Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: SNB und die Zocker

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: SNB und die Zocker
Martin Neff, ehemaliger Raiffeisen-Chefökonom. (Foto: zvg)

St. Gallen – Im dritten Quartal des laufenden Jahres gingen die Immobilienpreise hierzulande förmlich durch die Decke. Die Preise für Einfamilienhäuser sind im dritten Quartal 2021 um satte 4,4 Prozent gestiegen. Stockwerkeigentumswohnungen kosteten 2 Prozent mehr als im Vorquartal. Verglichen mit dem dritten Quartal 2020 kosten Einfamilienhäuser heute 9,7 Prozent mehr. Stockwerkeigentumswohnungen werden um 7,9 Prozent teurer gehandelt als vor einem Jahr.

Besonders stark ist das Preiswachstum bei Einfamilienhäusern in Tourismusregionen. Im Vorjahresvergleich verzeichneten Einfamilienhäuser in der Region Südschweiz (+11,7%) und der Region Bern (+11,1 %) die grössten Preisanstiege. Etwas weniger stark stiegen die Preise in den Regionen Nordwestschweiz (+6.4 %) und in der Ostschweiz (+7.4 %). Beim Stockwerkeigentum sind die Preise in der Region Genfersee (+12.3 %) am stärksten gestiegen. Die Ostschweiz verzeichnete die geringsten Preisanstiege im Vorjahresvergleich (+2,0 %). Aber alle, ausnahmslos alle Regionen sind insgesamt im Plus und wenn das Ergebnis der Ostschweiz neben der Genfer Dynamik auch etwas verblasst, so ist es immer noch – gelinde gesagt – sportlich.

Nebenbei bemerkt zeigt die Aufschlüsselung der Preisentwicklung auf Gemeindetypen, dass innert Jahresfrist die Preise für Einfamilienhäuser in den touristischen Gemeinden (+18,3 %) deutlich stärker als in anderen Gemeindetypen gestiegen sind. Auch Eigentumswohnungen legten in den touristischen Gemeinden (+12,9 %) am stärksten zu. Das könnte vielleicht mit Corona zusammenhängen, ich vermute aber eher, es hängt mit der Geldpolitik zusammen. Denn auch im urbanen Raum war der Anstieg exorbitant mit rund 9 Prozent Plus für Eigentumswohnungen in Zentren und urbanen Gemeinden. Der Run auf die eigenen vier Wände kennt keine Grenzen. Wer kann – das sind allerdings immer weniger – und wer findet, der kauft, so einfach lautet die Formel. Das Angebot ist jedoch ausgedünnt und so steigen die Preise ohne Halt.

Wer sich kein Haus kaufen kann oder ein Wohnung, weil er entweder nicht genug Geld auf der Seite hat oder die völlig etwas gar willkürlichen und längst überlebten Tragbarkeitsvorschriften nicht erfüllen kann, der muss sich inzwischen trotzdem überlegen, was er mit dem mühsam Ersparten tun möchte. Denn das Negativzinsregime, das gemäss unserem Geldhüter alternativlos ist, weil andere Zentralbanken den gleichen Kurs fahren, trifft allmählich auch die Kleinsparer. Wer etwas auf der hohen Kante hat, wird heute von den Banken nicht mehr umworben, sondern förmlich vergrault. Und wer nicht dafür zahlen möchte, dass er der Bank sein Erspartes überlässt, kommt fast nicht mehr umhin, sich mit Geldanlagen zu beschäftigen, auch solchen die er generationenlang links liegen gelassen hat.

Verwandte und Bekannte fragen mich, was sie mit ihrem Geld machen sollen. Den wenigen Glücklichen, die viel auf die Seite legen konnten, empfehle ich natürlich Wertschriften, gut diversifiziert, am besten Indexprodukte und bloss keine Wetten auf Einzeltitel am Aktienmarkt. Das ganze vorzugsweise in der Schweiz, denn unsere Währung ist ein stabiler Hafen, da sehen Dollar oder Euro wirklich lausig aus, auch wenn dort vielleicht üppigere Gewinne winken. Doch nicht alle schlagen diesen Weg ein.

Eine Freundin hat mir neulich stolz, aber auch etwas verlegen eröffnet, erstmals in ihrem Leben Aktien gekauft zu haben. Zwei Tesla-Aktien habe sie erworben. Und damit nicht genug, sie hat inzwischen noch zugelegt und vier Swisscom-Aktien gekauft. Und seit sie Aktien hält, gucke sie am Tag fast jede freie Minute auf ihre Smartphone-App, um die aktuelle Kursentwicklung zu checken. Das sei richtig aufregend. Sie «tradet» auf der Plattform Trade Republic, die das Handeln mit Aktien nicht nur recht günstig, sondern auch noch äusserst einfach macht. Vielleicht haben Sie schon von Robinhood gehört, eine vergleichbare Applikation, die vor nicht allzu langer Zeit in den Schlagzeilen war, weil ihre Kunden damals die Gamestop-Aktie in die Höhe trieben, wie ihnen von Reddit, einem sogenannten Social-News-Aggregator geheissen wurde. Einige haben damals viel Geld verdient, viele aber auch einiges verloren.

Doch zurück zu meiner Bekannten. Das Kaufmotiv für Tesla: Elektromobilität kommt, da kann man gar nichts falsch machen. Swisscom: Defensiv, zukunftsträchtig, dazu noch eine angemessene Dividende, da kann eigentlich auch nichts schief gehen. Das hat sie auch im Internet auf Foren gelesen und ein Bekannter, der selbst Aktien hält, habe sie dazu ermutigt. Naja, wir lassen das mal unwidersprochen so stehen, aber es ist sicher gut, etwas mehr ins Feld zu führen, wenn man in Aktien investiert. Nur, die Gute ist ja nicht allein. Die Banken treiben sie förmlich in Anlagen, da sie unserem «unabhängigen» und – wie ich finde – immer selbstgefälligeren Währungshüter für Spargelder ihrer Kunden Strafzinsen – das ist das richtige Wort und nicht Negativzinsen – abverlangen müssen. Das ist paradox. Zumal das Negativzinsregime von SNB und Co. als sakrosankt und unabwendbar dargestellt wird, aber jegliche logische Konsequenz daraus, wie etwa die Spekulation mit allem Möglichen, der Kauf von exorbitant teuren Immobilien oder etwa Lieschen Rettich, die jetzt auch auf Aktien macht, als irrational beurteilt wird und die obersten Geldhüter in Warnzustände versetzt. Oh ja, diese Blase wird dereinst platzen, das steht ausser Frage, nur wann ist noch offen. So lange wird die SNB uns aber nach wie vor keine Alternative zum Casino bieten. Und sie wird gleichzeitig vor dem Gang dorthin warnen. Bald sind wir ein einziges Volk von Zockern, einfach nur weil’s alternativlos ist.

Apropos Zocken, kommende Woche werden Sie nicht von mir lesen, ich schau mich mal in den Alpen nach einem Immobilienschnäppchen um. Das könnte durchaus länger gehen, zwinker! (Raiffeisen/mc/ps)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert