Kommentar: Altersvorsorge2020 – Traumgebilde mit Albtraumfolgen

Kommentar: Altersvorsorge2020 – Traumgebilde mit Albtraumfolgen
(Foto: eyetronic - Fotolia.com)

Alle sind sich einig, dass das Vorsorgesystem mit den drei Säulen (AHV, berufliche und private Vorsorge) reformbedürftig ist. Ebenfalls einig sind sich alle, dass die demografische Entwicklung die Weiterführung der AHV in der bekannten Form und ohne massive Kürzungen verunmöglicht. Zur Sanierung gibt es eigentlich nur ganz wenige Stellschrauben: Kürzung der Leistung, Erhöhung der Beiträge, Verminderung der Bezugsdauer. So weit, so klar. Und nun beginnt der Bau potemkinscher Dörfer und zwar seitens der Befürworter und der Gegner.

Kommentar von Helmuth Fuchs

Alle wissen es, nur sagen will es niemand: Um die Weiterführung des gewohnten Lebensstils ohne allzu grosse Einschränkungen auch im Alter zu gewährleisten, muss signifikant länger gearbeitet werden und die private Vorsorge wird eine viel bedeutendere Rolle spielen. Das sind schlechte Nachrichten für gering Verdienende, die wenig ansparen und keine eigene Immobilie haben, da deren Hauptquelle die beiden ersten Säulen sind. Die AHV ist chronisch unterfinanziert wegen der sich wandelnden Demografie (immer weniger Junge, immer mehr Alte), die zweite Säule erfüllt die gemachten Versprechen momentan mit einem unrealistisch hohen Umwandlungssatz und lässt ebenfalls die Jungen dafür bluten. Alle Parteien stünden vor dem Dilemma, Teile ihrer Anhänger enttäuschen zu müssen: Die Jungen, die eine grössere Last tragen werden als die Generationen zuvor, die Alten, die selbst mehr sparen müssen und weniger bekommen werden, und die im mittleren Alter, die anstatt mit 65 erst mit 70 in Rente gehen können (allerdings bei weit höherer Lebenserwartung als die Generationen zuvor). Realistische Erwartungen wären also das sinnvolle Fundament für die erfolgreiche Weiterführung des gesellschaftlich so wichtigen Generationenvertrages.

Übliche Kompromisse und Klientelpolitik werden hier an der statistischen und mathematischen Realität scheitern
Was passiert stattdessen? Alle Parteien versuchen in einer Kompromisslösung etwas für ihre Klientel herauszuholen: Neurentner sollen etwas mehr AHV bekommen (70 Franken), das Pensionsalter wird nur bei den Frauen minim angehoben (auf 65 Jahre, bei Gleichberechtigung und längerer Lebenserwartung für Frauen sollte das eigentlich keine Diskussionen auslösen), Mehrwertsteuer und Lohnbeiträge werden angehoben. Die Situation und Zukunftsperspektive für die Jungen verbessert sich damit nicht (eher im Gegenteil), da sie aber bei Abstimmungen nicht entscheidend sind, ist dies ein wohl kalkuliertes Risiko.

Die Vermischung bei der Sanierung der ersten und zweiten Säulen hilft nicht, die Komplexität zu senken

Die Vorsorge ist ein komplexes Thema und dazu wird es keine einfachen Lösungen geben. Wer aber den Bürgern weismacht, dass sich bei der bekannten demografischen Entwicklung und ohne einen bedeutenden Zustrom von jungen, überdurchschnittlich gut ausgebildeten Arbeitnehmenden aus dem Ausland das Rentenalter 65 nur schon mittelfristig halten lässt, lügt diese bewusst an. 70 wird das neue 65 sein (mindestens), was ja auch in Ordnung geht, wenn alle die Werbeprämisse beklatschen, dass 60 das neue 50, 70 das neue 60 etc. sei. Auch die Vermischung bei der Sanierung der ersten und zweiten Säulen hilft nicht, die Komplexität zu senken. Sinnvoller wäre es, die über den Generationenvertrag umlagefinanzierte erste Säule getrennt von der durch das im Berufsleben angesammelte Kapital gespeiste zweiten Säule zu sanieren.

Wer sagt’s nun dem Kinde?
Statt also die Komplexität zu mindern wird in dieser Abstimmung noch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer drauf gepackt mit der Folge, dass wer die Reform der Altersvorsorge befürwortet, aber eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zum Beispiel aus verständlichen wettbewerbstechnischen Gründen ablehnt, keine vernünftige Wahl mehr hat: Er muss das Gesamtpaket ablehnen.

Ein Abgrund von zwei Metern lässt sich nicht mit zwei Hüpfern über je einen Meter bewältigen.

Es gibt Probleme, die lassen sich nicht mit kleinen Schritten und schwammigen Kompromissen lösen. Ein Abgrund von zwei Metern lässt sich nicht mit zwei Hüpfern über je einen Meter bewältigen. Das Thema Altersvorsorge ist ein Erwachsenenthema und sollte auch so, vor allem mit den Jungen, angegangen werden. Es gibt schmerzhafte Entscheidungen zu treffen oder sich ein fundamental neues System auszudenken. Das Gebastel mit dem Titel Altersvorsorge2020 dient niemandem (ausser Politikern) sondern kaschiert nur kurzfristig und zu Lasten kommender Generationen die grundsätzliche Fragestellung, wie wir bei massiv gestiegener Lebenserwartung und einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft ein würdiges Leben nach der Arbeit finanzieren wollen. Scheinlösungen und nicht finanzierbare Geschenke an verschiedene Wählergruppen sind nicht die Lösung und nicht ehrlich.

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