Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wohnungsknappheit dominiert Inflation

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wohnungsknappheit dominiert Inflation
Martin Neff, ehemaliger Raiffeisen-Chefökonom. (Foto: zvg)

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

Ein Gespenst geht um und das heisst Inflation. Jahrelang totgesagt schlägt sie nun umso wuchtiger auf die verwöhnten Volkswirtschaften ein. In Europa und den USA ist das Ausmass der Preissteigerungen schwindelerregend und von überall her kommen Nachrichten von Preisaufschlägen jeder Art. Ob bei Lebensmitteln oder Bekleidung, Unterhaltungselektronik oder Möbeln oder Kaffee. Die Unternehmen sind bedacht die gestiegenen Vorleistungskosten zu überwälzen und versuchen, ihre Margen anzupassen.

Noch arbeiten viele alte Aufträge ab. Die neuen Lieferungen werden aber sicher eins sein: teurer als heute. Was geschieht schliesslich mit den Löhnen? Werden die Gewerkschaften den Kaufkraftverlust nicht auch in Europa einfordern und löst das vielleicht die berühmte Lohn-Preis-Spirale aus, die so Gift wäre für den Versuch, die Inflation im kommenden Jahr wenigstens wieder näher an die Toleranzschwelle zu bewegen. In den USA galoppieren die Löhne jedenfalls schon gehörig davon. Doch Europa beschäftigt sich hauptsächlich mit seinem Energieengpass und hängt am Tropf von Putin, der indes schon mehrfach gezeigt hat, wie unzuverlässig er tatsächlich ist.

Einher mit der gestiegenen Teuerung mehren sich die Zeichen, dass die Konjunktur auch kräftig an Fahrt verlieren könnte – kräftiger als dies bisher von den Marktteilnehmern antizipiert und in den aktuellen Bewertungen abgebildet ist. In den USA ist der Zyklus sehr reif, in Europa bremst der Energiepreisschub. Vielleicht müssen wir tatsächlich bald von Rezession sprechen oder gelingt doch noch die sanfte Landung, ohne dass es zu einem grösseren Einbruch kommt? Und da wäre ja auch noch Corona. Was wenn auch die Pandemie wieder zum Problem würde?

Es kommt einem so vor, als hänge die Konjunktur an einem seidenen Faden, der jederzeit reissen könnte. In einem solchen Umfeld Prognosen abzugeben, ist in der Tat nicht einfach. Wenn man die laufenden Aufwärtsrevisionen des Inflationsbildes und Abwärtsrevisionen des Wirtschaftswachstums während des Jahres betrachtet, wird klar: Alle, die im Prognosegeschäft tätig sind, lagen schwer daneben.

Eins lässt sich aber mit Gewissheit sagen. Die Schweiz wird egal was kommt als relative Siegerin dastehen. Im Falle einer sanften Landung wäre der Wachstumsrückgang wohl moderat und weniger ausgeprägt als im Ausland. Sollte die Konjunktur gar allen Unkenrufen zum Trotz nochmal richtig Fahrt zulegen, würde die Schweiz wohl überdurchschnittlich davon profitieren. Auch die Inflation bleibt hierzulande in ganz anderen Grössenordnungen als in Europa oder den USA, was auch mit der starken Währung zu tun hat, welche unsere Importrechnung etwas vergünstigt. Man kann also getrost zuversichtlich sein in der Schweiz, im schlimmsten Fall mal wieder mit einem blauen Auge davonzukommen.

Die Schweizerische Nationalbank wird schon bald das klägliche Negativzinsregime aufheben und sogar am langen Ende der heimischen Zinskurve springt wieder etwas Rendite raus. Wir rechnen zwar nicht mehr mit einem Überschiessen der 10-jährigen Renditen, wie wir es mit dem Anstieg auf 1.4 % erlebt haben, aber mit einer 1 vor dem Komma in jedem Fall. Das würde heissen, dass sich zehnjährige Festhypotheken bei etwa 2 – 2.5 % einpendeln dürften. Der Immobilienmarkt wird in diesem Umfeld relativ an Attraktivität einbüssen, aber er wird auch keinen Crash erleben, schon gar nicht der Markt für selbstgenutztes Wohnen. Im Gegenteil, dieser Markt spielt derzeit verrückt und treibt die Preise in nie gesehene Grössenordnungen. Die Knappheit im Wohnungsmarkt ist das grösste Problem der Schweiz, nicht die Konjunktur und auch nicht die Inflation. (Raiffeisen/mc/ps)

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