Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Kater im Januarloch

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Kater im Januarloch
Martin Neff, ehemaliger Raiffeisen-Chefökonom. (Foto: zvg)

Die Börsianer haben sich den Jahresstart sicher etwas anders vorgestellt. Der Januar machte bisher nun all denen einen Strich durch die Rechnung, die glaubten sich an der Börse in einer Einbahnstrasse zu bewegen, die nur eine Richtung kennt, namentlich aufwärts. Man kann nur hoffen, dass der sogenannte Januareffekt im laufenden Jahr nicht zutrifft. Der geht davon aus, dass Aktien im ersten Monat des Kalenderjahres oft besser abschneiden als in den restlichen Monaten des Jahres.

Wobei dieser Effekt einer empirischen Überprüfung nicht standhält; aber Empirie ist das eine, Psychologie indes etwas anderes und aktuell spielt die Psychologie wohl die dominante Rolle.

Aktuell ist es in den USA vor allem die Angst vor einem Wegfall des geldpolitischen Beistands, die für Nervosität sorgt. Trotz schon länger aus dem Ruder gelaufener Inflation, gaben sich die US-Anleger ziemlich gelassen diesbezüglich. Schliesslich war die US-Notenbank lauthals willens, vorübergehend etwas höhere Inflationsraten zu tolerieren. Doch mittlerweile geht es nicht nur um das immens gestiegene Niveau der Verbraucherpreise, auf ein Niveau notabene, mit dem vor 12 Monaten kein Marktteilnehmer auch nur annähernd gerechnet hatte. Nun ist vor allem die Dauer des Anstiegs nicht mehr im entspannten Bereich für die Märkte.

Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Notenbank die Inflation falsch einschätzt. Faktisch war dies die letzten Jahre eigentlich stets der Fall und drum fragt sich nun der eine oder andere Marktteilnehmer, was passieren könnte, wenn die US-Notenbank nun doch zum Schluss gelangt, dass sie hinter den Marktgeschehnissen herhinkt. Bei 5 % Inflation nichts zu tun und auf baldige Entspannung zu setzen, war schon heftig genug, aber selbst bei 7 %, der Jahresrate für die US-Verbraucherpreise im Dezember, auf cool zu machen, scheint denn übertrieben.

Und just übertreffen sich nun die einen oder anderen Prognostiker. Namhafte US-Banken rechnen sogar mit einem Tempo von Zinserhöhungen, das dem Markt den Atem verschlägt, was gerade der Fall ist. War man ursprünglich davon ausgegangen, dass es mit zwei Zinserhöhungen in der zweiten Jahreshälfte gelaufen sein dürfte, stellen sich nun viele auf einen anderen Standpunkt und rechnen erstens mit weitaus mehr Zinserhöhungen und zweitens sogar mit grösseren Zinsschritten, will heissen 50 Basispunkte anstatt der homöopathischen und konventionellen 25 Basispunkten.

Auch was die Bewertungen betrifft, macht sich der eine oder andere Investor nun so seine Gedanken. Denn günstig sind Aktien schon länger nicht mehr und dass ausgerechnet die Technologiewerte arg unter die Räder gerieten, ist deshalb kein Wunder. Die Fantasie der Finanzmärkte war zu lange und zu stark fokussiert darauf, dass jeglicher Unbill nur auf Sondereffekte oder vorübergehenden Phänomenen beruht. Hier scheint ein Umdenken stattgefunden zu haben. Die Sensibilität auch gegenüber Makrodaten hat zugenommen und die globalen Unruheherde werden ein Quäntchen ernster genommen als auch schon.

Dazu gesellt sich Omikron, nicht so gefährlich wie die Delta-Variante des Coronavirus, dafür aber ziemlich hartnäckig. Lockdowns sind zwar weniger ein Thema, dafür aber Liefer- bzw. Versorgungsengpässe. Sollte China etwa seine Null-Covid-Politik fortzusetzen gedenken, machen sich die Börsianer um deren Folgen ernsthafte Sorgen. Denn dann könnte die internationale Wertschöpfungskette erneut einen Knick erleiden, was wiederum für Aufwärtstrieb bei den Produzentenpreisen führen und die Inflationsdiskussion weiter beflügeln könnte.

Und dann wäre da noch das Säbelrasseln um die Ukraine und das grosse Fragezeichen hinter Wladimir Putin. Auch wenn die Märkte sich in der Regel nicht um politische Themen kümmern, löst das Wort Krieg, das mittlerweile bei den Diskussionen um Putins Agenda mitschwingt, auch bei den Börsianern Unwohlsein aus. Diesen gesamten Cocktail gilt es erst einmal zu verdauen, nachdem schon der Rutsch ins neue Jahr ein ausserordentlich feucht fröhlicher Anlass war – schliesslich gab es eine sensationelle Jahresperformance zu begiessen. In einem Jahr, in dem Partys eigentlich verboten waren, zelebrierte die Börse eine nach der anderen. Nun scheint vorerst Schluss damit. Nun dominiert der Kater. Mal sehen, ob der so rasch verfliegt, wie er gekommen ist. Ich hab da so meine Zweifel. (Raiffeisen/mc)

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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