Valentin Roschacher, Maler

Von Helmuth Fuchs


Moneycab: Herr Roschacher, vom Bezirks- zum Bundesanwalt zum Maler. Eine ungewöhnliche Entwicklung. Wo liegen die Schnittstellen mit Gemeinsamkeiten, wo die fundamentalen Brüche?


Das ist zwar sicherlich keine logische, aber überhaupt keine ungewöhnliche Entwicklung! «Zwei Seelen schlagen ach in meiner Brust», schrieb Goethe; und weiter (lacht dabei): «Die Juristerei ist die mindeste meiner Fähigkeiten». Ich sage, ich bin – und war immer – schizophren, allerdings auf eine für die Menschheit völlig ungefährliche Art und Weise. Drei Eigenschaften sind meines Erachtens unabdingbar für einen Künstler: Leidenschaft, Ehrlichkeit und Fleiss. Und diese muss auch ein Staatsanwalt haben; eigentlich jeder, der seinen Beruf gut ausüben will. Beim Staatsanwalt kommt noch Neugierde, Zähigkeit und Mut dazu. Ebenfalls Eigenschaften, die dem Künstler hilfreich sind. Ferner gemeinsam ist den beiden Berufen die Suche nach der Wahrheit. Als Maler eher im Sinne von Schönheit als Glanz der Wahrheit, als Staatsanwalt auf der Suche nach dem möglichst objektiven Sachverhalt. Fundamentale Brüche sehe ich keine, allenfalls Unterschiede im Arbeitsablauf. Früher war ich Teil eines Ganzen (Polizei-Staatsanwalt-Richter). Heute bin ich alleine und schaffe mit Farbe, Pinsel und Leinwand mein Werk. Erfolg und Misserfolg, gute Arbeit und schlechte Arbeit fliessen direkt aus meiner Hand. Niemand sonst trägt dazu bei!



«Ich male so, wie ich die Dinge sehe. Punkt. Wenn’s gefällt, schön, wenn nicht, trotzdem! Als junger Mensch hätte ich mich vielleicht verführen lasse n, wenn mir ein Galerist gesagt hätte: «Male so, dann kann ich es verkaufen; male das und du wirst Karriere machen».» Valentin Roschacher, Maler


Während Sie als Bundesanwalt vor allem in die Abgründe der menschlichen Existenz schauten, wählen Sie als Maler die klare Erhabenheit der Berge als Motiv. Ein Kontrastprogramm zur eigenen Läuterung?


Ihre Frage überfordert mich intellektuell (lacht erneut). Die Berge haben mich bestimmt, sie zu malen. Ob sie meinten, ich bräuchte Läuterung…keine Ahnung; ich jedenfalls nicht. Mit der Bergmalerei habe ich 2000 begonnen und bin seither bei ihr geblieben. Die Bergwelt fasziniert mich auf verschiedene Weise. Sie ist aber nicht Psychotherapie für mich selber.



«Wenn ich morgen sterbe, dann war mein Weg der falsche. Wenn ich noch 30 Jahre lebe und malen kann, dann war mein Weg für mich der richtige.»



Sie haben schon als Kind viel und gern gezeichnet, haben sich den Zugang zu vielen Themen über Stift und Pinsel erarbeitet. Würden Sie heute den Umweg über die Juristerei zur Kunst nochmals wählen, oder einen direkteren Zugang zu Ihrer Berufung suchen?


Ich bin überzeugt, dass es für mich der richtige Weg war. Mir fehlte damals der Mut, ausschliesslich auf die Kunst zu setzen; und damit fehlte mir damals offensichtlich auch die notwendige Leiden…schaft. Ich hatte schon damals die tiefe Überzeugung, dass ich als Maler mein Leben beenden würde, aber ich tat mich schwer, es zu beginnen! Nicht einmal mit der Erfahrung von heute bin ich sicher, ob ich – bekäme ich eine zweite Chance – schon vor oder unmittelbar nach der Matura berufsmässig auf die Karte Kunst setzen würde. Das muss ich etwas begründen! Für ein gutes Bild müssen Auge und Verstand, Herz und Hand zusammenarbeiten. Auge und Hand wären wohl heute schon weiter, hätte ich 25 Jahre mehr Berufsmalerei in meinem Rucksack; ganz einfach deshalb, weil ich in diesen Jahren ein paar hundert Bilder mehr gemalt hätte, und bei jedem Bild lernt man. Herz und Verstand in einem anderen Gebiet reifen zu lassen, sehe ich als Vorteil an.


Die zwei grössten Vorteile sind aber: Erstens, ich bin malerisch gesehen völlig frisch, und zweitens bin ich nicht zu Kompromissen bereit. Ich male so, wie ich die Dinge sehe. Punkt. Wenn’s gefällt, schön, wenn nicht, trotzdem! Als junger Mensch hätte ich mich vielleicht verführen lassen, wenn mir ein Galerist gesagt hätte: «Male so, dann kann ich es verkaufen; male das und du wirst Karriere machen». Ausserdem – und mir ist bewusst, dass ich mit dieser Ansicht ziemlich einsam in der Landschaft stehe – halte ich das Spätwerk von manchem berühmten Maler nicht unbedingt für dessen besten, reifsten Bilder! Bei nicht wenigen Malern, die alt geworden sind und daher 50 oder mehr Jahre der Malerei widmen konnten, scheint mir ihr Spätwerk mehr von Müdigkeit, Experimenten auf der Suche nach etwas nicht Auffindbarem und von unnötiger Wiederholung geprägt zu sein, denn von stetiger, qualitativer Weiterentwicklung.


Für mich gibt es nicht viele grosse Maler, die ein hohes Alter erreichten und dabei nur immer besser wurden. Viele grossartige Künstler hingegen wurden nicht alt, starben mit 30, 40 oder 50 Jahren (G. Seurat, V. van Gogh, G. Segantini, G. Caillebotte, E. Manet, P. Gaugin) und schufen ihre Meisterwerke in einer relativ kurzen Zeitspanne von 10 bis 20 Jahren. Das führt mich eher zum Schluss, dass (auch) dem Künstler nur eine gewissse Zeitspanne zur Verfügung steht, um zu beginnen, zu reifen und um Meisterwerke zu schaffen. Wann er damit beginnt, ist weniger wichtig, als grundsätzlich die notwendigen Jahre zu haben. Wenn ich morgen sterbe, dann war mein Weg der falsche. Wenn ich noch 30 Jahre lebe und malen kann, dann war mein Weg für mich der richtige.



«Drei Eigenschaften sind meines Erachtens unabdingbar für einen Künstler: Leidenschaft, Ehrlichkeit und Fleiss. Und diese muss auch ein Staatsanwalt haben; eigentlich jeder, der seinen Beruf gut ausüben will.»


Wie beurteilt ihr Vater, ebenfalls Jurist mit einer engen Beziehung zur Kunst und Ihr härtester Kritiker, Ihr heutiges Schaffen?


Als ich Bezirksanwalt wurde, brach er nicht in Jubel aus. Als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Zivilrecht sah er im Strafrecht nicht unbedingt die anspruchsvollste Rechtsdisziplin. Als ich Bundesanwalt wurde, hielt er dies für einen tollen Karriereschritt – für einen Strafrechtler! Stolz war er, nicht als ich Maler wurde, sondern als er sah, wie ich an die Malerei heranging und wie sich meine Bilder entwickelten. Letztes Jahr geschah etwas, das mich für einen längeren Moment fast aus dem Gleichgewicht warf (lacht dabei): Er befand erstmals ein Bild von mir für tadellos! Seit ich Maler bin will er jedes Bild sehen, wenn es fertig ist. Wir führen endlose und spannende Diskussionen über Komposition, Kontraste, Farbakkorde, Tonwerte etc..



Als Maler sind Sie Autodidakt, lesen sich das Wissen aus Büchern an. Wer sind Ihre grössten «Lehrmeister»?


Technik ist in der Kunst völlig nebensächlich; man muss sie einfach beherrschen! Wer technisch perfekt ist, ist deswegen noch kein Künstler. Wer sie aber nicht beherrscht, wird nie einer werden. Wer nicht ein Meister der Sprache ist wird nie ein grosser Schriftsteller, mag er auch noch so wollen und noch so tolle Ideen haben. Gleiches gilt in der Musik und in allen anderen Bereichen der Kunst. Ich eigne mir mein Rüstzeug so an, wie ich es in der Juristerei gemacht habe. Ich wähle die Bücher sorgfältig aus und studiere sie; lese sie immer wieder, mache Übungen, bis ich es weiss und kann. Am liebsten lese ich Bücher von Malern, die über Malerei geschrieben haben. Cézanne’s Briefe zum Beispiel waren allerdings die grosse Enttäuschung. Statt über seine Malerei und seine Gedanken darüber zu schreiben, bettelt er um Geld. «Schicke mir 60 Francs…» dürfte der Standartsatz dieses grossen Künstlers gewesen sein. Für die Farbenlehre griff ich zu Goethe, Schopenhauer, Runge und Iten. Aber meine eigentliche «Bibel» ist Leonardo da Vincis «Traktat von der Malerei» in der Übersetzung von Heinrich Ludwig (der war selber auch Maler). In all den «modernen» Büchern über Aspekte der Malerei habe ich nichts wirklich Wichtiges gefunden, womit sich da Vinci nicht auch schon befasst hätte.


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Die Suche nach Wahrheit ist ein Grundthema in der Rechtssprechung. Wo liegt die Wahrheit in der Kunst?


Ein schwieriges Thema und die meisten Ihrer Leser würden wohl vor Müdigkeit auf die Tastatur fallen, bevor das Thema auch nur annähernd andiskutiert wäre (ich übrigens auch). In der Kunst wird ja immer auch von «ästhetischer Wahrheit» gesprochen. Und hier müsste man wohl zuerst ein paar Begriffstheorien von Hegel, Heidegger und Adorno und anderen ausbreiten, was ich mir und allen anderen ersparen will.


Der Begriff der Wahrheit in der Kunst ist jedenfalls bis heute nicht genau definierbar und schon gar nicht verifizierbar. Ich denke aber, es geht um einen höchsten Wert, um Sinn, um Schönheit und um die Erkenntnis all dessen; gleichsam um die Erfahrung einer sinnlichen oder übersinnlichen Offenbarung. Ich hoffe, ich war genug unverständlich (lacht). Ich will es einfacher ausdrücken. Wahrheit in der Malerei ist für mich viel mehr als nur grösstmögliche Abbildungsrichtigkeit. Der ehrliche und empfindsame Maler wird das Wesentliche seines Motivs mit der nur ihm eigenen Art von Wahrnehmung auf die Leinwand bringen, und der geübte und empfindsame Betrachter wird eine Art Erkenntnis des Schönen (als Glanz der Wahrheit) erfahren.



«Ich bin ein grosser Bewunderer von Gustave Caillebotte, Edouard Manet, Berthe Morisot, obwohl ich nicht impressionistisch male, es mir nicht um das Einfangen des flüchtigen Augeblicks geht, sondern eher um das Gegenteil.»


Ihre Bilder, die ausschliesslich Berge zum Motiv haben, werden schon heute bezüglich ihrer Bedeutung mit Werken von Segantini oder Hodler verglichen. An welchen Künstlern orientieren Sie sich selbst, wie möchten Sie in Ihrem Werk wahr genommen werden?


Kein Maler ist unbeeinflusst von anderen Malern. Das Studium grosser Maler ist wichtig für die eigene Entwicklung. Wer in meinen Bergbildern bis 2004 etwas «Hodlerisches» sieht, liegt sicherlich nicht falsch. Ich habe mich lange und intensiv mit dem Werk Ferdinand Hodlers beschäftigt; dass da zeitweilig etwas in die eigene Malerei einfliesst, ist natürlich. Seine Bergbilder gefallen mir nach wie vor. Aber meine Bilder – spätestens ab 2006/2007 – haben überhaupt nichts «Hodlerisches» mehr an sich, ausser, dass ich bisweilen Berge male, die er auch gemalt hat.


Segantini liegt mir näher und ist trotzdem meilenweit entfernt. Seine Farben sind kälter als meine, er war (Post)impressionist, eventuell sogar reiner Divisionist. Ein gewisser Symbolismus findet sich auch in seinen Landschaftsbildern, bei mir überhaupt nicht. Ich bin ein grosser Bewunderer von Gustave Caillebotte, Edouard Manet, Berthe Morisot, obwohl ich nicht impressionistisch male, es mir nicht um das Einfangen des flüchtigen Augeblicks geht, sondern eher um das Gegenteil. Ich verehre Goya und Velasquez, Tiepolo, Tizian und andere, obwohl ich nicht so male wie sie.


Ich verbringe einen Grossteil meiner Zeit in den Bergen. Ich gehe nicht einfach mal zwischendurch schnell in die Berge und male ein Bild. Ich befasse mich intensiv mit den Bergen, sitze stundelang vor einem Berg und studiere ihn, bis er mir vertraut ist, bis ich ihn kenne, bis sich mir seine wesentlichen Charakterzüge erschliessen. Ich denke, dass ich heute schon mehr Zeit in den Bergen beim Studium der Berge verbracht habe, als Ferdinand Hodler in seinen 65 Lebensjahren. Ich male nur die Berge, zu denen ich durch intensives Studium eine Beziehung aufbauen kann. Meine Bergbilder sind Portraits. Und als Portraitmaler kämpfe ich mit der Schwierigkeit, etwas zu wenig gut zu kennen, um es gut zu malen, und es zu gut zu kennen, um es zu vollenden. Und so möchte ich, dass mein Werk wahrgenommen wird. Ich selber möchte in meinem Werk nicht wahrgenommen werden.



«Ich habe eine traditionelle – man könnte auch sagen konservative – Kunstauffassung. Zeichnen gehört zum Rüstzeug des Malers. Wer nicht g ut zeichnen kann, wird auch kein grosser Maler.»



 


Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie in einer Woche auf Moneycab.


Nächste Ausstellung von Valentin Roschacher:

Galerie Thomas Dutoit
Suhrenmattstrasse 2
5035 Unterentfelden
062 723 41 32
[email protected]

Vernissage: 14. November 2009, ab 18.00 Uhr*
Sonntagsbrunch: 15. November 2009, 11.00 ? 16.00 Uhr*
Finissage-Apéro: 12. Dezember 2009, 11.00 ? 16.00 Uhr*

Öffnungszeiten:
Di-Fr: 08:00 – 12:00 / 13:30 – 18:00
Sa: 10:00 -16:00


*Der Künstler ist selbst anwesend

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