Jan Rihak, Gründer und Geschäftsleiter von Classtime, im Interview

Jan Rihak, Gründer und Geschäftsleiter von Classtime, im Interview
Jan Rihak, Gründer und Geschäftsleiter von Classtime. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Rihak, die Digitalisierung des Schulwesens wurde durch die Pandemie und Fernunterricht auf die Probe gestellt. Welche Noten würden Sie den Schweizer Schulen geben?

Jan Rihak: Eine Fünf (lacht). Auch wenn die Diskussionen kontrovers sind und der Ruf nach Digitalisierung laut ist: Die Schulen haben dieses Thema – eines von vielen drängenden – gut gemeistert. Sie haben mehrheitlich schnell und entschieden reagiert, in Infrastruktur und Ausrüstung investiert, digitale Kommunikationskanäle etabliert. Die Initiativen waren aber nicht nur schnell aufgeklebte Pflästerli, sondern es hat auch ein Reifeprozess eingesetzt: Der Nutzen digitaler Tools und ihr Wert für die Schule wird debattiert, in einem Umfeld, das bisher vom physischen Austausch und von Präsenz gelebt hat. Die Qualität der Debatte ist heute hoch: Es geht nicht mehr um ein Entweder-oder, sondern darum, wie digitale Tools bestmöglich und pädagogisch sinnvoll eingesetzt werden können.

Wie ist die Schweiz denn im internationalen Vergleich im Bereich des digitalen Lernens aufgestellt?

Bezüglich Infrastruktur stehen wir aus meiner Sicht gut da. Jetzt geht es darum, auch digitale Tools sinnvoll einzusetzen. Sie sollen entlasten und Mehrwert für den Lernerfolg schaffen, gleichzeitig mit der bewährten Unterrichtspraxis zusammenspielen. Die damit verbundene Diskussion wird meines Erachtens fundiert geführt. Das heisst aber auch, dass wir nicht immer so schnell sind wie in anderen Ländern. Positiv ist auch, dass Gelder stärker verfügbar gemacht werden und sich ein Bewusstsein entwickelt, dass Innovation, Support und pädagogisch/technische Unterstützung etwas kostet. Das war nicht immer so. Stärkere Anstrengungen sind in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen nötig sowie in der Konsolidierung und Professionalisierung der digitalen Anlauf- und Beratungsstellen für Schulen und Lehrpersonen. Hier empfehlen zu viele verschiedene Stellen fragwürdige und nicht datenschutzkonform einsetzbare Tools.

«Auch wenn die Diskussionen kontrovers sind und der Ruf nach Digitalisierung laut ist: Die Schulen haben das Thema Digitalisierung – eines von vielen drängenden – gut gemeistert.»
Jan Rihak, Gründer und Geschäftsleiter von Classtime

Corona hat die Schulen gezwungen, auf Fernunterricht umzustellen. Wie stark hat Classtime davon profitiert?

Wir haben dadurch natürlich einen Boost der Nutzerzahlen erfahren, haben aber als eher unbekanntes Jungunternehmen die Plattform kostenlos zur Verfügung gestellt, da wir sonst nicht hätten bestehen können. Die Tendenz der Schulen ging in dieser schwierigen Zeit stark in Richtung bekannter Tools wie beispielsweise Microsoft Teams, Zoom, etc. Trotzdem haben wir Tausende Lehrpersonen überzeugen können, wie sie mit Kompetenzorientierung und einer didaktisch hochflexibel einsetzbaren Lösung bessere Resultate erzielen können als mit bekannten, teilweise didaktisch flachen Quiztools.

In welchen Bereichen profitieren Lernende und Lehrkräfte am meisten, wenn Schulen auf Classtime setzen?

Lernende sind mit Classtime engagierter und partizipieren stärker und intensiver am Unterricht. Es ist sehr einfach, Classtime gewinnbringend in verschiedenen Unterrichtsszenarien flexibel einzusetzen. Diese Einfachheit in Kombination mit dem didaktischen Mehrwert sind sehr wichtig, damit Classtime regelmässig eingesetzt wird – und zwar in einer Art und Weise, in welcher Schülerinnen mit Freude und Spass, aber intensiv und kompetenzorientiert an den Inhalten arbeiten.

Weiter liefern wir den Lehrpersonen substanzielle Zeitersparnisse in der Korrekturarbeit – Zeit, die man für die Arbeit mit den Lernenden einsetzen kann, oder welche die Lehrpersonen für andere ihrer zahlreichen, täglich anfallenden Tätigkeiten entlastet.

Zur Steuerung und zur Gestaltung des Unterrichts ist Transparenz über den Lernfortschritt sehr wichtig – und zwar nicht erst nach Wochen des Lernens an der Prüfung. Diese Transparenz liefern wir mit jeder Nutzung von Classtime. Dadurch schafft Classtime wichtige Orientierung. Eine Studie, die wir gemeinsam mit EPFL durchgeführt haben, belegt den Nutzen von Classtime und den damit erzielbaren Lernerfolg.

Wie viele Personen nutzen Classtime und bei wie vielen Unternehmen ist Classtime im Bereich der Ausbildung im Einsatz?

Wir haben ca. 200’000 registrierte Lehrpersonen, welche aktuell monatlich ca. 15 Millionen Interaktionen mit ihren Schülerinnen und Schülern durchführen. Der grosse Teil sind hier einzelne Lehrpersonen, die Classtime autonom nutzen, was uns sehr wichtig ist, da wir dadurch sicherstellen können, dass wir wirklich Mehrwerte liefern und die Lösung nicht einfach zentral eingekauft wird. Wir unterstützen allerdings auch immer mehr institutionelle Kunden, also öffentliche und private Schulen, Kantone und Bundesländer, sowie verschiedene Verlage und KMUs. Was für Schulen gut funktioniert, funktioniert auch hervorragend bei Firmen, welche effizient und effektiv eigene Inhalte schulen müssen.

«Wir haben ca. 200’000 registrierte Lehrpersonen, welche aktuell monatlich ca. 15 Millionen Interaktionen mit ihren Schülerinnen und Schülern durchführen.»

Welche technologischen Weiterentwicklungen streben Sie in den nächsten Jahren an?

Die spannendsten Themen aus meiner Sicht sind Integrationen mit weiteren Anbietern (Apps und Verlagen), um ein Ökosystem an Dienstleistungen zu schaffen, sowie technologische Weiterentwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Beispielsweise haben wir ein neuronales Netz programmiert, welches Antworten in Freitext sehr gut kontextabhängig und automatisch auswerten kann. Dies haben wir bislang nur Schülerinnen und Schülern für autonomes Lernen freigeschaltet, möchten hier aber inskünftig auch Lehrpersonen unterstützen und sinnvolle, automatisch ausgewertete Vorschläge unterbreiten können.

Zuletzt hat Classtime eine öffentliche Ausschreibung im deutschen Bundesland Niedersachsen gewonnen. 400’000 Lernende und 80’000 Lehrpersonen können nun die Software nutzen. Welche Bedeutung hat dieser Auftrag für Ihr Unternehmen?

Diese Partnerschaft ist für uns als Firma enorm wertvoll – die Anforderungen eines Kultusministeriums bzgl. pädagogisch-didaktischen Mehrwerts, technologischer Funktionalität und Skalierbarkeit, und bzgl. Datenschutz und Datensicherheit sind mit die härtesten, mit welchen wir bisher konfrontiert worden sind. Diese erfüllt und uns in einem öffentlichen Bieterverfahren gegen verschiedene Konkurrenten durchgesetzt zu haben, ist eine wunderbare Bestätigung für den Einsatz, den wir seit der Gründung 2019 und auch bereits davor geleistet haben. Die Partnerschaft ist auch langfristig ausgelegt, eine interessante Perspektive für die Weiterentwicklung des pädagogisch-didaktischen Mehrwerts.

Der Datenschutz ist bei der Vergabe solcher Aufträge ein wichtiges Kriterium. Welche Anforderungen wurden hier vom Bundesland gestellt?

Im Wesentlichen die volle Einhaltung der EU-DSGVO nach neuestem Standard (Schrems-II), Anforderungen bzgl. der geographischen Datenhaltung, der Verschlüsselung der Daten und der zweckmässigen Bearbeitung, der Sicherheit, der technischen Pseudonymisierung von Personendaten, Kontrollvorkehrungen, weitergehende technische Anforderungen an die Authentisierung der Nutzer, etc. Hier hat uns natürlich die Vorarbeit im Zusammenhang der Etablierung und der Unterzeichnung des Rahmenvertrags mit Educa geholfen. Damit einhergehend sind wir einer eingehenden Prüfung von Privatim sowie verschiedener kantonaler Datenschutzstellen unterzogen worden.

«Einige kantonale Behörden nehmen sich heraus, dass sie Jungunternehmen sehr genau prüfen, sehr genau nachfragen und an höchsten Anforderungen festhalten, die sie im Gegensatz dazu bei ausländischen Grossunternehmen, welche gewisse Standards nicht erfüllen, grosszügig tolerieren.»

Sind diese Anforderungen vergleichbar mit jenen, die in der Schweiz gestellt werden?

Ja, absolut, die Schweiz lehnt sich hier stark an die Entwicklungen in der EU an. Insoweit besteht auch seitens der EU ein Angemessenheitsbeschluss.

Das betrifft nun die grundlegende Rechtslage im Bereich Datenschutz – die Auslegung und die Interpretation, sowie die Entscheide bzgl. datenschutzrechtlicher Risikoabwägungen sind aber stark kantonal unterschiedlich. Zudem nehmen sich einige kantonale Behörden heraus, dass sie Jungunternehmen sehr genau prüfen, sehr genau nachfragen und an höchsten Anforderungen festhalten, die sie im Gegensatz dazu bei ausländischen Grossunternehmen, welche gewisse Standards nicht erfüllen, grosszügig tolerieren. Sie sehen sogar über ungenügende Antworten hinweg. Wir haben nichts gegen genaue Prüfungen, im Gegenteil – wir schätzen den Prozess und haben uns bislang im Austausch auch weiterentwickeln können. Wir fordern jedoch, dass gleiche Massstäbe bei allen Unternehmen und Anbietern angewendet werden.

«Es ist störend, wenn schweizerische Unternehmen, die materiell datenschutzrechtlich besser aufgestellt sind als ausländische Tech-Giganten, ausdrücklich ungleich behandelt werden.»

Sie würden also von ungleichen Rahmenbedingungen für Anbieter wie Classtime gegenüber grossen ausländischen Unternehmen sprechen?

Ja. Leider sehen wir tatsächlich im Austausch mit bestimmten kantonalen Behörden in der Schweiz, dass die rechtlichen Vorgaben zu unseren Ungunsten ungleich umgesetzt werden. Beispielsweise im Kanton St. Gallen: Hier werden Anforderungen an uns gestellt, die andere, von der Behörde explizit zur Anwendung empfohlene Anbieter klar nicht erfüllen. Es ist zwar per se nicht falsch, wenn die Behörde hohe Anforderungen an die in den Schulen verwendeten digitalen Tools stellt. Es ist ihr Recht und ihre Pflicht als verantwortliche Stelle, datenschutzrechtliche Risikoabwägungen innerhalb des rechtlichen Rahmens nach ihrem Gutdünken zu machen.

Es ist störend, wenn schweizerische Unternehmen, die materiell datenschutzrechtlich besser aufgestellt sind als ausländische Tech-Giganten, ausdrücklich ungleich behandelt werden. Dies ist dann nicht nur schädlich für das betroffene Jungunternehmen, das sich im Einzelfall kaum wehren kann, sondern insgesamt auch für den Innovationsstandort Schweiz, für das Bildungssystem, und letztlich für die individuellen Nutzer, denen die beste Lösung, die sich aus gleichen Wettbewerbsbedingungen ergeben würden, vorenthalten wird.

Letzte Frage: Classtime hat eine Tochterfirma in den USA. Wie ist das Unternehmen im Reich der Tech-Giganten positioniert?

Wir haben in den USA ein Tochterunternehmen, da der Markt für uns gross und grundsätzlich attraktiv ist. Wir arbeiten seit der Gründung des Unternehmens mit Schulbezirken und Schulen von der West- bis Ostküste zusammen. In den USA wird viel mit digitalen Tools gearbeitet, insbesondere wegen des Schwerpunkts auf kompetenzorientierte Assessments und deren Auswertung.

In den USA besteht ein wesentlich grösserer Fokus auf Datennutzung, zum Beispiel für Performance-Auswertungen zuhanden der Schulleitungen und Behörden für die Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen. Dort positionieren wir uns als Spezialistin, welche sich gut mit den Tech-Giganten wie Google Classroom integrieren lässt und so einen Mehrwert für unsere Kunden schafft. Wir glauben, dass diese Punkte auch in der Schweiz und Deutschland stärker zum Thema werden, und so werden wir weiterhin in die Schaffung von günstigen Rahmenbedingungen im Bereich Datenschutz und Datennutzung sowie in die Produktentwicklung und Zusammenarbeit mit allen Akteuren des Bildungswesens investieren.

Herr Rihak, wir bedanken uns für das Interview.

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