Schlimmstenfalls Stromlücken ab 2025 ohne Fortschritte mit EU

Schlimmstenfalls Stromlücken ab 2025 ohne Fortschritte mit EU
(Photo by Nikola Johnny Mirkovic on Unsplash)

Bern – Falls nicht mindestens auf technischer Ebene Fortschritte erzielt werden, dürfte die Schweiz aufgrund des fehlenden Stromabkommens mit der EU ab 2025 ein erhebliches Problem bei der Versorgungssicherheit bekommen, vor allem im Winter.

Das zeigt eines von drei Szenarien eines externen Berichtes zur Versorgungssicherheit, den der Bundesrat am Mittwoch zur Kenntnis genommen hat. Die Szenarien untersuchen die Netz- und Versorgungssicherheit im Jahr 2025.

Ab Ende des Jahre 2025 müssen die europäischen Netzbetreiber 70 Prozent der für den grenzüberschreitenden Handel bedeutenden Kapazitäten für diesen freihalten. Diese 70-Prozent-Regel könnte die Importkapazitäten der Schweiz einschränken und so die Netzstabilität in der Schweiz weiter gefährden. Schon heute belasten die Transitflüsse das Schweizer Übertragungsnetz stark und gefährden zeitweise den sicheren Betrieb.

Der Bericht untersuchte die Folgen für die inländische Versorgungssicherheit bei gänzlichem Verzicht auf eine Kooperation mit der EU, bei mindestens technischen Vereinbarungen mit den Nachbarländern sowie bei einem Zustandekommen eines Stromabkommens mit der EU.

Stromlücke von 47 Stunden
Ohne Kooperation (Worst Case) würde die Lage spätestens im März kritisch, wie es im Bericht heisst. Der inländische Strombedarf könnte dann in der definierten Stresssituation (AKW Beznau und ein Drittel des französischen AKW-Stroms nicht verfügbar) während 47 Stunden nicht mehr garantiert werden. Unter einer ganz extremen Annahme könnte die Versorgung im Jahr 2025 sogar während bis zu 500 Stunden unterbrochen sein. In trockenen Jahren könnten die Strompreise zudem stark steigen.

Bei einer technischen Kooperation mit den Übertragungsnetzbetreibern könne die definierte Stresssituation «sicher bewältigt werden», heisst es im Bericht zum zweiten Szenario. Eine Klausel im Grundlagenvertrag der europäischen Übertragungsnetzbetreiber ermöglicht es der Schweizer Netzbetreiberin Swissgrid, solche Verhandlungen aufzunehmen. Zweck dieser Vereinbarungen wäre, die Schweiz bei der Umsetzung der 70 Prozent-Regel an ihren Grenzen zu Norditalien, Frankreich, Deutschland und Österreich zu berücksichtigen.

Die sicherste Variante wäre gemäss der Analyse allerdings ein Stromabkommen mit der EU, das die Schweiz im EU-Binnenmarkt einem EU-Mitgliedstaat gleichstellen würde. Dieses Szenario biete zusätzliche Versorgungssicherheit und habe auch finanzielle Vorteile für die Schweiz, heisst es im Bericht. Zudem könnten Swissgrid und die Schweizer Energieunternehmen gleichberechtigt an allen Entscheidgremien, netzrelevanten Prozessen der EU sowie allen Plattformen des EU-Strombinnenmarktes teilnehmen.

Technische Vereinbarungen prioritär
Ein weiterer Bericht, den der Bundesrat am Mittwoch zur Kenntnis genommen hat, beschreibt Massnahmen, mit denen die inländische Netz- und Versorgungssicherheit kurz- bis mittelfristig erhöht werden kann. Beschrieben werden rund 80 mögliche Massnahmen in den Bereichen Netz, Verbrauch und Produktion.

Sechs davon werden von der eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom) als prioritär erachtet. Dazu gehören die bereits erwähnten Abschlüsse von privatrechtlichen, technischen Vereinbarungen zwischen Swissgrid und den Übertragungsnetzbetreibern in der EU.

Die beiden Berichte dienen dem Bundesrat dazu, angesichts der schwierigen Ausgangslage die weiteren Schritte zur Stärkung der Versorgungssicherheit vorzubereiten. Wie er in seiner Mitteilung schreibt, hat er die Elcom bereits eingeladen, bis November dieses Jahres ein «Konzept Spitzenlast-Gaskraftwerk» auszuarbeiten. Weiter werde das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) dem Bundesrat bis Ende Jahr eine Analyse des Stromeffizienz-Potenzials bis 2025 vorlegen.

Minimale Zusammenarbeit im EU-Interesse
Das Stromabkommen mit der EU liegt seit 2018 auf Eis. Ende Mai hat der Bundesrat zudem die Verhandlungen mit der EU über ein institutionelles Rahmenabkommen abgebrochen, was die Chancen auf ein Stromabkommen ebenfalls weiter kompromittierte. Innert nützlicher Frist dürfte jedenfalls kein solches zustandekommen.

Über vierzig Stromleitungen verbinden grenzüberschreitend das schweizerische mit dem europäischen Übertragungsnetz. Italien beispielsweise importiert Strom aus Deutschland, der durch die Schweiz fliesst. Auch 30 Prozent des zwischen Deutschland und Frankreich gehandelten Stroms fliesst durch die Schweiz.

«Eine zumindest minimale vertraglich abgesicherte technische Zusammenarbeit dürfte daher auch im Interesse der EU liegen», so ein Fazit in der Zusammenfassung der Studie zur Stromzusammenarbeit Schweiz-EU. Denn grössere Netz- und Versorgungssicherheitsprobleme in der Schweiz würden sich auch auf andere Länder in Europa auswirken. (awp/mc/pg)

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