Filmgesetz: Rückfall in die Wegelagerei zur Lösung nicht vorhandener und Schaffung neuer Probleme

Filmgesetz: Rückfall in die Wegelagerei zur Lösung nicht vorhandener und Schaffung neuer Probleme
(Foto: Adobe Stock 243210938)

Das neue Filmgesetz soll der Filmförderung mehr Geld bescheren und dazu Anbieter von Streamingdiensten zwingen, vier Prozent ihres in der Schweiz erwirtschafteten Umsatzes in Schweizer Produktionen zu investieren. Zudem würde den Anbietern eine Quote von 30% europäischer Filme sowie eine prominente Platzierung dieser Filme vorgeschrieben («besonders gekennzeichnet und gut auffindbar»). Die Frage ist nur: Welches Problem soll mit dem neuen Gesetz gelöst werden?

Von Helmuth Fuchs

Neue Gesetze sollten nur erlassen werden, wenn sie ein Problem lösen, das mit bestehenden Gesetzen nicht adressiert werden kann. Oder in den Worten von Charles Baron de Montesquieu: «Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen.»

Gemäss den BefürworterInnen des Gesetzes sollen die folgenden wichtigsten Probleme adressiert werden:

  1. Finanzielle Unterstützung für die Filmindustrie, da sie aus eigener Kraft nicht bestehen kann.
  2. Gleich lange Spiesse für inländische wie ausländische Fernsehsender und Anbieter von Streamingdiensten.
  3. Zugang für Schweizer Filme zu internationalen Plattformen.

Das liebe Geld

Die Schweiz hat, im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staaten, eine sehr gut ausgebaute direkte Filmförderung. Jährlich wird die Schweizer Filmindustrie mit 120-150 Millionen CHF über Direktzahlungen der öffentlichen Hand (Bund, Kantone, Gemeinden: 83 Millionen CHF (2019) und den jährlichen Beiträgen der SRG von über 50 Millionen (rund 32 Millionen Direktzahlungen über den über den «Pacte de l’audiovisuel», den Rest über Auftragsproduktionen und technische Leistungen) gefördert. Damit leistet die Schweiz einen im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hohen Pro-Kopf-Beitrag an seine Filmindustrie.

In Deutschland zum Beispiel lag die staatliche Filmförderung jahrelang knapp unter 100 Mio. EUR und wurde durch zusätzliche Filmförderfonds 2019 auf knapp unter 200 Mio. EUR verdoppelt, im Bundeshaushalt waren direkte Mittel von 36 Mio. EUR vorgesehen (Grafik unten, blauer Balken). Damit liegt die staatliche Filmförderung im Vergleich zur Schweiz um Faktoren tiefer.

Vergleiche mit anderen Staaten sind insofern schwierig, da die Filmförderung in fast jedem Land anders gestaltet ist: Direkte Förderung (Darlehen, Zuschüssen, Subventionen), indirekte Förderung (Steuerzuschüsse oder -Rabatte) und Bereitstellungs- und Übertragungspflichten.

Das neue Gesetz soll über die Zwangsinvestitionen zwischen 18-30 Millionen CHF zusätzlich in die Kasse zur Filmförderung spülen. Ob damit eine bessere Qualität oder mehr Publikumsinteresse verbunden ist, darf bezweifelt werden, da solche Ziele nicht formuliert wurden. Es gibt einfach mehr vom Gleichen mit dem Risiko, dass die so zur Kasse gebetenen Anbieter sich für den Margenerhalt das Geld bei den AbonnentInnen zurückholen oder bei den Kosten einsparen, zum Beispiel über weniger Stellen.

Die heutige finanzielle Ausstattung der Filmindustrie ist grosszügig gestaltet mit der direkten Filmförderung auf allen Stufen plus den zahlreichen privaten Förderangeboten (zum Beispiel Migros). Zusätzlich benötigte Finanzierung ist als Argument für das neue Filmgesetz untauglich. Wenn man die Filmförderung erhöhen will, soll man diese Erhöhung zur Abstimmung bringen und nicht willkürlich private Anbieter, die keinen Auftrag zur Kulturförderung haben, zu Investitionen nötigen.

Der geknickte Spiess

Ein immer wieder ins Feld geführtes Argument ist dasjenige der «gleich langen Spiesse» für inländische wie ausländische Fernsehsender. Gerade der Verband Schweizer Privatfernsehen ist aber gegen das neue Gesetz. Roger Elsener, Präsident des Verbandes Schweizer Privatfernsehen VSPF, nennt die Formulierung der gleich langen Spiesse «zynisch» (Arena, SRF 8. April 2022). Das Filmgesetz habe in der neuen Form drastische Nachteile, da die Privatfernseh-Unternehmen neu eine direkte Geldinvestition in die Filmbranche tätigen müssten und sich als Leistung auch keine Eigenproduktionen mehr anrechnen lassen könnten, wie das heute noch der Fall sei. Also eine signifikante Verschlechterung gegenüber der heutigen Situation.

Wir haben die absurde Situation, dass diejenigen, die von dem neuen Gesetz profitieren sollten, tatsächlich schlechter gestellt würden und deshalb das Gesetz vehement ablehnen.

Eine Gleichstellung mit ausländischen Anbietern, welche keine Abgaben leisten müssen, wäre am einfachsten zu bewerkstelligen, in dem man die inländischen Anbieter ebenfalls von den Abgaben befreien würde.

Quoten und zusätzliche Gelder für Filme, die praktisch niemand sehen möchte

In der Schweiz gibt es mit Play Suisse eine durch Gebührengelder der SRG finanzierte Plattform speziell für Schweizer Produktionen, sozusagen ein Schweizer Netflix. Hier gibt es fast alles, was das Schweizer Filmschaffen (Serien, Dokus, Kinofilme) hergibt.

Erfolgreiche Produktionen wie «der Bestatter», «Neumatt» oder «Wolkenbruch» schaffen es auch ohne das Filmgesetz ins Angebot von Netflix.

Das Problem ist vielmehr, dass die meisten Schweizer Filme trotz Aufnahme in das Kino- und Streaming-Angebot kaum Zuschauer in die Säle oder vor den Bildschirm locken.

Während zum Beispiel in den Schweizer Kinos 2021 13% des Angebotes Schweizer Filmproduktionen waren (292 von 2’255 Filmen), wurden von fast 5.4 Millionen Tickets nur 233’000 für Schweizer Filme verkauft (4.3%). Die Daten finden sich beim Bundesamt für Statistik (BfS).

Noch drastischer sieht es bei den Abonnements der Streamingplattformen aus, die das neue Gesetz zu Abgaben und einem Umbau des Angebotes zwingen will. Hier liegt das Angebot an Schweizer Filmen bei 4.6%, geschaut werden nahezu 0%. Wenn zahlende KundInnen also die Wahlfreiheit haben, machen sie einen grossen Bogen um Schweizer Filme. Es ist daher mitnichten ein Problem des Angebotes, sondern der Nachfrage. Deshalb ist das Gesetz mit den Vorschriften für die Streamingdienste unsinnig, da es den KonsumentInnen etwas aufzwingen will, das diese offensichtlich nicht wollen.

Die Streamingplattformen haben heute schon fast 30% europäische Produktionen im Angebot, wie es im neuen Gesetz gefordert wird und dieses wird zu fast 14% auch genutzt. Auch hier würde das Gesetz also keine Verbesserung für die Schweizer Filme bringen (Datenaufbereitung und weitere Informationen im Artikel der BAZ-Online vom 27.10.2021).

Fakten-Fail des Bundesrates

In seinen Erläuterungen (rote Abstimmungsbroschüre) stellt der Bundesrat in einer von der Redaktion der SRF-Sendung «Arena» als zumindest missverständlich entlarvten Grafik die Situation so dar, als würde praktisch ganz Europa heute schon Abgaben und Förderungsverpflichtungen kennen, wie sie der Bundesrat im neuen Gesetz fordert. Gemäss dem Referendumskomitee, welches deswegen gegen den Bundesrat Beschwerde in vier Kantonen einreichte, hat die überwältigende Mehrheit der Länder in Europa gar keine Investitionspflicht oder aber eine von unter 2 Prozent. Nur gerade Frankreich, Italien und Spanien hätten eine höhere Quote, als es das neue Schweizer Filmgesetz vorsehe.

Alain Berset, der in der Arena von SRF am 8. April zum Filmgesetz sichtlich genervt beim Moderator einen Faktencheck einforderte («Ich hoffe, Sie machen einen Faktencheck, ich habe schon ziemlich viele falsche Sachen gehört») wurde von Adrienne Fichter erhört, wenn auch wahrscheinlich nicht mit dem erhofften Resultat.


Fazit: Unnötig, nutzlos und schädlich

Das neue Filmgesetz löst kein einziges Problem (Filmförderung, Steuern von Streaminganbietern), das nicht besser mit bestehenden Gesetzen oder Mitteln gelöst werden könnte. Es schafft gerade bei denen, welches es unterstützen möchte (private Fernsehanbieter) zusätzliche Probleme und Nachteile. Es benachteiligt vor allem die junge Generation durch Vorschriften und und Eingriffe in deren privat bezahlten Angebote, welche sich dadurch zusätzlich verteuern dürften.

Von zahlreichen Politikerinnen und Befürwortern wird angeführt, dass Netflix und andere amerikanische Anbieter ohne Mehrwert und ohne hier Steuern zu bezahlen einfach Geld aus der Schweiz abziehen würden. Nebst dem anti-amerikanischen und kulturnationalistischen Unterton, der dabei oft mitschwingt, ignoriert diese Argumentation, dass die Nutzung der Dienste freiwillig ist, sich das Angebot an den zahlenden NutzerInnen orientiert und dass zahlreiche erfolgreiche Schweizer Firmen dasselbe Verhalten in vielen anderen Ländern praktizieren. Müssen also in Zukunft Pharma-Unternehmen, derselben Logik folgend, in anderen Ländern ebenfalls 4% des Umsatzes abliefern und dafür sorgen, dass ihren Medikamenten 30% lokale Zutaten beigemischt werden?

Falls PolitikerInnen der Meinung sind, dass die ausländischen Streaminganbieter zu wenig Steuern bezahlen, sollen sie das über die Anpassung von Steuergesetzen regeln und nicht zu Mitteln der Wegelagerei greifen.

Es bleibt nach genauer Betrachtung sämtlicher Aspekte kein einziger guter Grund für die Einführung dieses neuen Gesetzes, das kein dringendes Problem löst, dafür neue Ungleichheiten, Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten schafft.


Bundesgesetz über Filmproduktion und Filmkultur (Filmgesetz, FiG

Bundesamt für Statistik: Öffentliche Kulturfinanzierung
Subventionen und sonstige Filmförderung in der Schweiz
Zusatzbericht WBK-N Filmgesetzrevision
Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag: Filmförderung in Deutschland und international

Bund: Änderung des Filmgesetzes
Webseite Ja zum Filmgesetz
Webseite Nein zum Filmgesetz

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