den heutigen vielfältigen Möglichkeiten und den sich rasant entwickelnden Technologien wird in Zukunft die Bildung von strategischen Allianzen matchentscheidend sein. Coopetition ist ein zentrales Konzept dafür. Nur so können wir den Kunden echte Ende-zu-Ende-Lösungen mit Mehrwert bieten.


Emanuele Diquattro bei Linkedin

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