Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Inszenierter Generationenkonflikt

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Inszenierter Generationenkonflikt
Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. (Bild: Raiffeisen)

In der Schweiz ist Wohnraum bekanntlich knapp. Mietwohnungen sind vielerorts rar, Wohneigentum für die breite Bevölkerung kaum mehr erschwinglich. Vor diesem Hintergrund wäre eine sachliche, faktenbasierte Diskussion notwendig – über Anreize für effizientere Wohnraumnutzung, über den Bau neuer Wohnungen, über nachhaltige Stadtplanung und zielgerichtete politische Rahmenbedingungen. Stattdessen setzen gewisse Medien auf ein anderes Rezept: Sie provozieren gezielt Neid und Missgunst zwischen Jung und Alt, indem sie den Wohnungsmangel als angeblichen Generationenkonflikt inszenieren.

von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen

Jüngstes Beispiel
Vergangene Woche haben wir unsere Immobilienstudie vom dritten Quartal veröffentlicht, in der wir die These einer bevorstehenden, demografisch bedingten Verkaufswelle beim Wohneigentum entkräftet haben. Wir konnten belegen, dass die überwiegende Mehrheit der Wohneigentümer aufgrund äusserst hoher Zufriedenheit bis ans Lebensende in ihrem Eigenheim bleibt und eben nicht verkauft. Die jüngere Generation war nicht Gegenstand unserer Analyse. Einige Medien konnten es aber nicht lassen, aus dem nachvollziehbaren Verhalten der Senioren einen moralischen Vorwurf zu konstruieren: Die ältere Generation beanspruche zu viel Wohnraum, die jüngere gehe leer aus. Solche Vereinfachungen sind nicht nur unredlich, sondern auch gesellschaftlich gefährlich.

Verantwortung der Medien
Medien sind in einer demokratischen Gesellschaft weit mehr als blosse Informationslieferanten. Sie gelten als «vierte Gewalt» – neben Legislative, Exekutive und Judikative – und tragen die Verantwortung, faktenbasiert, einordnend und aufklärend zu berichten. Sie sollen Missstände benennen, Macht kritisch hinterfragen und Debatten anregen, ohne Ressentiments zu befeuern. Wenn aber Titelbilder mit Schlagzeilen wie «Senioren zerstören Wohnträume der Jungen» oder «Junge Familien gehen leer aus» versehen werden, verraten Medien diesen Auftrag. Statt das Problem in seiner ganzen Komplexität darzustellen, wird es auf einen künstlichen Gegensatz reduziert.

Warum setzen Medien auf solche Spaltungen?
Die Gründe liegen auf der Hand: Aufmerksamkeit ist heute die härteste Währung. In einer digitalen Medienwelt, in der Klickzahlen über Werbeeinnahmen und damit über das wirtschaftliche Überleben vieler Verlagshäuser entscheiden, wird zugespitzte Emotionalisierung zum Geschäftsmodell. Konflikte verkaufen sich besser als differenzierte Analysen. Wer Wut schürt, erzeugt Kommentare, Reichweite und Diskussionen – oft unabhängig von der inhaltlichen Substanz. Dazu kommt ein Mechanismus, den die Sozialpsychologie seit Langem kennt: Menschen reagieren stärker auf negative als auf positive Nachrichten. «Empörung klickt» – manche Redaktionen haben sich dieser zynischen Logik verschrieben. Doch was kurzfristig Quoten sichert, zerstört langfristig das Vertrauen in die Medien als Institution und schwächt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Gesellschaftliche Spaltung als Sackgasse
Indem Medien Generationen gegeneinander ausspielen, verschleiern sie die eigentlichen Ursachen. Statt älteren Menschen die Schuld am Wohnungsmangel zuzuschieben, wäre es Aufgabe der Medien, politische Lösungsansätze aufzuzeigen. Etwa die Beseitigung von Fehlanreizen, die Eindämmung von Einsprachen, einfachere Bewilligungsverfahren, steuerliche Anreize für Umzüge oder den Abbau regulatorischer Hürden beim Wohnungsbau. Mit anderen Worten wird das Problem nur personalisiert, aber nicht gelöst. Die Folge ist ein vergiftetes gesellschaftliches Klima, in dem sich Bevölkerungsgruppen misstrauisch gegenüberstehen – während die strukturellen Probleme unangetastet bleiben.

Lösungen gefragt – nicht Sündenböcke
Wer gesellschaftliche Missstände wie die Wohnungsnot missbraucht, um Ressentiments zu schüren, handelt verantwortungslos. Medien, die sich auf das billige Geschäft der Neidprovokation einlassen, verfehlen ihren Auftrag als vierte Instanz der Demokratie. Sie säen Zwietracht, statt Orientierung zu geben. Die Schweiz braucht einen konstruktiven Dialog – nicht spaltende Schlagzeilen. Denn eine Gesellschaft, die sich im künstlich heraufbeschworenen Generationenkonflikt zerreibt, verliert die Kraft, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Und Lösungen, nicht Sündenböcke, sind das, was wir im Wohnungsmarkt dringend brauchen. (Raiffeisen/mc)

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