Meret Schneider: Glanz, Gloria und das Fundament der Demokratie

Ich gebe zu, ich habe ein bisschen Angst vor der Halbierungsinitiative. Diese will, wir haben es alle des Langen und Breiten mitbekommen, die Rundfunkgebühren von 335 auf 200 Franken kürzen mit dem ursprünglich vorgeschobenen Ziel, die Haushaltsbudgets der Bürgerinnen und Bürger zu entlasten.
Vorgeschoben deshalb, weil selbst Thomas Matter, Nationalrat SVP, mittlerweile konstatiert, es sei ihm selbstverständlich nicht nur um die Radio- und Fernsehgebühren gegangen. Vor allem wolle er mit der Halbierungsinitiative auch die tendenziöse Berichterstattung stoppen. Und auch Nationalrätin Céline Amaudruz (SVP) polemisiert mit den Worten: “Würden wir alle so denken, handeln und abstimmen, wie die SRG uns lenkt, wären wir alle proeuropäisch, sozialistisch und unkritisch gegenüber Bundesbern.”
Aus den Reihen der SVP sind diese Zitate wenig überraschend, reihen sie sich doch ein in die gesamteuropäische Bewegung der rechtspopulistischen Parteien, die den öffentlich-rechtlichen Medien mit gezielter Diffamierung und Desinformation erst Glaubwürdigkeit und dann finanzielle Mittel entziehen wollen. Wortmeldungen der SVP sind teilweise geradezu Paraphrasen ihrer Gesinnungskollegen in Österreich und Deutschland, namentlich Kickl, Höcke, Weidel, die einen vergleichbaren Kreuzzug gegen die öffentlichen-rechtlichen Medien fahren.
Untersuchungen zeigen, dass die SRG maximal ausgewogen Bericht erstattet, in Talkshows stets beide Positionen einlädt und sogar die Redeminuten gezählt werden. Ausserdem kann Unausgewogenheit und andere Kritik bei der Ombudsstelle beanstandet und es können Gegendarstellungen verlangt werden. Faktenbasierter und neutraler kann man kaum Bericht erstatten und auch die Beanstandungen zeigen, dass durchaus auch viel Kritik von links eingeht – ein gutes Zeichen für die Ausgewogenheit, wenn sich sowohl links als auch rechts benachteiligt fühlen.
Meine Sorge bezüglich der Initiative sind jedoch nicht die Rechtspopulisten, die wie Salzsäure im Fundament der Demokratie den Boden einer gemeinsamen, faktenbasierten Realität langsam aber stetig zersetzen wollen. Meine Sorge gilt der SRG selbst, die mit den kürzlich getätigten, vermeintlich strategischen Schritten gegen die Halbierungsinitiative zunehmend auch Zustimmung von links verliert. Da sind die Sparmassnahmen von 270 Millionen, d.h. 1000 Vollzeitstellen bis 2029. Das scheinbar konzeptlose Wegstreichen beliebter Formate wie Gesichter und Geschichten (ehem. Glanz und Gloria). Oder der Schulterschluss zwischen den Privaten und der SRG, im Zuge dessen sich die SRG verpflichtet hat, Online-Aktivitäten künftig zu reduzieren, was in Anbetracht der Entwicklung geradezu anachronistisch anmutet.
Und so sehr ich mit diesen Entwicklungen nicht einverstanden bin, so sehr rufe ich alle Demokraten und Demokratinnen dazu auf, nicht aus Frust der Initiative zuzustimmen und der SRG einen Denkzettel zu verpassen. Für einen Denkzettel ist diese Initiative einfach zu gefährlich und das Fundament der Demokratie zu fragil. Eine Korrektur der Entwicklungen der SRG, eine Anpassung des Auftrags oder eine offene Kritik an Sparmassnahmen und Personalkürzungen können in anderem Rahmen problemlos erfolgen. Eine schlichte Finanzmittelkürzung mit der Musk’schen Kettensäge ist jedoch brandgefährlich für den Zusammenhalt und die gemeinsame Identität einer Gesellschaft.
Das gilt insbesondere heute in Zeiten, in denen die Medienvielfalt schrumpft und sich Desinformation ausbreitet. Die öffentlich-rechtlichen Medien bilden hier ein Gegengewicht. In Ländern, in denen sie stark sind, sind die Menschen besser informiert und die politische Debatte pluralistischer, besagt eine Studie des Reuters-Institut für Journalismus-Studien der Universität Oxford. Und politische Teilhabe, eine gemeinsame Faktenbasis und der Zusammenhalt der Bevölkerung sind in diesen Zeiten so wichtig wie nie.
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