Die Lizenz zum Durchregieren: Wenn Notrecht die Not vergrössert

Die Lizenz zum Durchregieren: Wenn Notrecht die Not vergrössert
(Bild: Adobe Stock: 584723185)

Der Bundesrat hat die nächste Krise, in diesem Fall den Liquiditätsengpass der Credit Suisse, genutzt und schon fast gewohnheitsmässig vom Notrecht Gebrauch gemacht, um alle unliebsamen Kontrollmechanismen, Kritiker, Bedenkenträgerinnen und das Parlament auszuschalten. Ein genau für diesen Fall erlassenes Gesetz («too big to fail»-Anpassungen am Bankengesetz 2012 mit den Komponenten Eigenmittel, Liquidität, Risikoverteilung und Organisationsstruktur) wurde sofort ausgehebelt, genau so wie das Kartellgesetz oder Aktionärsrechte. Stattdessen entschied der Bundesrat, dass die Credit Suisse der grössten Konkurrentin, der UBS, für nicht einmal die Brosamen eines Butterbrots verscherbelt wird und die SNB (Schweizerische Nationalbank) und der Staat dafür Kredite in der Höhe von etwa 250 Milliarden Franken zur Verfügung stellen müssen.

Kommentar von Helmuth Fuchs

War in der Pandemie, zumindest in der Anfangsphase, der Einsatz von Notrecht noch zu begründen, da zwar auch dort dafür vorgesehene Gesetze und Notfallpläne existierten (z.B. der Influenza Pandemieplan, der seit 1995 dauernde aktualisiert wurde, letztmals 2018), aber der zeitlich unvorhersehbare Zeitpunkt, die rasante Ausbreitung und die fundamentalen wirtschaftlichen Auswirkungen alles bisher Gekannte in den Schatten stellten, sprechen wir beim Liquiditätsengpass der Credit Suisse von ganz anderen Grössenordnungen und Rahmenbedingungen.

Beübtes Feld ohne eigentliches Überraschungsmoment

Spätestens nach der Subprime-Krise und der darauf folgenden weltweiten Finanzmarkt- und Konjunkturkrise (in welcher der Bundesrat erstmals in der jüngeren Geschichte das Notrecht zur Rettung der UBS mit 6 Milliarden CHF anwendete) wurden die Regeln auf den wichtigsten Finanzmärkten angepasst, es gab Vorschriften zu einer höheren Eigenkapitalquote, regelmässige Stresstests, die Aufsichts- und Regulierungsbehörden wurden gestärkt und ausgebaut (in der Schweiz die FINMA).

Dass die Credit Suisse sich seit Jahren auf dem absteigenden Ast befindet, ist kein Geheimnis. Der Börsenkurs kennt seit 15 Jahren, mit kurzen Unterbrechungen nur eine Tendenz: Steil nach unten. Kaum ein Skandal, in den die CS nicht verwickelt war, dafür meist ganz vorne dabei, wenn es um die Zahlung von rekordhohen Bussen ging.

Auch das seit Mitte 2022 neu angetretene, von der UBS kommende, Führungsduo Axel Lehmann (Verwaltungsrats-Präsident) und Ulrich Körner (CEO), sowie Markus Diethelm als neuer Leiter der Rechtsabteilung, vermochten keine Trendwende einzuläuten. Nebst der Aufrechterhaltung einer fatalen Unternehmenskultur, konnte auch der Geldabfluss, entgegen einer offensichtlich falschen Aussage von Axel Lehmann, nicht gestoppt werden. Auch Ende Jahr flossen immer noch Milliarden an Kundengelder ab, gesamthaft im Jahr 2022 über 127 Milliarden.

Das heisst, der absehbare Liquiditätsengpass zeichnete sich schon seit längerer Zeit ab, die missliche Lage als Resultat jahrelangen Missmanagements ebenfalls. FINMA, Bundesrat und die CS-Geschäftsleitung hätten genügend Zeit gehabt, eine Lösung für ein sich abzeichnendes Notfall-Szenario zu definieren, im Rahmen der dafür geschaffenen Vorschriften.

«Letzte Woche wurde überhastet agiert, weil man bloss noch reagierte – noch im letzten Herbst hätte die SNB souverän kommunizieren können, dass sie nichts anbrennen lässt. Denn eigentlich war allen involvierten Parteien damals schon klar, dass die CS an einem dünnen Faden hängt. Aber eben, das geschah nicht.» Oswald Grübel, Blick-Interview vom 24.03.2023

Karin Keller-Sutter: Weltenretterin oder Totengräberin?

Die auch von Fachleuten wie Oswald Grübel (ehemaliger CEO der UBS und der Credit Suisse) bevorzugte Lösung, dass die SNB die Credit Suisse rettet (zum Beispiel über den Erwerb sämtlicher Aktien oder einer «whatever it takes»-Kreditzusage), sie sanieren lässt und so potentiell mögliche Kursgewinne zugunsten des Landes realisieren kann (statt nur die Risiken zu übernehmen und die Gewinne der UBS zu überlassen), wurde vom Bundesrat offenbar umgehend verworfen.

Interessant ist die Begründung dazu: Man befürchtete, dass die Gefahr für die globale Finanzbranche eventuell nicht gebannt gewesen wäre, zudem habe kein Mensch geglaubt, dass die Bank, obschon sie eine Woche zuvor noch gut kapitalisiert und mit Liquidität ausgestattet gewesen sei, wieder aus ihrer misslichen Lage herauskomme. Letzteres hätten der Markt, die Kunden und Aktionäre über die Zeit entschieden, ersteres wäre weniger die Aufgabe des Bundesrates der Schweiz gewesen, als diejenige der Verantwortlichen der jeweiligen Länder.

«Man hat das Wettbewerbs­recht, das Aktien­recht, das Übernahme­recht und das Eigentums­recht ausgehebelt. Und bei Letzterem sind wir auf Verfassungs­stufe. Die Schweiz ist heute nicht mehr die gleiche wie vor zwei Wochen. Die Rechts­sicherheit besteht nicht mehr. Die Verlässlichkeit des Finanz­platzes besteht nicht mehr. Diese Rettung hätte es nie und nimmer durchs Parlament geschafft. Der Rechtsstaat hat gelitten.» Urs Birchler, einer der Väter von «Too big to fail» in der Republik vom 22.03.2023

Der Druck aus den USA, Grossbritannien und Deutschland war offenbar nicht unerheblich, dass die Schweiz alles zu unternehmen habe, damit ihre eigenen Finanzplätze nicht gefährdet würden. Das Resultat ist, dass die Schweiz als internationaler Finanzplatz schwer angeschlagen ist und das Land ein ungeheures Risiko mit der aufgeblähten UBS trägt. Da ein ähnliches Vorgehen schon bei der Beseitigung des Bankkundengeheimnisses und dem Druck auf das Steuersystem funktioniert und zum Aufblühen der Steueroase Delaware geführt hat, gibt es wenig Gründe, es nicht auch ein nächstes Mal zu versuchen, bis der lästige Finanzplatz Schweiz in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Das Lob von Jerome Powell (US-Notenbank), Janet Yellen US-Finanzministerin) und der Bank of England und die zugleich breite Kritik am Vorgehen in der Schweiz sind jetzt schon ein Hinweis darauf, wo die Verlierer und Gewinner zu finden sein werden.

«Die UBS wird über Jahre mit der Einverleibung der CS beschäftigt und der Schweizer Finanzplatz dadurch über Jahre geschwächt sein.» Adriel Jost im Interview mit IWP vom 20. März 2023

Rosinen für die UBS, Risiko für die Bevölkerung

Statt mit einer Übernahme oder einer «Doppel-Wumms»-Kreditzusage durch die SNB die nervösen Märkte zu beruhigen und das ohnehin schon grosse Risiko auf zwei Banken verteilt zu lassen, entscheidet sich der Bundesrat, in dem keine Finanzfachleute mit irgendwelcher Erfahrung sitzen, das Risiko nochmals zu bündeln und sozusagen eine mit Steroiden vollgepumpte Monsterbank zu erschaffen. Wenn schon die Credit Suisse «too big to fail» war, wie soll denn im absehbaren nächsten Fall ein Gebilde wie die UBS gerettet werden?

Dass die UBS zu dem Deal nicht Nein sagt, ist verständlich. Sie wird mit einem Schlag die grösste Konkurrentin los, bekommt für die Abwicklung praktisch keine Auflagen, dafür alle gewünschten finanziellen Garantien, die sie selbst vor einem Verlustgeschäft schützt. Allfällige Kosten werden, nach dem schon in der Pandemie für die Impfstoff-Hersteller angewandten Prinzip «Gewinne privatisieren, Kosten sozialisieren», der SNB, respektive der Bevölkerung überantwortet.

Wie überglücklich die UBS über das Geschenk ist, kann man in ihrer eigenen Präsentation vom 19. März 2023 sehen:

  • «Attraktive finanzielle Bedingungen, die eine Absicherung nach unten und eine sehr umfangreiche Liquiditätsunterstützung durch die SNB beinhalten»
  • «Erweiterung unseres führenden Geschäftsbereichs Global Wealth and Asset Management mit USD ~5 Billionen verwalteten Vermögen»
  • «Den unangefochtenen Marktführer in der Schweiz schaffen»

Rechtlich dunkelgrauer Bereich mit möglicherweise tiefroten Folgen

Rechtsexperten wie Peter V. Kunz oder Andreas Kley betrachten das rechtliche Vorgehen kritisch. Kunz hält den Griff zum Notrecht schlicht nicht für gerechtfertigt, Kley moniert die Verletzung der Aktionärsrechte. Dazu kommt noch die Umgehung des Kartellgesetzes. Da mit dem Vorgehen Markt und Aktionäre ausgeschaltet wurden, darf man gespannt sein, wie die grössten Aktionäre der Credit Suisse, zum Beispiel die Saudi National Bank (9.88 %), die Qatar Holding (5.03 %), die Olayan Group (4.93 %) oder BlackRock (4.07 %) reagieren werden. Sollten diese Klagen anstreben und erfolgreich sein, wird die Schweiz für den Schaden zu haften haben.

When will they ever learn?

Die Frage, von Pete Seger im Kontext von Kriegen gestellt, ist auch hier berechtigt. Nach der Finanzkrise 2008, der Pandemie, dem Rettungsschirm für die Axpo und jetzt der Zwangsintegration der Credit Suisse müssen sich Parlament und Bevölkerung die Frage stellen, wie es um die Demokratie steht, wenn sämtliche Regeln, Gesetze oder einklagbare Verantwortlichkeiten bei jeder nächstbesten Krise, egal wie gross oder klein, vom Bundesrat durch die Anwendung von Notrecht ausgehebelt werden.

Im Fall der Credit Suisse gab es offenbar keine Task-Force mit Rechtsspezialisten, Banking-Experten (oder hat jemand zum Beispiel Oswald Grübel beigezogen?), die Verhandlungen und Protokolle werden nicht öffentlich gemacht, statt Wettbewerb zu ermöglichen kreiert der Bundesrat eine Monsterbank. Und wenn die Aufarbeitung der Rolle des Bundesrates in der Pandemie der Massstab für Lernfähigkeit ist, kann man davon ausgehen, dass auch eine nächste Krise sofort mit Notrecht noch verschlimmert wird. Wann wird man je verstehn?


One thought on “Die Lizenz zum Durchregieren: Wenn Notrecht die Not vergrössert

  1. Es ist ein Skandal, dass die UBS für die Uebernahme der CS, nur drei Milliarden CHF bezahlt hat, das ist ein Hohn für die Aktionäre.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert