Meret Schneider: Frust und Freude beim Foodwaste

Meret Schneider: Frust und Freude beim Foodwaste
Meret Schneider, Nationalrätin von 2019 bis 2023, Grüne Schweiz. (Bild: zVg)

Frust und Freude liegen oft nahe beieinander und daher mache ich es kurz und schmerzlos: Gemäss UNO-Bericht liegt die Schweiz auf dem europäischen Spitzenplatz, was die Lebensmittelverschwendung pro Person anbelangt. Trotz “Aktionsplan Foodwaste”, Kampagnen und Sensibilisierungsmassnahmen, die allesamt auf Freiwilligkeit beruhen, werden in der Schweiz noch immer 170 kg geniessbare Lebensmittel pro Kopf und Person weggeworfen – am meisten in ganz Europa. Österreich folgt auf Platz zwei mit 115 kg, Deutschland wirft 100 kg pro Person weg und Frankreich steht mit fast der Hälfte des Foodwastes in der Schweiz, nämlich 90 kg, wesentlich besser da.

Seit ich mich politisch engagiere – und das sind nun bereits 14 Jahre – ist die Lebensmittelverschwendung eines meiner Kernthemen. Ich begann 2013 mit Foodwaste-Workshops, es ging weiter über halblegale Containeraktionen (man war auch mal jung) und dem Einsatz für Foodsharing, wo ich noch immer aktiv bin. In meinen ersten Workshops zeigte ich Möglichkeiten auf, welken Salat durch ein Eisbad aufzufrischen, klärte über Mindesthaltbarkeitsdaten auf und kochte mit den Teilnehmenden ein Menu aus nicht mehr zu verkaufenden Lebensmitteln. Vogelheu aus Brot, Gemüsebouillon aus Schrumpelgemüse, Joghurts nicht ungeöffnet entsorgen – gefühlt ist alles gesagt, alles kommuniziert, doppelt und dreifach. Und doch hat sich scheinbar kaum etwas getan, wenn man die Zahlen betrachtet.

Im Nationalrat habe ich mich denn auch im Rahmen des Aktionsplans Foodwaste dem Thema angenommen, Anträge eingereicht und versucht, dem ziemlich zahnlosen Plan, der komplett auf Freiwilligkeit und Engagement der Unternehmen selber abzielt, zu einem etwas schärferen Gebiss zu verhelfen. Unter anderem hatte ich vor zwei Jahren eine Motion eingereicht, die forderte, dass noch konsumierbare, aber bald ablaufende Fleischwaren im Detailhandel umetikettiert, eingefroren und entweder vergünstigt an Konsumierende oder kostenlos an karitative Organisationen abgegeben werden sollten. Dies hätte eine massive Reduktion der Verschwendung von Fleisch- und Fischwaren, eines der ressourcenintensivsten Lebensmittel, zur Folge gehabt und zudem einen willkommenen Zustupf für karitative Organisationen bedeutet, bei denen hochpreisigere Lebensmittel oft gern gesehen sind und Seltenheitswert geniessen. Der Bundesrat wollte – wenig überraschend –  nichts davon wissen, da er sich auf freiwilliges Engagement verlassen wollte und auch Migros und Coop äusserten sich aufgrund des Aufwandes und der Machbarkeit ablehnend.

Nun aber zur freudigen Nachricht: Denner macht nun einen grossen Schritt in die richtige Richtung. In Zukunft will der Discounter nicht verkauftes Fleisch kostenlos an die Caritas-Märkte weitergeben. Denner geht davon aus, dass so jährlich rund 30 Tonnen Fleisch gerettet werden können, wie Firmensprecherin Grazia Grassi sagt. Neu wird unverkauftes und geprüftes Fleisch am Tag des Ablaufdatums in den Denner-Filialen eingefroren, sodass es für weitere 90 Tage geniessbar bleibt. Der Caritas-Markt holt das eingefrorene Fleisch mit Kühlfahrzeugen auf seinen Wochentouren in den Denner-Filialen ab und verkauft es dann in den eigenen Läden mit einem Rabatt von 66 Prozent. Die geretteten Fleischwaren werden mit dem Hinweis etikettiert, dass sie innert 90 Tagen konsumiert werden müssen bzw. nach dem Auftauen innerhalb von 24 Stunden.

Ich muss schmunzeln. Das ist *exakt* der Inhalt meiner Motion, inklusive der Umetikettierung. Auch Thomas Künzler, Chef der Caritas-Märkte äussert sich positiv: Das Tiefkühlfleisch sei gefragt und das Fleisch jeweils innert zweier Tagen ausverkauft – von Filet über Wurstwaren bis zu Gehacktem. «So können sich Menschen Fleisch leisten, deren Budget das sonst nicht zulässt.»

Ich freue mich natürlich sehr über diesen Schritt, wobei  eine gewisse Frustration über die Argumentationen der orangen Grossverteiler wegen “Nicht-Machbarkeit” mitschwingt. Scheint ja doch zu klappen, wo ein Wille ist, wir kennen das. Auch frustriert war ich über die Diskussion in den sozialen Medien, nachdem ich die Neuigkeit gepostet hatte. “Meine Motion sei komplett überflüssig gewesen, jetzt macht es Denner freiwillig und es brauche keine zusätzlichen Massnahmen” , war der Tenor. Naja, liebe Freunde: Mit meiner Motion hätten wir das Verwerten konsumierbarer Fleischwaren bereits vor zwei Jahren eingeführt – und zwar flächendeckend. Dadurch wäre einerseits eine riesige Menge Ressourcen verwertet statt entsorgt worden, andererseits hätten viele Menschen in diesen Zeiten der Inflation davon profitiert.

Und wer weiss: vielleicht hätten wir auch im UNO-Bericht etwas besser abgeschnitten. Frankreich nämlich, und das müssen wir uns vor Augen halten, hat einen so geringen Anteil an Lebensmittelverschwendung unter anderem aufgrund seines Gesetzes gegen Lebensmittelverschwendung, das auch Grossverteiler in die Pflicht nimmt. Klar, Eigenverantwortung ist schön und bequem, aber in meinen Augen hat die Politik doch einen anderen Auftrag, als nur zu freiwilligem Engagement aufzurufen, ein schönes Papier zu formulieren und zu hoffen. Aber wer weiss: Vielleicht nimmt sich ja die ein oder andere Parlamentarierin das Thema zu Herzen und bringt es noch einmal aufs politische Parkett. Die 170 kg sollten uns zu denken geben.


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