Staatssekretärin Livia Leu tritt als EU-Chefunterhändlerin zurück

Staatssekretärin Livia Leu tritt als EU-Chefunterhändlerin zurück
Staatssekretärin Livia Leu.

Bern – Der Bundesrat muss sich auf die Suche machen nach einer neuen Chefunterhändlerin oder einem neuen Chefunterhändler für die Verhandlungen mit der EU. Die amtierende Staatssekretärin Livia Leu verlässt den Posten auf eigenen Wunsch und wird ab Herbst Botschafterin in Berlin.

Das teilte der Bundesrat am Mittwoch mit – und bestätigte damit Berichte der Tamedia-Zeitungen und weiterer Medien vom Vortag. Leu wird demnach als Botschafterin in Deutschland Paul Seger ersetzen, der in Pension geht.

Zuvor wird Leu die laufenden Sondierungsgespräche mit der EU zu Ende führen. Ende März 2023 teilte der Bundesrat mit, dass bis Ende Juni die Eckwerte eines Verhandlungsmandats erarbeitet werden sollen. Die Gespräche mit der EU würden durch diesen Wechsel nicht beeinträchtigt, schrieb der Bundesrat am Mittwoch.

Leu will verbleibende Sondierungsphase zu einem guten Ende führen
Livia Leu hat keine Bedenken, dass ihr Abgang Ende August negative Folgen für allfällige Verhandlungen haben könnte. Nach den Sondierungsgesprächen brauche es «gewisse Änderungen». Nun wolle sie aber zuerst ihre Arbeit beenden. «Sondierungen und Verhandlungen sind nicht dasselbe», sagte Leu am Mittwoch vor den Medien in Bern. Bis zu ihrem Wechsel in die Schweizer Botschaft nach Berlin habe sie noch genügend Zeit, die verbleibenden Aufgaben zu erledigen.

Falls es zu Verhandlungen käme, würden diese selten in der gleichen Zusammensetzung angegangen, so Leu. «Wir sind es in der Diplomatie gewohnt, dass die Personen regelmässig wechseln.» Ihre Aufgabe sei es, die Sondierungen zu beenden. Das sei danach die Basis für ein Verhandlungsmandat, das der Bundesrat verabschieden werde.

Durch die länger als geplant dauernden Sondierungen hätten die allfälligen Verhandlungen besser vorbereitet werden können, sagte Leu. «Man sollte schneller vorankommen können.» Sie sei aber vorsichtig, einen exakten Zeitpunkt für ein Verhandlungsende zu definieren.

«Man weiss nie, was passiert»
Brüssel will nach eigenen Angaben bis zum Sommer 2024 Ergebnisse. Leu sagte dazu, dass eine Verhandlungsphase offen bleiben müsse. «Man weiss nie, was passiert.»

Sie habe in den vergangenen Monaten eine «positive Dynamik» in den Gesprächen wahrgenommen, sagte Leu weiter. Die Sondierungen seien «kein Sonntagsspaziergang» gewesen. Müde sei sie deswegen aber nicht. Die Zusammenarbeit mit Aussenminister Ignazio Cassis bezeichnete die bald abtretende Schweizer EU-Chefunterhändlerin als «gut und respektvoll».

Es sei «eine persönliche Entscheidung» gewesen, wieder als Botschafterin ins Ausland zu gehen, sagte Leu.

«Engagierte und erfolgreiche Arbeit»
Die 62-jährige Spitzendiplomatin ist seit Oktober 2020 Staatssekretärin im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und federführend bei den Gesprächen mit der EU. In ihre dreijährige Amtszeit fiel auch der Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU im Jahr 2021. Seither sondieren Leu und ihr Team mit EU-Vertreterinnen und -Vertretern das weitere Vorgehen.

Leu habe «wesentlich dazu beigetragen, dass die Gespräche zwischen der Schweiz und der EU neu aufgegleist werden konnten», schrieb der Bundesrat. Die Sondierungen seien «weit vorangekommen». Leu werde ihre «engagierte und erfolgreiche Arbeit» als Staatssekretärin bis Ende August weiterführen.

Die konkreten Verhandlungen wird dann Leus Nachfolger oder Nachfolgerin führen müssen. Das EDA setzt laut dem Bundesrat eine Findungskommission ein. Es wird bereits die sechste Person in den letzten zehn Jahren sein, die das EU-Dossier verantworten wird. Vor Leu hatten schon Roberto Balzaretti, Yves Rossier, Jacques de Watteville und Pascale Baeriswyl den Posten des Chefunterhändlers respektive der Chefunterhändlerin mit der EU inne.

Brüssel will Verhandlungen weiterhin im Sommer 2024 beenden
Die EU-Kommission hat den Rücktritt der Schweizer EU-Chefunterhändlerin Livia Leu zur Kenntnis genommen. Das sagte ein EU-Kommissionssprecher am Mittwoch in Brüssel. Auf die Frage eines Journalisten, ob dieser Wechsel sich nicht ungünstig auf die laufenden Sondierungsgespräche auswirken könnte, meinte der Sprecher, es sei am Bundesrat zu entscheiden, wer für die Schweiz die Gespräche führen solle.

Zudem habe man noch etwas Zeit, da Leu bis Ende August noch im Amt bleibe, meinte er weiter und verwies auf die nächste Sondierungsrunde am 30. Mai. «Unser Ziel bleibt jedoch dasselbe», sagte der Kommissionssprecher weiter. Die EU wolle die Sondierungsgespräche so schnell als möglich beenden und mit den Verhandlungen beginnen. Bis im Sommer 2024 wolle man dann diese abgeschlossen haben. «Wir machen alles, um den Prozess bis dann zu beenden», sagte er.

Teheran, Paris, Brüssel, Berlin
Vor ihrer Tätigkeit als Staatssekretärin war Leu Botschafterin in Teheran und Paris. Nun übernimmt sie als Missionschefin in Deutschland «erneut eine strategisch und diplomatisch zentrale Aufgabe», wie der Bundesrat schrieb. Sie werde fortan zuständig sein für die Pflege der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen mit dem wichtigsten Schweizer Handelspartner.

Leu leitete seit 2021 auch das neu organisierte Staatssekretariat EDA, laut Aussenminister Ignazio Cassis «das Herz des Aussendepartements». Dabei gleiste sie zusammen mit den anderen Departementen unter anderem die neue Aussenpolitische Strategie 2024-27 auf. (apw/mc/pg)

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