Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Im Westen nichts Neues

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Im Westen nichts Neues
Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: zvg)

Seit weit über einer Woche herrscht nun schon Krieg in Europa. Was alle westeuropäischen Länder kategorisch monatelang ausgeschlossen hatten, ist Realität geworden. Der Konflikt ist eskaliert, die Diplomatie hat versagt. Noch bis zuletzt glaubte der Westen, Putin einschätzen, ihn gar berechnen zu können. Ein fataler Irrtum, wie sich nun herausstellt. Doch jetzt scheint sich etwas zu tun im Westen, nach schier ewig anmutenden Anlaufschwierigkeiten. Wie immer stand und steht auf der politischen Agenda die moralische Verurteilung des Bösen zuoberst.

Empörung wich aber diesmal der Ohnmacht und das Handeln begann. Zaghaft, sehr zaghaft zwar, aber immerhin entschied exemplarisch Deutschland, sich nicht weiter zu blamieren und den Ukrainern nicht nur Helme zu schicken, sondern Waffen. Inzwischen sollen 2’700 Flugabwehrraketen des Typs «Strela» aus Beständen der NVA (Nationale Volksarmee der ehemaligen DDR) an die Ukraine gehen. Darüber, wie gut die noch zu gebrauchen sind, streiten sich die Geister. Zudem liefert Deutschland 1’000 Panzerabwehrwaffen und 500 Boden-Luft-Raketen aus Beständen der Bundeswehr. Die USA schleusen ebenso beträchtliche Mengen Panzerabwehrwaffen und Boden-Luftraketen in die Ukraine. Selbst neutrale Länder wie Schweden oder Finnland liefern Waffen. Man kann also schon von Taten statt Worten sprechen. Nur wird dies kaum etwas an der russischen Übermacht ändern, solange Russland noch über die Lufthoheit verfügt. Und vor einer Sperrung des ukrainischen Luftraums dürfte der Westen wohl absehen, denn dies wäre eine direkte militärische Intervention mit unabsehbaren und wohl ungeheuren Folgen. Doch bin ich ein militärstrategischer Laie und überlasse diese Diskussion gern den vielen Experten, die nun laufend zu Wort kommen.

Die zweite Waffe, die der Westen verschärft gegen Putin einsetzt, sind Wirtschaftssanktionen. Es dauerte eine Weile, aber nun ist die SWIFT-Diskussion beendet und zahlreiche russische Banken sind vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Parallel brachen namhafte Weltkonzerne ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Russland ab, bzw. setzten sie aus. Visa, Mastercard, Apple, Ikea etwa, um nur einige von ihnen zu nennen. Russische Oligarchen haben zudem einen schweren Stand. Ihre Vermögen werden eingefroren, ihre Luxusjachten beschlagnahmt. Das tut richtig weh und US-Präsident Biden hat nun zudem ein Verbot für russische Ölimporte ausgesprochen. Russlands Ertragsbilanzüberschuss ist namentlich den Öl- oder Gasexporten geschuldet. Die Logik, wonach diese auch den Krieg finanzieren, ist naheliegend, doch darin liegt auch die Krux des Westens. Europa ist auf russisches Öl und Gas angewiesen – und wie. Darum ist man dort auch äusserst zaghaft, wenn es um die Einfrierung von entsprechenden Exporten geht.

All die Menschen die heute auf «Wir sind Ukraine» machen und dafür auf die Strasse gehen, müssten sich fragen, ob sie bereit wären für die Ukrainer zu frieren. Noch schäbiger wird es, wenn es dann plötzlich die OPEC rausreissen soll und sogar erwogen wird, dem Iran wieder Erdölexporte zu ermöglichen. Lieber mehr Öl aus dem Iran oder Katar? Oder gar Venezuela? Wie sieht es denn da aus mit den moralischen Grundsätzen des Westens? Und wie steht es mit der Umwelt? Alles sekundär, nun gilt es einzig, die Bürger bei Laune zu halten, sie vor überhöhten Spritpreisen zu schützen und dafür selbst Klimaziele über Bord zu werfen. Mobilität geht der Moral vor. Dafür werden die Europäer auf Staatseinnahmen verzichten, die ihnen die Mineralölsteuer generiert. Dazu werden sie aufrüsten. 100 Milliarden Euro Sondervermögen – heisst das jetzt neudeutsch – mobilisiert allein Deutschland für sein Verteidigungsbudget, nachdem es seine Armee jahrzehntelang heruntergewirtschaftet hat. Man beachte den Begriff «Vermögen». Es geht hier um Schulden und bei der Entlastung der Autofahrer und Energieverschwender um entgangene Steuereinnahmen, die die übers Dach verschuldeten EU-Staaten dringend nötig hätten. Gürtel enger schnallen? Nix da! Das machen schon die Ukrainer. Bei uns geht es um Entlastung der Bürger, welche unter den davon galoppierenden Preisen schon genug leiden. Nix Neues also aus dem Westen. Immer schön Schulden machen und so das Volk bei Laune halten. Und die Umwelt kann warten. (Raiffeisen/mc/ps)

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