Steuerstreit: Presse beurteilt Lösung kontrovers

Steuerstreit: Presse beurteilt Lösung kontrovers

Bern – In ihren Kommentaren beurteilen die Schweizer Zeitungen die sich abzeichnende Lösung des Steuerstreits mit den USA äusserst gegensätzlich. Einigkeit herrscht praktisch nur darüber, dass die USA den Rahmen für das von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf präsentierte Gesetz abgesteckt haben.

So schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» von einem «Marschbefehl aus Washington», der «Blick» bezeichnet den Druck aus den USA als «unschön» und die «Basler Zeitung» will, dass mindestens garantiert wird, dass «die Erpresser in Washington» für immer von der Schweiz ablassen.

«Schande» oder «Deal für das Volk»?
Für die Basler Tageszeitung ist die Vereinbarung denn auch ein «Blankoscheck für die Amerikaner» und schlicht eine «Schande». Der «Blick» dagegen sieht in der Abmachung mit den USA einen «Deal für das Volk».

Für den Kommentator der «Nordwestschweiz» («Aargauer Zeitung») und der «Südostschweiz» ist Widerstand gegen die Vereinbarung ohnehin zwecklos, weshalb das Parlament das Geschäft «abnicken statt abwinken» müsse. Aus ähnlicher Überlegung wird im «Tages-Anzeiger» gefordert, dass wenn der Bundesrat glaube, im Interesse des Landes nachgeben zu müssen, er dies auch «in eigener Regie tun und die Verantwortung dafür übernehmen» solle.

Romands sind skeptisch
In der Westschweizer Presse wird die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung fast ausschliesslich skeptisch beurteilt. Die Zeitungen kritisieren vor allem das US-Diktat und die Unklarheiten der Vereinbarung. So schreibt «Le Temps»: «Was Washington will, bekommt es auch.» Nach Angaben der Zeitung «kann man nicht von einer Einigung sprechen, weil es keine Garantie vonseiten der Vereinigten Staaten gibt». Der Wirtschaftstitel «L’Agefi» teilt diese Ansicht und unterstreicht, dass weder ein Rahmen noch eine Garantie gegeben sei. «Das scheint ein bisschen wenig zu sein.»

«Es ist eine Leichtigkeit, so zu verhandeln, wie dies der Bund mit den USA gemacht hat: Er setzt ein einseitiges Programm der Amerikaner nach US-Recht um», heisst es im Editorial von «L’Agefi» weiter.

«Was hat Widmer-Schlumpf erreicht? Nichts.»
Schlussendlich stünden alle gut da, fasst «Le Temps» zusammen. «Der Bundesrat rettet das Bankgeheimnis durch den Erlass eines neuen Gesetzes, schützt aber die Banken nicht vor den – für viele unhaltbaren – Folgen. Die Banken ihrerseits behalten das Recht, nicht automatisch alle Kundendaten ausliefern zu müssen.» Die «Tribune de Genève» geht hart mit der Finanzministerin ins Gericht. Gemäss der Zeitung gewinnt Washington auf der ganzen Linie: «Was hat Widmer-Schlumpf erreicht? Nichts.»

Statt einer Einigung schlage der Bundesrat ein neues Gesetz vor, das nur ein Ziel habe: «die Banken zu ermächtigen, den Amerikanern die von ihnen gewünschten Informationen zu liefern».

Nachfolgend Ausschnitte der Kommentare in der Schweizer Presse im Originalwortlaut:

«Tages-Anzeiger»: «Was Bundesrätin Eveline Widmer- Schlumpf gestern als Lösung im Steuerstreit mit den USA präsentierte, hat die schlimmsten Befürchtungen übertroffen. (…) Der Fall scheint klar: Wer auf dieses Programm einsteigt, muss alles schlucken, sonst wird er angeklagt. Eine Bank, die nicht mitmacht, riskiert wohl dasselbe. Das Einzige, was man weiss, ist: Der Deal beruht auf Erpressung. Das schreibt der Bundesrat in der Botschaft zum Bundesgesetz unverblümt.»

«Neue Zürcher Zeitung»: «Man kann es drehen und wenden, wie man will: Was der Bundesrat dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet, ist ein Marschbefehl aus Washington. Zwar ist es ehrbar, dass die Schweizer Regierung versucht, im Steuerstreit mit den USA wenigstens den Schaden zu begrenzen. Dass aber die Eidgenössischen Räte in Windeseile eine Katze im Sack kaufen sollen, ist nicht einzusehen.»

«Der Bund»: «Der Bundesrat hatte keine andere Wahl, als zu unterschreiben. (…) Man kann jetzt empört sein: Faktisch setzt der Bundesrat unter Druck der Amerikaner bisheriges Schweizer Recht ausser Kraft – wenn auch per Gesetz. Dass die eidgenössischen Räte dazu im Schnellverfahren Ja sagen sollen, ohne alle Details zu kennen, ist ebenfalls beispiellos. Doch am Verhandlungstisch sassen nicht zwei gleich Starke. (…) Dass nun ausgerechnet die SP findet, die Politik dürfe den Banken diesmal nicht helfen, ist unverständlich.»

«Basler Zeitung»: «Selten ging es in unserem Land so dringlich zu und her – man könnte meinen, es drohte ein Krieg. Doch selbst im September 1939 nahm man sich mehr Zeit. Ist es Raffinesse oder ist es Angst? Wahrscheinlich das zweite. Eveline Widmer-Schlumpf ist so sehr um Eile bemüht, weil sie durchkreuzen möchte, dass den Schweizern allzu klar wird, wie schändlich, wie demütigend, wie miserabel das Verhandlungsergebnis ist, das unsere Unterhändler erzielt haben.»

«Blick»: «Der Deal von Eveline Widmer-Schlumpf ist gut. Auch wenn das Gegenteil behauptet wird. Auch wenn sie seit Tagen unter Druck gesetzt wird. Auch wenn es heisst, sie sei zur Totengräberin des Bankgeheimnisses geworden. (…) Der Steuerzahler muss nicht wie bei der UBS für die Fehler der Banken in die Tasche greifen. Der Staat wird nicht zur Kasse gebeten.»

«Nordwestschweiz» («Aargauer Zeitung») und «Südostschweiz»: «So unappetitlich die Suppe ist: Das Parlament muss sie auslöffeln. Die Bösen sind nicht einfach die Amerikaner. Das Debakel haben die Banken verursacht. Und die Politik hat diese lange gedeckt. Mitgegangen, mitgefangen. Hässlich, aber wahr.»

«St. Galler Tagblatt»: «Dass die USA keine Rücksicht auf den Kleinstaat Schweiz nehmen, weiss man längst. (…) Der Deal, der alles lösen soll, wird von A bis Z von Washington diktiert. Und das Parlament soll das Paket absegnen, die Details werden aber erst nachher bekanntgegeben. Das ist nicht nur demokratiepolitisch fragwürdig, sondern auch höchst unseriös. (…) Die Schweiz wird diesen Sturm überstehen. Aber anschliessend würde sie gut daran tun, das Schwarzgeld-Debakel innenpolitisch grundlegend aufzuarbeiten.»

«Der Landbote»: «Um es deutsch und deutlich zu sagen: Hätte die Einigung zwischen der Schweiz und den USA einen Vertrag hervorgebracht, man müsste von einem Kolonialvertrag sprechen. Das US-Gesetz wird durchgesetzt, das schweizerische angepasst. (…) Schlussendlich wird trotzdem kaum viel anderes übrig bleiben, als dem Deal zuzustimmen. (…) Und wären die Banken nicht extrem dumm und zugleich skrupellos vorgegangen, die USA würden die Schweiz nun nicht dermassen drangsalieren.»

US-Reaktionen: «Das Bankgeheimnis ist vorbei»
In den USA wird die Schweizer Gesetzesvorlage zur Lösung des Steuerstreits von Experten als Ende des Bankgeheimnisses gesehen. Auch in den Medien wird diese Sicht geteilt. Die New York Times bezeichnete die Vorlage als «Wendepunkt im zuvor eskalierenden Konflikt zwischen der Schweiz und den USA», der Fernsehsender CNN titelte am Mittwoch: «Die Schweiz lüftet das Bankgeheimnis».

«Diese Lösung ermöglicht es Banken, dem US-Justizdepartement Informationen zu geben, die als Grundlage für einen Vergleich dienen können», sagte der Steueranwalt Scott Michel der Kanzlei Caplin & Drysdale in Washington. «Dabei werden die Banken ohne Zweifel zur Kasse gebeten.» Amerikanische Steuerzahler, die ihre Schweizer Konten gegenüber der Steuerbehörde IRS immer noch nicht offengelegt hätten, spielten nun «Russisch Roulette», sagte Michel der Nachrichtenagentur sda.

Auch Asher Rubinstein, ein Steueranwalt in New York, der US-Kunden mit Schweizer Konten berät, ist überzeugt, dass das Bankgeheimnis vorbei ist. «Die Auflösung des Bankgeimnisses ist nicht neu, sie läuft seit fünf Jahren», sagte Rubinstein der sda am Mittwoch in New York. (awp/mc/pg)

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