Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wozu Chefökonomen?

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wozu Chefökonomen?
Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. (Bild: Raiffeisen)

Ich habe mich entschieden, diese von Martin Neff ins Leben gerufene Kolumne des Raiffeisen Chefökonomen weiterzuführen. Zum einen, um damit Ihren Trennungsschmerz etwas zu lindern, ganz im Wissen, dass das ein schwieriges Unterfangen ist. Zum anderen, weil ich überzeugt bin, dass es die Stimme des Chefökonomen – und zwar nicht nur die meine – unbedingt braucht. Und das aus vielerlei Gründen.

von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen

Die Wirtschaft bestimmt unser Leben wie kaum etwas anderes. Das Verständnis ökonomischer Wirkungsmechanismen hilft, sich anbahnende Entwicklungen früher zu erkennen oder bessere Entscheidungen zu treffen – auch im eigenen Leben. Die Ökonomie fragt dabei nicht nach, ob wir mit deren Resultaten einverstanden sind. Als Gesellschaft haben wir jedoch die Möglichkeit, Eingriffe vorzunehmen. Das ist gut so, nur sollten wir verstehen, wo wir in das Räderwerk eingreifen, damit wir letztlich nicht von den Resultaten überrascht und enttäuscht werden. Leider bereitet uns die Volksschule kaum auf die von ökonomischen Kräften durchdrungene Welt vor.

Meine beiden Töchter besuchen seit acht Jahren die Schule und sind bisher noch nicht in Kontakt mit Wirtschafts- oder Finanzthemen gekommen. Unter Wirtschaft versteht die Volksschule noch immer nur Hauswirtschaft. Kochen und Nähen sind zwar auch hilfreiche Fertigkeiten, aber damit wird man sich in der Finanzwelt nicht durchsetzen können. Es ist daher eine der Aufgaben der (Chef-)Ökonomen, solches Wissen zu verbreiten und das Wirtschaftsgeschehen auch für Laien verständlich zu übersetzen. Seit ich lesen kann, hat mich die Wirtschaftswelt in ihren Bann gezogen und ich habe die Neuigkeiten aus aller Welt regelrecht aufgesogen. Der Wille zu verstehen, wie unsere Welt funktioniert, ist bis heute der Motor für meine Neugierde geblieben. Ökonomische Gesetzmässigkeiten können zwar bei weitem nicht alles erklären, erweisen sich aber gemäss meiner Erfahrung als eine sehr taugliche Disziplin, um vieles verständlich und nachvollziehbar zu machen. Doch Vertreter von ökonomischen und marktwirtschaftlichen Prinzipien sehen sich seit längerem in der Defensive.

Wir verdanken der freien Marktwirtschaft unseren Wohlstand. Das geht gerne vergessen und rasch ertönt jeweils der Ruf nach dem Staat, um ein vermeintliches Marktversagen zu beheben. Dabei resultiert das Versagen oft daher, dass die Marktkräfte zu stark oder falsch reguliert wurden und Gedanken über die Folgen der Eingriffe sträflich vernachlässigt wurden. Mag sein, dass das atemberaubende Tempo des heutigen Wandels uns zuweilen zu überfordern scheint und dadurch Unsicherheit entsteht.

Die Problemlösung dem Staat zu delegieren, scheint insofern bequem. Entsprechend geht heute der Trend in Richtung einer protektionistischen, hoch-subventionierten und von Ideologie durchzogenen Wirtschaft. Dieser Trend ist auch in der Schweiz zu erkennen. Dabei haben gerade die jüngsten Krisen aufzeigen können, dass freie, offene Märkte am besten in der Lage sind, mit Herausforderungen umzugehen. In Rekordtempo wurde in der westlichen Marktwirtschaft ein potenter Impfstoff gegen Corona entwickelt, standen nach anfänglichen Engpässen rasch Masken zur Verfügung und wurden Schnelltests entworfen, die mithalfen, die Krise zu bewältigen. Auch von Lieferengpässen ist keine Rede mehr. Welch ein Unterschied etwa zum stark regulierten heimischen Wohnungsmarkt, wo auch nach Jahren wachsender Knappheit, eine Lösung der Engpässe noch nicht einmal ansatzweise in Sicht ist.

Immer wieder auf evidenzbasierte Zusammenhänge hinzuweisen, die helfen, Lösungen zu finden, und in unserer schnelllebigen Welt an die Lehren aus der Vergangenheit zu erinnern, dazu braucht es unter anderem Chefökonomen. Klar, werden Sie entgegnen, ein Chefökonom wird kaum sagen, dass es ihn nicht braucht. Das ist richtig und trifft einen entscheidenden Punkt. Überall treten Partikularinteressen auf. Viele Akteure schieben hehre Absichten vor, haben bei hellem Licht betrachtet aber nur ihr eigenes Fortkommen im Sinn. Die Unverfrorenheit, wie heute nur behelfsmässig maskierte Eigeninteressen verfolgt und Unwahrheiten verbreitet werden, macht mich zuweilen sprachlos.

Zu oft fallen wir als Marktteilnehmer aber noch darauf herein, weil es an Transparenz über die wahren Ziele der Protagonisten mangelt und weil die Verbreitung von ökonomischen Widersinnigkeiten zu wenig geahndet wird. Nehmen wir den Ruf nach einem Mietpreisdeckel in der Schweiz. Solche Massnahmen führen wissenschaftlich eindeutig zu einem geringeren Angebot und damit zu einem noch stärkeren Mietpreisanstieg. Genau das Gegenteil von dem, was die Befürworter behaupten. Ökonomisches Denken wirkt entlarvend. Ich werde mit meiner Meinung daher nicht hinter dem Berg halten, wenn ich
derartiges identifiziert habe. Ich muss Sie aber auch warnen, Ökonomen haben zuweilen auch unterschiedliche Ansichten. «Wenn ich drei Ökonomen befrage, erhalte ich vier Meinungen», soll sich schon Churchill beklagt haben.

Aktuell tobt beispielsweise in der Ökonomenzunft eine Auseinandersetzung darüber, ob die demografische Alterung die Inflation anheizt oder bremst – mit fundamental gegensätzlichen Ansichten. Sie werden hier jeweils meine Meinung dazu lesen und nur diese. Wenn Sie damit nicht einverstanden sind, dann lade ich Sie ein mir zu schreiben. (Raiffeisen/mc)

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