Ein überfälliger, zu später und halbherziger Entscheid

Ein überfälliger, zu später und halbherziger Entscheid
(Photo by engin akyurt on Unsplash)

von Patrick Gunti

Endlich. Spät, mit Blick auf die tausenden Todesopfer der Coronapandemie in der Schweiz in den letzen Wochen, viel zu spät, handelt der Bundesrat. Nach wochenlangem Delegieren der Verantwortung an die Kantone und dem Zusehen, dass die unterschiedlichen Massnahmen nicht greifen, will er das Zepter wieder übernehmen. Ein ganzes Bündel an Massnahmen hat er am Dienstag an die Kantone zur Vernehmlassung geschickt. Am Freitag will er entscheiden.

Föderalismus in Ehren – was sich in den letzten Wochen bei der schweizerischen Pandemiebekämpfung zugetragen hat, ist ein Trauerspiel. Geschlossene Restaurants in Genf, offene Restaurants in Zürich. 100 Gäste in den Beizen hier, 50 dort. Veranstaltungen im Familienkreis mit 15 Personen oder aber mit 10 dafür nur mit Personen aus zwei Haushalten. Einige Kantone verordnen einen Quasi-Lockdown, andere agieren, als würde die Pandemie sie verschonen.

Mit Verlaub: Was soll das? Das Coronavirus interessiert sich weder für Öffnungszeiten noch schert es sich darum, wie viele Personen sich in einem Restaurant befinden. Es interessiert sich nicht für Kantonsgrenzen, auch nicht dafür, ob Weihnachten oder Silvester ist und für unsere Skigebiete und die Bedürfnisse der Seilbahnbetreiber und Hoteliers in den Alpen hat es schon gar kein Verständnis. Ihm ist auch die nun angekündigte Sperrstunde um 19.00 Uhr für alle Restaurants schweizweit egal, und wenn überhaupt, dann freut es sich, wenn an Weihnachten die Gästeschar in unseren Stuben dann doch wieder etwas grösser sein darf.

Wer im Frühling beim Lockdown «light», den damals getroffenen Massnahmen und gerade mit Blick über die Grenze noch das Gefühl hatte, in der Schweiz wohl noch am besten aufgehoben zu sein, fühlt sich in diesen Wochen im falschen Film. Die Hauptrollen darin spielen ein föderalistischer Flickenteppich, Interessensvertreter aus Politik und Wirtschaft sowie die Öffnung von Skigebieten als wichtigstem Diskussionspunkt.

Und dies, während täglich rund 100 Menschen an Corona sterben oder man darf auch sagen, zu Grunde gehen. Gleichzeitig wird unablässig verkündet, dass die ach so einschneidenden Massnahmen das Gesundheitssystem und vor allem die Spitäler davor bewahren sollen, zu kollabieren. Kollabieren werden sie nicht, aber sie sind vielerorts längst am Anschlag, viele auch weit darüber hinaus. Ärzte und Pflegepersonal sind nicht nur Risiken ausgesetzt, sondern Belastungen, die weit über das Erträgliche hinausgehen.

Das alles nimmt unsere Gesellschaft zumindest gegen aussen hin ziemlich gleichmütig zur Kenntnis. Keine Proteste, und wenn, dann nur von ein paar Unverbesserlichen, die immer noch meinen, der Zwang eine Maske zu tragen oder das ausbleibende Ski-Halligalli sei schlimmer als das Elend, dass sich in diesen Wochen in Spitälern oder Alters- und Pflegeheimen abspielt.

Nun also sollen die Massnahmen weiter verschärft werden. Wieder nur halbherzig, wieder zaghaft, wieder darauf bedacht, es möglichst vielen Parteien recht zu machen. Noch immer macht der Bundesrat eine «Güterabwägung», wie es unser Finanzminister nannte (wo blieb hier der Aufschrei in der Bevölkerung?) und wägt die Gesundheit gegen die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben ab.

Am Ende wird er sich eines Besseren belehren lassen müssen. Denn weltweit hat sich einzig und allein die Stilllegung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gegen das Coronavirus resp. dessen Ausbreitung als nützlich erwiesen. Sprich: Lockdown. Trifft man die «Güterabwegung» zugunsten der Gesundheit der Bevölkerung, der Opfer und ihrer Angehörigen, gibt es keine andere Wahl.

Der wirtschaftliche Schaden eines solchen Entscheides wäre zweifellos gross. Aber würde ein zumindest begrenzter Lockdown nicht weniger Schaden anrichten als alle bisher halbherzigen Massnahmen, die letztlich nichts anderes bedeuten als «weiter so»?

Das Dilemma des Bundesrates könnte nicht grösser sein. Denn was auch immer er jetzt entscheidet – der Schaden ist bereits angerichtet.

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